Abschied von einem Mann Gottes


von Vivienne  –  Februar 2005


Abschied von einem Mann Gottes

Der Papst stirbt. Schrittweise. Schon seit Jahren. Und er weigert sich, es zur Kenntnis zu nehmen. Schon vor der Jahrtausendende war man geneigt, dem Papst nicht mehr viel Zeit zuzugestehen. Oder wie es mein Schwager Franz, Gatte meiner Schwester Sarkastica,  einmal etwas respektlos formulierte: Der macht es nicht mehr lange. Totgesagte leben länger, und dieser Mann, Papst Johannes Paul der Zweite, Karol Woytila, hat dem Tod immer wieder Zeit abgetrotzt. Das erste Mal nach dem Attentat auf ihn durch Ali Agja, als er Wochen im Krankenhaus lag, einige Zeit lang einen künstlichen Darmausgang hatte und um sein Leben kämpfte.

Vitalität war immer sein Markenzeichen gewesen. Johannes Paul der Zweite war rührig wie kein anderer Mann zuvor auf Petri Stuhl und er kam von selbst zu den Menschen. Nicht abgehoben, wie mancher seiner Vorgänger, sondern menschennah wie niemand zuvor. Und er mischte auch in der Weltpolitik mit, nahm maßgeblichen Anteil an den Entwicklungen um den Fall der Mauer und den Zerfall des Kommunismus in Europa. Stammte er doch selber aus dem ehemaligen Ostblock und war der erste Pole, der die Papstkrone trug. Johannes Paul war populär wie kein zweiter Papst zuvor, aber deswegen noch lange nicht unumstritten. Ohne Licht kein Schatten.

Seine streng konservative Haltung in Sachen Priestertum für Frauen etwa oder auch in der Verhütungs- oder Abtreibungsfrage brachte ihm nicht nur Lob und Begeisterung ein. Johannes Paul ist ein Papst, der die Gläubigen auch in eine neue Zeit geführt hat, an deren Schwelle er uns wohl verlassen wird. Im Kampf mit sich selbst, mit den alten Werten und mit einem frischen Wind, den auch er nicht aufhalten wird können. Ihm deshalb Vorwürfe zu machen, ist einerseits nachvollziehbar, andererseits aber auch oft zu leicht gemacht: der Papst musste mitverfolgen, wie die Katholische Kirche weltweit an Terrain verloren hat, wie sich auch Vorwürfe und Verurteilungen von katholischen Priestern wegen sexueller Übergriffe an Kindern mehrten. Es ist sicher nicht leicht, in seiner Position diese Verfehlungen zu tragen und damit fertig zu werden. Und daran mag manche seiner harten Haltungen leichter messbar und nachvollziehbar sein.

Der Papst ist schon lange nicht mehr gesund. Es gab schon vor etlichen Jahren nach einer Blinddarmoperation Gerüchte,  er würde an Darmkrebs leiden. De facto laboriert der Papst an Parkinson, der ihn zunehmend schwächt und in seiner Bewegung und beim Sprechen eingeschränkt hat. Hilflos wirkte der Papst oft, Mitleid erregend, für manche aber auch lächerlich, je nach Sichtweise. Gedanken an einen Rücktritt des obersten Priesters sind immer wieder aufgekommen, er erstickte sie jedoch auch immer wieder selber im Keim. Ich habe mich in dem Zusammenhang gefragt, ob das nicht auch ein Anzeichen jener Schwäche ist, die Macht, die man so lange innehat, einfach nicht aufgeben zu können? Das Argument, Gott bis zu seinem Tod dienen zu wollen, verfehlt da für mich seine Sinnhaftigkeit: Gott verlangt nicht Aufopferung bis zum Tod, auch nicht vom Papst persönlich.

Aber fast symbolisch scheint mir jetzt, dass man Johannes Paul nun durch einen Luftröhrenschnitt zumindest für eine gewisse Zeit die Möglichkeit zum Sprechen genommen hat. Müsste da nicht der Papst selber auch erkennen, dass er sein Amt besser zur Verfügung stellen sollte? Weil er Gott in seiner Verfassung einfach nicht mehr in der gewohnten Art dienen kann. Es gibt sogar einen Präsedenzfall aus dem 13. Jahrhundert, als ein Vorgänger Woytilas abdankte. Ein alter Mann mit angegriffener Gesundheit. Die Parallelen gäbe es durchaus, aber den Papst kann niemand zwingen. So ist es durchaus vorstellbar, dass Johannes Paul einmal praktisch mitten in seiner Amtsausführung zusammenbricht und stirbt. Unter den Augen der Öffentlichkeit, unter den Augen der Medien. Fast so wie beim Attentat auf ihn.

Ob Johannes Paul sich dessen bewusst ist? Oder ob er überhaupt erkennt, dass sein Leben ruhiger und weniger kräfteraubend ausklingen könnte, wenn er die Bürde der Verantwortung aus der Hand legt, solange er es  noch kann. Und welches Geschenk das eigentlich an ihn selber wäre und die Zeit, die ihm noch bleibt. Und die ist mit Sicherheit gezählt. Ich bin zwar überzeugt, dass der Papst das Krankenhaus auch diesmal wieder verlässt, aber ob er einen dritten Zusammenbruch in kürzester Zeit – und der hängt gewissermaßen in der Luft – wieder überstehen würde, wage ich schon zu bezweifeln. Der Tod klopft an bei Johannes Paul, würde ich es blumig umschreiben, und es hängt auch von ihm selber ab, wann er endgültig eintritt…

Vivienne

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