Temelin – Ansichtssache

Mein im Spätsommer dieses Jahres gefasster Entschluß in der Bohnenzeitung eine regelmässige Kolumne zu betreiben wurde bisslang – so ehrlich muß ich sein – nicht wirklich konsequent umgesetzt. Da der Jahreswechsel aber naturgemäß oftmals auch für Neujahrsvorsätze gebraucht (oder sollte ich sagen mißbraucht) wird, fasse ich somit einen solchen und melde mich mit frischen Elan zurück.

Ausschlaggebend dafür war mitunter aber auch eine Situation, bei der ich mich – zumindest im ersten Moment – von einer Werbebotschaft wie angezogen fühlte. Im Autobus sitzend auf dem Weg in die Arbeit fiel mir auf der Straße ein grell-gelbes Plakat ins Auge auf dem ich im ersten Moment nur den Satz „JA ZUM LEBEN“ in dicken schwarzen Lettern wahrnehmen konnte. Um welche Initiative mag es sich hier wohl handeln, vielleicht eine Aktion von Abtreibungsgegnern ? Noch ehe ich darüber nachdenken konnte hatte ich bei der nächsten Plakatwand die Gelegenheit, die Botschaft genauer zu betrachten. Der genaue Wortlaut – oder um es in der Sprache von Werbefachleuten zu sagen, die Werbebotschaft – lautet: „JA, ZUM LEBEN – NEIN, ZU TEMELIN“.

Ach ja, wie konnte ich nicht gleich darauf kommen. Das innenpolitische Thema Nummer 1 der letzten Monate geht in eine weitere Phase. Und Mitte Jänner startet bereits die Eintragungsfrist für das von der FPÖ initierte „Nein zu Temelin“-Volksbegehren.

1978 haben die Österreicher in einer Volksabstimmung entschieden, daß das Atomkraftwerk in Zwentendorf nicht in Betrieb genommen wird. Es ist keine Frage, daß ich über das damalige Ergebnis froh und auch der Meinung bin, daß es die richtige Entscheidung war. Natürlich hat nicht zuletzt der Reaktor-Störfall in Tschernobyl 1986 zu einer wesentlichen Sensibilisierung der Thematik Atomkraft beigetragen.

Worum handelt es sich nun aber bei dem Anti-Temelin-Volksbegehren ?

Seit 1998 wird über die Osterweiterung der Europäischen Union verhandelt. Sieben der zehn Beitrittsstaaten aus Mittel- und Osteuropa – Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien –  setzen zur Erzeugung von Elektrizität Kernkraft ein. Die anderen drei Länder haben auch Kernanlagen, beispielsweise Forschungsreaktoren oder Einrichtungen zur Entsorgung von radioaktiven Müll. Ein Großteil der in diesen Ländern benutzten Kerntechnologie – insgesamt handelt es sich um 27 Atomkraftwerke – stammt noch aus der ehemaligen Sowjetunion.

Die Beitrittsverhandlungen sind in 31 Kapitel gegliedert – darunter das Umweltkapitel, bei dem die Frage der Kernenergie naturgemäß eine bedeutende Rolle spielt. Seit 1999 verhandelt die Kommission über Fristen für eine frühzeitige Stilllegung von Kernkraftwerken, so konnte für 8 AKW’s in der Slowakei, Bulgarien und Litauen auch ein derartiges Übereinkommen unterzeichnet werden.

Doch wollen wir zurück zur Innenpolitik kommen. Die mit einigen Stimmen Vorsprung ausgestattete größere Regierungspartei unseres Landes hat sich nun dafür ausgesprochen, daß die Wähler entscheiden sollen und das „Nein zu Temelin-Volksbegehren“ initiert. Selbstverständlich stehe hinter dieser Aktion „kein parteipolitisches, sondern ein gesamtpolitisches Interesse“ kann ich der FPÖ-Webseite entnehmen. Dem Volk in heiklen Situationen die Möglichkeit der Direktentscheidung zu geben ist wohl tatsächlich zu befürworten.

Selten kommt es in Österreich vor, daß eine Regierungspartei das Instrument einer Volksbefragung einsetzt. Hier zeigt sich wohl, daß gewisse Kräfte in der FPÖ es doch ungemein verstehen die Rolle von Regierung und Opposition zu vereinen. Nicht zuletzt, wo den beiden eigentlichen Oppositionsparteien nicht der Vorwurf gemacht werden kann, daß sie der Regierung das Leben unnötig schwer machen würden.

Ich denke, daß nicht nur alle Parteien sondern auch praktisch alle Österreicher für die sogenannte „Nulloption“, also die Abschaltung des AKW Temelin sind.  Die Frage die ich in dieser Kolumne erörtern möchte ist die, was es mit dem Androhen eines österreichischen Veto gegen einen Beitritt der tschechischen Republik auf sich hat.

Unter vorgehaltener Hand unterstellen Kritiker den Initiatoren des Volksbegehren die Absicht „Ja zu Temelin, Nein zur Osterweiterung“ zu transportieren. Es wird die Gefahr erwähnt, daß nach Umsetzung der FPÖ-Forderungen Temelin am Netz sein könnte, Tschechien dafür aber kein Mitglied der EU wäre und damit auch in keinster Weise verpflichtet ist sich an europäische Sicherheitsstandards zu halten. Weitere Verhandlungen könnten damit unmöglich gemacht werden.

Das es dazu wirklich kommen könnte, läßt aber bereits die innenpolitische Sichtweise schwer zu. Eine „Europapartei“ ÖVP mag zwar ihrem Koalitionspartner oftmals schon entgegengekommen sein, sich das Verhindern der Osterweiterung aber auf die Fahnen heften zu müssen wäre doch kaum vorstellbar. Einen Koalitionsbruch wegen Temelin haben zwar die Klubobleute beider Parteien neuerlich strikt ausgeschlossen, andererseits meinte der Kärntner Landeshauptmann jüngst in einem Interview daß er Temelin für ein „hervorragendes Wahlkampfthema“ halten würde.

Ich bin davon überzeugt, daß eine nicht unbeachtliche Anzahl von Menschen das Volksbegehren in guter und berechtigter Absicht und Sorge vor einem atomaren Störfall unterschreiben wird.  Eine in Wählerumfragen und damit auch gegenüber den Koalitionspartner gestärkte FPÖ könnte mit Neuwahl-Gedanken liebäugeln, aber wohl auch die Koalition nur dann platzen lassen, wenn der Wunsch den Kanzler zu stellen zu groß wird. Auch wenn Schüssel es nicht zugeben wird, kann ein Ergebnis auch Auswirkungen auf die Verhandlungsführung in Sachen des für ihm bereits abgeschlossenen Umweltkapitel haben, dennoch wird sie aber weiter auf diplomatischer Ebene und ohne Veto-Keule stattfinden. Wie auch immer wird Temelin – mit durch Verhandlungen erreichten verbesserten Sicherheitsvorkehrungen – am Netz sein und die Tschechische Republik voraussichtlich spätestens 2004 Mitglied der Europäischen Union.

Pedro

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