Zu weit gegangen

Weh dem, der sich der Gewalt bedient, die er über ein Herz hat! Goethes Spruch fällt mir immer wieder ein, wenn ich an Monika Nussbaumer denke. Die Frau, eine frühere Kollegin von mir, verdient meine ganze Hochachtung, weil sie es nach Jahren doch geschafft hatte, aus der Einbahnstraße einer unfruchtbaren Beziehung auszubrechen, in der sie nur eingeengt und ausgenutzt worden war. Dabei hätten Ali und ich darauf wetten können, dass sie diesen Ungustl von Lebensgefährten nicht mehr loswerden würde – weil sie nicht stark genug wäre, den Gordischen Knoten zu durchschlagen. Aber in diesem Fall sollten wir uns irren…

Vor Jahren habe ich, wie ich schon anklingen ließ, einmal mit Frau Nussbaumer gearbeitet. Sie war eine graue Maus, unscheinbar aber sehr sparsam und sie wusste an sich mit Geld umzugehen. Dass sie trotzdem eher einfach lebte, lag an ihrem langjährigen Freund, Walter Kriechbaumer. Kriechbaumer war arbeitsscheu, lebte die halbe Zeit vom Arbeitslosengeld und von seiner Freundin Monika, die ihn immer wieder unterstützte, auch wenn er sich in fragwürdige Geschäfte verwickeln ließ und Monikas Ersparnisse plünderte. Denn seine Wettschulden gehörten, wie in der Firma unter der Hand erzählt wurde, schon zum täglichen Brot von Frau Nussbaumer, die immer blasser und unscheinbarer aussah und ihre Mundwinkel zeigten nur mehr nach unten…

Ich war keine Busenfreundin von Frau Nussbaumer, ich habe auch – im Gegensatz zu anderen – nie mit ihr über ihren Freund und ihre Probleme durch ihn gesprochen. Aber sie tat mir Leid, trotzdem sich kaum persönliche Berührungspunkte ergeben hatten. Vielleicht lag mir Frau Nussbaumer auch nicht oder ich wurde durch die Person ihres Lebensgefährten abgestoßen, der immer wieder im Unternehmen auftauchte – meist um sich Geld von seiner Freundin zu holen. Oft trug er dabei eine speckige Lederjacke, die schon einmal besser Tage gesehen haben musste und ich weiß noch, dass er mir das eine oder andere Mal zuzwinkerte, wenn ich ihm über den Weg lief. Fast so, als bestünde ein geheimes Einverständnis zwischen ihm und mir, was ich auch zu Zeiten, als ich noch nicht mit Ali zusammen war, nur strikt von mir weisen konnte.

Wenn ich so nachdenke, bin ich davon überzeugt, dass Kriechbaumer ganz sicher nicht treu war und dass Monika Nussbaumer das ganz genau gewusst hat. Einige Zeit, nachdem Ali und ich ein Paar geworden waren, wechselte ich die Firma und ich verlor die Kollegin und ihren fragwürdigen Lebensgefährten völlig aus den Augen. Ich hätte auch gar nicht mehr damit gerechnet, noch einmal etwas von ihr zu hören, aber wie es der Zufall wollte, liefen mein Mann und ich ihr in der Linzer Pluscity über den Weg. Unsere Autos waren nebeneinander geparkt und als wir den Wochenendeinkauf einluden, trat plötzlich Frau Nussbaumer, die uns gesehen hatte, auf mich zu.

Um ehrlich zu sein, ich hätte sie fast nicht mehr erkannt, denn sie wirkte irgendwie ganz anders auf mich als noch vor fast drei Jahren. Sie war nicht mehr blass und außerdem trug sie ihr Haar modisch kurz mit rötlichen Strähnen. Ich versuchte meine Überraschung zu verbergen, während wir ein paar Worte wechselten. „Sie sind verheiratet?“ Frau Nussbaumer nickte freundlich. Ich überlegte fieberhaft, wann ich Frau Nussbaumer zuvor je freundlich gesehen hatte. „Gratulation! Steht Ihnen gut, Ihre Ehe…“ Ich bedankte mich. „Sie sehen aber auch sehr gut aus!“ Frau Nussbaumers Lachen perlte förmlich in meinen Ohren. „Das ist richtig. Wissen Sie…“ Sie wandte sich mit etwas leiserer Stimme an mich. „… ich hab ein paar Änderungen in meinem Leben vorgenommen und das hat mir wirklich gut getan.“ Ich klaubte nach Worten, aber meine Gesprächspartnerin nahm mir die Worte aus dem Mund.

„Bei mir ist es gerade umgekehrt wie bei Ihnen. Ich habe mich getrennt, und das hat mein Leben positiv verändert!“ Ich platzte beinahe vor Neugierde nach dieser Eröffnung, aber konnte, durfte ich da nachfragen? Doch Frau Nussbaumer nahm das Leben sicher sehr viel lockerer als noch vor ein paar Jahren und nahm meine Frage vorweg. „Ich weiß, was Sie sagen wollen: ich habe den Kerl hinausbefördert, für immer! Er wurde immer frecher und ich weiß mittlerweile, dass ich nicht die einzige Frau war, die er ständig geschröpft hat. Und wissen Sie was? Ich habe es genossen ihn rauszuwerfen!“ Frau Nussbaumer schien vor freudiger Erregung geradezu zu zittern. „Ich stehe für mich! Und er hat geglaubt, ich könnte nicht ohne ihn leben. Er! Ins Gesicht hat er mir gelacht: Du kannst doch gar nicht ohne mich sein! Du nicht!“ Frau Nussbaumer nickt energisch in der Erinnerung.

„Ich werde nie vergessen, wie er am nächsten Tag vor verschlossenen Türen stand. Ich hatte nämlich die Schlösser auswechseln lassen. Und wie er mich dann anrief und mir zuerst drohte und dann ganz klein wurde und bettelte. Nein, ich habe mich nicht erweichen lassen. Das war mir einfach zuviel gewesen. Er hat bei mir gelebt wie die Made im Speck und mir weismachen wollen, dass er unverzichtbar für mich wäre…!“ Frau Nussbaumer hielt kurz inne. „Ich bin danach aufgeblüht, ich bekam wieder Kraft und Lebensfreude. Und ich verstehe gar nicht, dass ich so lange zögern konnte, diesen Blutegel abzuschütteln…!“ Ich musterte Frau Nussbaumer interessiert und ich gönnte ihr ihr neues, zufriedenes Leben von Herzen. Nein, ich und Ali hätten seinerzeit alles verwettet darauf, dass sich im Leben dieser Frau nichts mehr ändern würde, aber der Mann an ihrer Seite war sich seiner selbst zu sicher gewesen!

© Vivienne

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