20. Kapitel: Distanz

Es war ein Sonntagabend. Thomas und Constanze lagen im Bett. Constanze lag auf der Seite mit dem Rücken zu Thomas. Sie atmete regelmäßig und flach. Manchmal waren nachts ihre Atemzüge so flach, dass Thomas seinen Kopf ganz nah an den ihren schob, um das leise Ein- und Ausatmen zu hören.

Ab und zu in mondhellen Nächten, wenn durch die Ritzen der Rolläden genug Licht drang, konnte er, wenn er den Kopf ganz flach auf die Matratze legte, auch sehen, wie sich ihr Brustkorb bewegte.

Sie waren sich früher darüber einig gewesen, dass in ein Schlafzimmer kein Fernseher gehört. Ein Fernseher fürs Schlafzimmer war nicht in Frage gekommen. Man kann genauso gut im Wohnzimmer fernsehen. Darüber waren sie sich einig gewesen. Es war schließlich auch erwiesen, dass man bei laufendem Fernseher schlecht schlief.

Jetzt bereute er die Entscheidung manchmal. Seit der Fehlgeburt schlief er nicht mehr viel. Oft wachte er nach vier Stunden mit Herzklopfen auf, konnte dann häufig für Stunden nicht mehr einschlafen. Erst in den frühen Morgenstunden packte ihn die Schläfrigkeit und er nickte wieder ein, nur damit der Wecker ihn eine Stunde später weckte und er völlig gerädert aufstehen musste.

Er ertappte sich in letzter Zeit dabei, dass er sich in der Fernsehzeitung das Nachtprogramm nach Mitternacht durchlas. Wenn er dann um drei Uhr nachts wach im Bett lag, fantasierte er davon, alte Magnum-Folgen anzuschauen oder irgendwelche amerikanischen Serien aus den Siebzigern.

Zumindest lag er inzwischen während dieser Wachzeiten nicht mehr steif wie ein Brett da. Anfangs hatte er nicht gewagt, sich zu bewegen, um Constanze nicht zu wecken. Aber Constanze schlief inzwischen nicht nur tief, sondern auch lange. Manchmal dachte er: Wenn ich nicht noch ein bisschen Rhythmus in unserem Leben hielte, dann stünde sie gar nicht mehr auf.

Und wie er so dalag, fühlte Thomas sich plötzlich einsam. Er drehte sich zu Constanze und rutschte näher an sie heran. Er legte ihr sanft die Hand auf den Arm und schnupperte an ihrem Nacken. Dann rutschte er noch näher und schmiegte sich an ihren Rücken, legte den Arm um ihre Taille. Da änderte sich ihr Atemrhythmus. Ein Stocken, ein paar unregelmäßigere Atemzüge, ein kaum merkliches Versteifen ihres Körpers, und Thomas wusste, sie ist aufgewacht. Angespannt wartete er darauf, wie es weitergehen würde. Ob sie sich ankuschelte. Aber schon fiel die Spannung wieder von ihr ab und ihr Atem ging wieder in das triste, flache Einerlei über. Thomas spürte, dass dies keine Entspannung war, sondern eine Duldungshaltung. Er zog die Hand zurück und rollte auf den Rücken. Mit offenen Augen lag er da, bis er sicher war, dass sie wieder eingeschlafen war, und schaltete den Wecker aus. Dann nahm er zum ersten Mal, seit sie zusammen waren, seine Bettdecke und ging leise ins Wohnzimmer. Er schloss die Tür des Wohnzimmers, schaltete den Fernseher ein und stellte sein Handy auf Weckfunktion. Thomas schaltete sich durch die Programme, von Wiederholungen der Vorabendmagazine der Regionalsender zu schlechten Horrorfilmen, bis er bei Die Straßen von San Francisco hängen blieb. Er sah fern bis in die frühen Morgenstunden und nickte um fünf Uhr ein, bis der Wecker ihn um sechs wieder weckte.

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