Raubtiere unter sich

Grob betrachtet unterscheidet man zwei Sorten von Hauskatzen. Da gibt es als erstes natürlich die reinen Haustiger, die ihre vier Wände nie verlassen und dort auch am Besten aufgehoben sind. Sie fürchten sich nämlich im Extremfall nicht nur vor Mäusen sondern auch vor kleinerem Getier und ziehen das Leben bei ihren menschlichen Herrchen oder Frauchen vor. Das heißt konkret: ein nettes Katzenkörbchen, täglich ausgewählte Leckereien von Sheba bis Schlagobers und ein voluminöser Bauch. Man muss wohl nicht dazusagen, dass in der Stadt solche Karikaturen von einer Katze (für mich persönlich halt) am häufigsten vorkommen. Zu gefährlich wäre auch das Leben auf verkehrsreichen Straßen oder im fünften Stocke einer Stadtwohnung mit Fenster ohne Katzengitter.

Natürlich leben am Land Katzen auch ein artgerechtes Leben, so wie mein Kater Stocki und seine Mutter Minki. Zwar reißen sie keine Gazellen oder Zebras, Mäuse, Vögel oder im Extremfall auch mal ein Hase oder ein Rebhuhn sind aber auch nicht von schlechten Eltern. Trotzdem sind sie auch dankbar für Dosen- oder Trockenfutter und speziell im Winter, bei niedrigen Temperaturen, ist ein Plätzchen neben dem Kaminofen oder auf dem Schoß meiner Mutter extrem begehrt. Das heißt, unsere Katzen sind im Grunde nur halbdomestiziert, sie haben viel Gewohnheiten, die ein kleines Raubtier auch aufweist. Das macht das Leben mit ihnen nicht immer leicht, aber auch spannend….

Was für ein friedliches Weihnachtsfest, dachte ich mir, als ich kurz vor halb ein Uhr nachts von der Christmette heimkam. Ich schlich leise ins Wohnzimmer um meinen Vater nicht aufzuwecken, der wegen seiner Schnarchkünste öfter im Wohnzimmer schläft. Jemand hörte mich trotzdem: Minki, die vor dem Kamin lag, funkelte mich mit ihren grünen Augen an, streckte ihren Katzenbuckel und strich Sekunden später um meine Beine. Ich streichelte das schnurrende, mittlerweile fast 15jährige Kätzchen und schickte sie sanft auf ihren Platz zurück. „Schlaf weiter!“ sagte ich nur.

Am nächsten Morgen empfing mich Minki schon als ich aufstand. Sie bedeutete mir, dass sie hinauswollte. Angesichts von fast -15° Celsius konnte ich ihren Wunsch nur bedingt nachvollziehen, aber ich öffnete die Haustür. Minki zauderte angesichts der Kälte für einen Moment, dann lief sie eilig nach draußen. Fast gleichzeitig sprang mein Kater Stocki mit einem eleganten wie weiten Satz über seine Mutter hinweg durch die Tür und schüttelte sich. Danach rieb er sich an meinen Beinen und folgte mir ins Wohnzimmer. Das Feuer prasselte im Kaminofen und verbreitete wohlige Wärme. Echt romantisch, dachte ich mir. Draußen Schnee und Eis und hier herinnen bei uns Wärme und Beschaulichkeit.

Als ich mich an unseren Tisch setzte, und Kaffee in mein Häferl goss, registrierte ich nebenbei, dass sich Stocki in seiner ganzen Schönheit und Größe genau vor dem Kamin ausgebreitet hatte – dort, wo Minki die Nacht zuvor verbracht hatte. Aber ich dachte mir nichts dabei. Während ich mit müden Augen die Zeitung durchblätterte und bisweilen mit einem Schluck Kaffee meine Lebensgeister zu wecken versuchte, kam mein Vater von seiner Rauchpause wieder herein. In seinem Schlepptau Minki, die ihr kurzes, morgendliches Geschäft schon beendet hatte. Nichts Ungewöhnliches an sich, und ich weiß auch nicht, warum mein Blick nicht wieder zum Fernsehprogramm von heute zurückkehrte.

Jedenfalls war mit Minki eine seltsame Veränderung vorgegangen. Ihr braun gesprenkeltes Fell war gesträubt und ihre Ohren lagen schief am Kopf. Sie musterte ihren Sohn, der auf ihrem Platz lag, eine ganze Weile. Dann machte sie ein paar Schritte auf ihn zu und versetzte ihm einige Tatzenhiebe. Blitzschnell, dann wich sie wieder zurück. Eine Art Kampf David (unsere Minki) gegen Goliath (Stocki, der mehr als doppelt so groß wie sie ist) begann, faszinierend und schockierend zugleich. Die beiden Katzen blieben sich trotz der engen Verwandtschaft nichts schuldig, sie fauchten, knurrten und prügelten sich – um den Platz am Kamin. Sehr schnell kam Minki unter der Masse ihres Sohnes zu liegen, der ihr, jung, kraftvoll und so viel stärker ist wie sie, keine Chance ließ. Sie miaute laut, dann wand sie sich unter Stocki durch und lief weg.

Ihr Schwanz bewegte sich rasch und zackig und ihre Ohren waren eng angelegt. Sie war furchtbar beleidigt. Dann setzte sie sich mitten im Wohnzimmer hin und begann ihre Pfoten zu lecken. Ihr Schwanz zitterte noch immer leicht und zeigte ihren Ärger. Ich hatte mich von dem Bild dieses Kampfes fast nicht losreißen können, ein Spektakel fürwahr. Besser als Universum weil life, weil Auge in Auge. Stocki hatte sich als Sieger der Auseinandersetzung wieder vor dem Kamin ausgebreitet, die Pfoten von sich gestreckt und die Augen geschlossen. Minki machte ein paar rasche Schritte auf ihren Sohn zu, sie gab den Kampf offenbar noch nicht verloren. Als sie die Tatze hob, um auf den dösenden Stocki einzuschlagen, trat ich mit klatschenden Händen dazwischen.

Ein Tipp von Edith Klinger übrigens. Die Katzen sahen mich verschreckt an, sie mögen das Geräusch nicht. Stocki schloss gleich wieder die Augen, Minki saß beleidigt auf dem Wohnzimmerboden und schmollte augenscheinlich. Schließlich, fast übergangslos, sprang sie vom Boden auf die Couch und von dort auf die Zentralheizung dahinter. Diese war zwar momentan kalt, aber trotzdem nahm unsere Minki den Heizkörper in Beschlag, putzte sich kurz und legte sich bäuchlings hin. Kurz darauf schlief sie auch.

Tja, mit zwei neurotischen, gegeneinander rivalisierenden Katzen wird’s nicht fad daheim. Wer braucht da noch Tierfilme oder -dokumentationen… wenn das wahre Leben mit zwei „Raubtieren“ viel aufregender ist.

Vivienne

Schreibe einen Kommentar