Teil 10 – Ferdi, das Pferd

Die Aufregung der Tiere war auch noch am nächsten Morgen groß. Rolf erzählte, der Kater sei verwildert. Sein Besitzer hatte ihn verjagt, weil er Vögel statt Mäuse fing. Da war der schwarze Hauskater zum Eierdieb geworden. Er hatte schon auf einigen Höfen in der Umgebung die Nester der Hennen geplündert; dadurch hatte ihn der Bauer von Anfang an in Verdacht gehabt.

August war ziemlich still geworden. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Zwar hatte niemand ein Wort gesagt; doch seine Hühner beachteten ihn nicht. Auch Anna und Susi, die Enten, hörten ihm nicht zu. Rolf und Rita gingen ihm aus dem Weg. Irma, die Gans, meinte auf seine zaghaften Fragen nur: „Du hast sehr schlecht von Stefan gesprochen. Nun solltest du deinen Fehler zugeben und dich entschuldigen!“

August wusste, dass Irma Recht hatte. Es wurde aber trotzdem Mittag, bis er sich in die Scheune wagte.

Melissa ahnte, warum der Hahn gekommen war. Aber Stefan und Philip schliefen noch; und Melissa wollte die beiden nicht wecken.

Seufzend ging der Hahn wieder auf den Hof. Er hatte keinen Appetit auf Würmer. Plötzlich schrak er auf. Lautes Motorengeräusch war zu hören. Der Bauer und seine Frau traten aus dem Haus. Der schwerhörige Knecht öffnete das Tor.

Ein schwerer Wagen mit einem hohen Anhänger fuhr langsam in den Hof. Ein junger Mann stieg aus. Der Bauer sprach mit ihm. Immer wieder deuteten sie dabei auf den Anhänger. August beobachtete alles neugierig.

Was konnte bloß in dem Anhänger sein? Der Hahn überlegte und überlegte. Dabei vergaß er das erste Mal auf seinen Kummer.

Die beiden Männer traten zum Anhänger und öffneten ihn. August bekam große Augen und erschrak. Der große, braune Kopf eines Ungetüms wurde sichtbar. „Hilfe!“ gackerte der Hahn und flatterte davon.

Rolf, der unter dem Baum sein Schläfchen hielt, schmunzelte. Er kannte dieses unheimliche Tier längst. Schließlich besuchte er Melissa. Die beiden Langschläfer waren noch immer nicht aufgewacht. Deshalb liefen Rolf und Melissa hinüber ins Bauernhaus.

Kurz darauf wagte sich August wieder in die Scheune. Während er Melissa suchte, weckte er die beiden Helden auf. Philip war sofort auf den Beinen:

August zuckte zusammen: „Tu‘ mir nichts…“bat er.

Philip und Stefan zwinkerten sich zu.

„Was hast du hier verloren?“ fragte Philip misstrauisch.

Der Hahn druckst verlegen. „Ich wollte … ich meine … “ Schließlich sah er Stefan tapfer an und gackerte leise:“ Es tut mir leid. Ich habe dich schlecht gemacht, obwohl ich gar nichts wusste. Bitte verzeih‘ mir!“

Stefan war überrascht. Aber dann sagte er: „Ist in Ordnung, August. Jeder kann sich irren! Aber nur wenige geben es zu.“

August atmete erleichtert auf. Da fiel ihm das fremde Tier ein.

Eigentlich waren Philip und Stefan sehr hungrig. Aber als August von diesem Ungetüm erzählte, wurden sie neugierig. Der Hahn zeigte ihnen gleich die Stallung, in die das Tier gebracht worden war. Die beiden schlichen vorsichtig hinein. Der Hahn wollte lieber draußen warten. Er fürchtete sich noch immer.

Ein kräftiger, ungewohnter Geruch war in der Luft.

Philip und Stefan blickten überrascht auf, als sie ein lautes Schnauben hörten.

Vor ihnen schüttelte ein großes, hellbraunes Tier seinen Mähne. Es beobachtete die beiden Freunde interessiert.

„Hallo!“ rief es mit tiefer Stimme. „Endlich kommt mich jemand besuchen. Wie heißt ihr?“

Philip fand als erster Mut zum Sprechen: „Mein Name ist Philip. Und das ist mein Freund Stefan!“
Der Braune zwinkerte Philip zu und meinte zu Stefan. „Du siehst aber nicht wie eine Katze aus.“ Natürlich wusste diese große Tier genau, das Stefan keine Katze war. Es wollte nur einen Scherz machen.
Stefan merkte das nicht. Er antworte: „Aber ich bin auch ein Igel. Ich habe meine Familie verloren und wohne bei Philip und seiner Mutter.“ Dann blickte er den Braunen fest an und fragte ihn: „Aber was bist du? Und wie heißt du?“ Philip stieß seinen Freund vorwurfsvoll an. Aber das Tier antwortete lachend: „Ich heiße Ferdi und ich bin ein Pferd!“

„Was ist ein Pferd?“ wollte Philip gleich wissen. „Bist du so ähnlich wie eine Kuh? Gibst du auch Milch?“ Der gutmütige Ferdi war momentan verdutzt. Dann lachte er schallend und antwortete:“ Ihr wisst wirklich nicht, was ein Pferd ist?“

Die zwei schüttelten den Kopf. Ferdi war nicht nur sehr gutmütig. Er war auch sehr viel klüger als die meisten seiner Artgenossen. So erklärte er den beiden: „Wir Pferde sind Reittiere. Bevor es Maschinen gab, halfen wir den Bauern bei der Feldarbeit.“ Ferdi wollte noch gerne mit seinen neuen Freunden weiter plaudern. Aber Stefan und Philip verabschiedeten sich trotzdem erst einmal. Ihr Magen knurrte nun schon sehr laut.

Draußen wartete noch immer August. Neugierig sah er sie an:“ Und?“ „Du kennst wirklich kein Pferd?“ fragte ihn Philip scheinheilig.

Der Hahn blickte den beiden mit offenem Schnabel nach. Er verstand nicht, warum sie lachten.

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