Vielleicht erinnern Sie sich, liebe Leser, noch an meinen Beitrag „Der Sprachfehler“, ein Ausflug in meine Zeit an einem Linzer Meinungsforschungsinstitut. Ich verbrachte ein paar Jahre dort und habe die Zeit allgemein sehr schön in Erinnerung. Auch wenn natürlich – wie überall – das eine oder andere nicht so hinhaute. Nicht nur Sebastian Schneider, jener Projektleiter, der meine Verliebtheit zu ihm weidlich ausnutzte, auch Blanca Altmann, eine weitere führende Mitarbeiterin und Personalchefin, machte mir das Leben bisweilen sehr schwer. Frau Altmann war eine Frau von knapp Vierzig Jahren, als ich in jenem Unternehmen zu arbeiten anfing. Sie war gebürtige Ostdeutsche und war mit viel Glück als junges Mädchen mit ihrer Familie zuerst in den Westen Deutschlands geflohen und von dort nach Wien gekommen.
Dort hatte sie geheiratet, einen jungen, engagierten Unternehmer, der mit seinem Betrieb schließlich an den Rand von Linz übersiedelt war. Blanca fasste beruflich dank ihrer raschen Auffassungsgabe und ihres Engagements schnell in dem jungen Meinungsforschungsinstitut Fuß, das damals gerade im Aufbau begriffen war. Nicht nur das – sie machte Karriere, aus kleinen Anfängen hievte sie sich in die Chefetage, war unseren beiden Geschäftsführern unentbehrlich und – auch dementsprechend ekelhaft geworden. Ja, Frau Altman war gefürchtet wegen ihrer Unerbittlichkeit und wegen ihrer unglaublich verletzende Art und Weise mit der sie Fehler „honorierte“.
Frau Altmann war eine Jungfraugeborenen, wie ich, und das in ihrer ausgeprägtesten Form, fast wie aus dem Lehrbuch: kritisch, spitze Zunge, penibel, eine Oberlehrerin, die keine Gelegenheit ausließ, beißend auf Irrtümer aufmerksam zu machen und die keine Halbheiten, keine Kompromisse akzeptierte. Perfekt musste alles laufen, wie am Schnürchen, und wenn nicht – Gnade Gott dem oder der, die dafür verantwortlich waren! Auch ich durfte es mehrfach genießen, von ihr zur Schnecke gemacht zu werden, armes verletzliches Pflänzchen, das ich damals war (und irgendwie noch immer bin…). Es sollte wohl mein Schicksal in der Arbeitswelt sein, sehr häufig an vorgesetzte Frauen zu geraten, die es nicht unbedingt gut mit mir meinten. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Frau Altmann und ich fast am selben Tag Geburtstag hatten.
Frau Altmann war streng, hart und unerbittlich – das lernte ich schnell. Aber noch viel strenger war sie zu sich selber. Auch das wurde mir irgendwann einmal bewusst. Und sie hatte es auch nicht leicht. Ich bemerkte immer wieder, wie geknickt sie oft war, wenn ihr Mann oder ihre Schwiegermutter zuvor angerufen hatten… War Frau Altmann der „Stein“ in unserem Arbeitsleben, büßte sie selber unter der Fuchtel der gestrengen Schwiegermutter und auch ihr Mann, mit dem ich das eine oder andere mal telefonierte, fasste seine Frau nicht mit Samthandschuhen an. Alles gleicht sich im Leben aus, manchmal früher, manchmal später und im Falle der Frau Altmann lief dieser Prozess wohl parallel…
Unsere Putzfrau Herta tröstet mich, als ich wieder einmal den Kopf hängen ließ, weil ich es Frau Altmann nicht recht machen hatte können. Und das obwohl ich mich so bemüht hatte… Herta stellte mir eine Tasse Pfefferminztee hin (Kaffee trank ich damals noch nicht so viel) und nickte mir zu. „Na, geht’s wieder?“ Ich schluckte tapfer den Groll und trank etwas Tee. Das heiße, duftende Getränk tat mir gut und weil Herta schon fast fertig mit der Arbeit war – sie war nur in Teilzeit beschäftigt), blieb sie neben mir sitzen. „Sie ist halt so“, beantwortete sie eine unausgesprochene Frage von mir. „…aber sie ist sicher nicht so auf die Welt gekommen…“ Ich versuchte mir kurz vorzustellen, wie es war in der damaligen DDR aufzuwachsen und quasi halb illegal in den „goldenen“ Westen zu flüchten.
Schließlich sah ich Herta zweifelnd an. „Aber deswegen ist sie trotzdem ein Drachen.“ Herti nickte. „Irgendwie ganz sicher, obwohl sie zu mir immer freundlich ist, weil ich ihren Schreibtisch jede Woche gründlich putze. Im Gegensatz zu den Damen von der Reinigungsfirma.“ Ich presste die Lippen aufeinander. Ich würde es sicher nicht schaffen, mich bei Frau Altmann unentbehrlich zu machen. Herti zupfte mir eine Locke meiner damaligen Dauerwellenfrisur aus meinem Gesicht. „Frau Altmann ist ein armer Teufel, weißt du das? Sie hat alles erreicht, sie hat eine tolle Position hier und sie ist unentbehrlich. Aber ihr größter Wunsch wird sich nie erfüllen…“
Ich drehte mich um zu Herta. „Welcher Wunsch? Sie hat doch alles?“ Herti zuckte die Achseln. „Eben nicht. Frau Altmann wünschte sich immer ein Kind, schon für ihren Mann, als Erben für die Firma. Aber eben nicht gleich.“ Herti nickte und zog sich die Gummihandschuhe aus, die sie zum Putzen immer trug. „Als sie hier in der Firma anfing, wollte sie sich zuerst nach oben arbeiten. Auch ihr Mann selber war noch abgeneigt, seine Firma befand sich erst am Anfang. Aber je erfolgreicher sie wurde, die Frau Altmann, desto weniger leicht schien es, Zeit für eine Schwangerschaft einzuplanen.“ Mit Interesse war ich ihrer Erzählung gefolgt. „Das wusste ich nicht. Nie hätte ich geglaubt, sie hätte ein Kind gewollt…“
Herti massierte ihre Hände und blickte mich durchdringend an. „Sie hat es mir selber erzählt. Auch, dass sie sich vor einem Jahr doch entschlossen hat, schwanger zu werden. Doch es klappte nicht. Nach einigen Untersuchungen im Spital stellte sich schließlich heraus, dass sie zu lange damit gewartet hatte, viel zu lange. Jetzt ist es zu spät – einige Verwachsungen auf der Gebärmutter schließen eine Schwangerschaft dezidiert aus. Durch diese Wucherungen könnte sie nie ein Kind behalten…“ Ich war betroffen, obwohl ich Frau Altmann zeitweise hasste. Ein Schicksal, das man niemandem wünscht, auch nicht einer harten, unfairen Vorgesetzten…
© Vivienne