Später Vater

Die Frau Ende Vierzig war an unseren Tisch herangetreten. „Entschuldigen Sie, wenn ich mich da so in Ihre Unterhaltung einmische… aber ich habe zufällig mitgehört…“ Schon eine Weile saß ich mit einer Freundin, Babsi, in dem Cafe in der Linzer Innenstadt und wir redeten über alles Mögliche. Irgendwie hatten wir auch begonnen, die Thematik der mangelnden sexuellen Aufklärung der Jugendlichen zu erörtern, als besagte Frau zu unserem Tisch kam. Ich hatte eben noch lautstark gemeint, dass heutzutage wirklich niemand mehr schwanger werden müsste, der nicht wollte und es sei bedauerlich, wie viele Teenager einfach in den Tag hinein leben würden, ohne sich darum Gedanken zu machen, welche Auswirkungen ungeschützter Sex haben könnte…

Babsi und ich blickten uns bei den Worten der Dame etwas überrascht an. „Wissen Sie“, fuhr die fort, “…das stimmt nicht ganz, was Sie sagen… Es gibt auch genügend ältere Leute, die sich nicht um eine Vaterschaft scheren – so wie mein Ex-Mann. Der ist jetzt kürzlich mit über Fünfzig Vater geworden. Verhütung hat ihn nie gekümmert.“ Babsi und ich waren neugierig geworden, die Frau nahm, vor Aufregung leicht zitternd, bei uns Platz und begann zu erzählen… “Wir waren siebenundzwanzig Jahre verheiratet, mein Ex und ich, und immer musste ich Sorge tragen, dass es keinen Nachwuchs gab. Unsere ersten beiden Kinder waren ja noch geplant, aber die Jüngste, sieben Jahre nach dem zweiten Kind, ist uns passiert – oder besser gesagt mir. Mein Mann hat mir ewig Vorwürfe gemacht deswegen und mich mit lauter Schuldzuweisungen schließlich gezwungen, mich sterilisieren zu lassen. Damit nichts mehr passieren kann…“

Es war in der Tat interessant, was diese Frau aus ihrem Leben beichtete und längst spielte es keine Rolle mehr, dass sie erst vor einigen Minuten bei uns Platz genommen hatte. Ich merkte an Babsis Gesichtsausdruck, dass sie ebenfalls gefesselt war von der Erzählung und wir hörten beide zu, als diese Frau fortfuhr. „Er hat sich nie um die Kinder gekümmert, mein Ex, nicht im Geringsten, wenn die Kleinen in der Nacht schrieen, wegen der Zähne oder weil sie krank waren, musste ich mit dem Kind aus dem ehelichen Schlafzimmer. Schließlich wollte er ausgeschlafen sein und seine Ruhe haben und es kümmerte ihn nicht wirklich, wie ich damit zurande kam. Nur um mit ihm zu schlafen durfte ich ins Schlafzimmer zurück, dann hat er mich wieder weggeschickt. Seine Bedürfnisse durften ja nicht zu kurz kommen…“

„Sie haben sich ja einiges mitmacht.“ Babsis Stimme klang mitfühlend. „Ihr Mann, pardon, ihr Ex-Mann, ist ja nicht unbedingt einer von der besonders fürsorglichen Sorte. Sagen Sie, wie kam es dazu, dass er jetzt so spät noch einmal Vater wurde?“ Die Frau nickte, sie fühlte sich offensichtlich verstanden. „Wir haben uns scheiden lassen, er hat diese Freundin wieder getroffen, die er vom Studium kannte und obwohl sie nicht viel jünger ist als ich, sah sie natürlich besser aus, gepflegter. Sie hat mich ausgestochen, ganz einfach, und plötzlich war ich wirklich unbrauchbar für ihn geworden…“ Ihre Stimme klang traurig als ich ihren Blick auffing, wehmütig und mit einer leisen Melancholie. „… ich bin fast achtundvierzig, da konnte ich nicht mithalten.“

Ich räusperte mich. „Das Kind ihres Ex-Mannes, wann wurde es denn geboren?“ Die Frau hob ihre Stimme, die leicht zitterte. „Ich wüsste noch gar nicht davon, wenn meine Ex-Schwiegermutter nicht gestorben wäre. Meine Kinder waren beim Begräbnis – mich selber hat mein feiner Ex ja ausgeladen – und da hat er ihnen davon erzählt, dass sie seit Kurzem eine neue Schwester hätten. Sogar ein Foto habe ich in der Folge noch zu sehen bekommen. Ein kleines Mädchen, das so aussieht hat wie meine Jüngste. Wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich war völlig vor den Kopf gestoßen. Ja, ich habe sogar geweint, aber schließlich rief ich meinen Ex an und las ihm die Leviten. Er legte immer wieder auf, aber ich ließ nicht locker, bis ich mir meine ganze Wut von der Seele gesprochen hatte. Das war zu viel für mich, nach all den Demütigungen und Vorwürfen. Ich war fertig…“

Ich konnte die Gefühle der Frau gut nachvollziehen, die sich nach der Scheidung noch ein zweites Mal erniedrigt gefühlt haben musste. Leise Gefühle für den Ex glaubte ich trotzdem noch in der Mimik der Frau zu lesen, sonst hätte sie die späte Vaterschaft ihres ehemaligen Gefährten nicht so getroffen. Ein herber Schlag, der ihr da versetzt worden war, schon in Anbetracht der aufgezwungen Sterilisation. Kein feiner Charakter, mit dem diese Frau da so lange verheiratet gewesen war, und trotzdem hatte sie ihn wohl geliebt, bis er sie ausrangiert hatte, wie ein altes Hemd, das er nicht mehr tragen wollte… Ich bemühte mich um ein paar tröstende Worte. „Lassen Sie ihm doch die Freude! Wenn der erst mit Mitte Sechzig ein pubertierendes Mädel daheim zu versorgen hat, wird er diesen Spaß schon hundert Mal bereut haben.“

Die Frau nickte und ich hatte das Gefühl, das Gespräch mit uns wäre ihr fast Therapie gewesen. „Sie haben ja so Recht. Wenn die Kleine dann zahnt oder ihre Kinderkrankheiten bekommt, wird er sich sicher fragen, ob ein viertes Kind wirklich noch nötig war.“ Sie stand lächelnd auf. „Danke, dass Sie mir zugehört haben, es tat gut einmal darüber zu sprechen, so richtig nämlich. Ich hoffe es war Ihnen nicht unangenehm…“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, gewiss nicht. Vielmehr möchten wir uns für den interessanten Aspekt bedanken, den Sie in unsere Diskussion gebracht haben… Alles Gute für Sie!“

Nach einer wahren Begebenheit

© Vivienne

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