Was fällt einem, einen Tag nach diesem furchtbaren Ereignis, ein? Erfurt, Emsdetten und natürlich die Columbine-High-School in Colorado.
Mir fallen allerdings auch wieder die Gesichter betroffener Politiker ein, die je nach Parteizugehörigkeit und angesichts der vermeintlichen Verantwortlichkeit von Regierungen, die immer gleichen Vorwürfe und Beschwichtigungen wiederholen. Wohl auch wiederholen müssen.
Denn angesichts der Unfähigkeit wirklich trauern zu können, wird vehement nach Lösungsmöglichkeiten gerufen.
Ich nehme Herrn Öttinger, dem Ministerpräsidenten von Baden-Würtemberg, seine Betroffenheit schon ab, die er gestern einer breiten Öffentlichkeit via Fernsehen offenbarte.
Jeder Mensch muss angesichts eines solchen Leids, welches sich gestern, scheinbar aus blauem Himmel heraus, auf die Opfer der Bluttat ergossen hat, Mitleid und Betroffenheit verspüren. Hier sind normale Maßstäbe schon nicht mehr ausreichend. Hier muss man schon sehr tief gründende Gefühle bemühen, die möglicherweise angesichts einer in Kälte erstarrten Gesellschaft nur noch erahn- und nun sogar wieder erfahrbar werden.
Nach dem Staat zu rufen, der Ordnungsverpflichtungen wegen, oder auf Elternhaus und Schule zu schimpfen ist das eine.
Sich Gedanken über die möglicherweise wirklichen Beweggründe eines solch jungen Täters zu machen, ist die andere Möglichkeit.
Letztendlich bleibt uns nur, uns betroffen zu fühlen. Und Mitleid mit den Opfern zu haben, zu denen für mich auch der Täter zählt.
Welcher Kälte muss sich ein solch junger Mensch ausgesetzt fühlen, wenn er nur noch das „Große Reinemachen“, den „Finalen Abschluss“ oder den „Großen Knall“ als das Mittel sieht, hier nun endlich einen „Schlussstrich zu ziehen“.
Über den Täter ist noch nicht allzu viel bekannt geworden und trotzdem überschütten zahllose „Experten und Sachverständige“ die Republik mit gut gemeinten und möglicherweise auch ernsthaft erwägten Vorschlägen zu, und Beurteilungen über eine solche Wahnsinnstat.
Tatsache ist und bleibt, ein solches Ereignis findet nicht im absolut luftleeren Raum statt. Hier handelt es sich um das Ende einer Kette, über deren Anfang nur spekuliert werden kann.
Bei der medialen Verarbeitung dieses furchteinflößenden Ereignisses ist wieder mal sehr gut zu erkennen, wie es bei uns zugeht, wenn jeder sich fragen muss, ob solche Leidensgeschichten etwa in der Art unserer Lebensführung begründet sind.
In einer Gesellschaft, die Leistung zum Grundprinzip erklärt und schon die Zugehörigkeit zu einer vermeintlichen Elite, für so etwas wie Gloriole sorgt, sind Gefallene und Gestrauchelte von allen vermeintlichen Fortschritten auszuschließen.
Dieser Junge, nachdem was bisher bekannt ist, gehörte wohl zweifellos zur Elite. Jedenfalls, wenn man das Selbstverständnis dieser Elite als Maßstab nimmt. Wirtschaftlich erfolgreiche, gut gesellschaftlich eingeführte Eltern und sogar erfolgreich in sportlicher Hinsicht, würde man doch glatt glauben, dass es diesem an gar nichts zu fehlen schien.
Und doch ist es wohl gerade dieses Wohlbehütsein, dass hier ein zu enges und scheinbar unüberwindliches Hindernis zur Wirklichkeit aufgebaut war.
Der Junge muss sich sehr einsam vorgekommen sein.
Und genau hier muss der Blick schärfend eingesetzt werden.
Viele Siebzehnjährige leiden in einer ganz entscheidenden Lebensphase an so etwas, wie Weltschmerz und trotzdem kommt es nicht überall zu solchen Katastrophen.
Diese Geschehnisse haben ganz eng mit den Gegebenheiten im häuslichen Umfeld zu tun.
Hier hat ein begeisterter Sammler von vermeintlich historischem Schießgerät, als Vorbild seinem Nachwuchs gegenüber, schändlich versagt.
Jemand der eine Waffe und dazu reichlich Munition ungesichert herumliegen lässt, ist zum Erwerb und der Aufbewahrung dieses Kriegsgerätes absolut ungeeignet. Und ich würde auch mal behaupten, dass gerade hier der Kern einer solchen soziologischen Verirrung zu suchen ist.
Unsere Politiker und nicht nur die, erklären immer dann, wenn ein Amerikaner zur Tat schreitet und eine blutige Spur an Vernichtung hinter sich herzieht, dass wir das wohl beste Waffengesetz der Welt haben und solche Taten nur im waffenliberalen Amerika denkbar sind.
Wenn es bei uns, wie in der Vergangenheit geschehen, ich erinnere nur an Günther Lamprecht, Schauspieler und Opfer einer solchen Wahnsinnstat, zu solchen Taten kommt, ruft man nach Verbot von Videospielen.
Deutschland gehört zu den drei größten Waffenexporteuren, direkt hinter den USA und China!
Unsere Waffenlobby ist immer noch stärker als die Spielehersteller im Land.
Und Baden Würtemberg ist das Deutsche Waffenzentrum, mit Sitz einer sehr erfolgreichen Industrie. Hier hängen mehr Leute vom Waffenbau und Verkauf ab, als von den Autoherstellern im Ländle, wo man halt nur Schwäbisch und nicht etwa Hochdeutsch kann.
Ich weis, Menschen töten und nicht Waffen. Doch Menschen können ohne Waffen nicht töten.
Hierüber sollte mal nachhaltig nachgedacht werden. Betroffenheits- und Sonntagsreden nützen niemandem.
Antoine Susini im März 2009