Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  April 2003



… und legte sich selbst ein Ei!

Nein, das ist keine verspätete Ostergeschichte, die ich Ihnen da heute präsentieren möchte. Auch wenn es sich im ersten Moment danach anhört. Es kommt oft vor, dass Leute sich für besonders schlau halten und meinen alle Vorkehrungen getroffen zu haben, dass es diesmal glatt geht oder eine Sache wirklich gelingt. Leider sitzt der Teufel oft im Detail, und ein besonders gefinkelter Plan oder eine wohl überlegte Aktion erweisen sich als Reinfall. So ist es oft im Leben, und gewisse Dinge lassen sich einfach nicht vorherberechnen oder in eine gewünschte Richtung lenken. Das ist der Lauf der Welt, aber nicht wirklich ein Problem – außer, ein besonders gewichtiges Ego fühlt sich deshalb getroffen.

„Der Rossecker hat getobt, das kannst du dir gar nicht vorstellen!“ berichtete mir Albert vor einigen Monaten, als er übers Wochenende wieder bei mir war. Der Grund für den Unmut seines Chefs (und meines Ex-Chefs!) lag in einer allzu natürlichen Eigenschaft begründet. „Frau Müller von der Buchhaltung hat ihm also erzählt, dass sie schwanger sei. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als sie ihm das gestand. Er wurde krebsrot im Gesicht, und sein linkes Augenlid, du weißt schon, das zuckte wie verrückt. Zuerst hat er die Müller wortlos rausgeschickt, dann hatte er einen seiner berühmten cholerischen Anfälle, den vor allem die Neumeier ausbaden musste. Ich hab geschaut, dass ich aus dem Büro komm – womöglich hätte er mich auch noch angeschrieen.“

Ich stellte Ali die Kaffeekanne hin und holte Milch und die Butter aus dem Kühlschrank. Das alte Lied: Eine Frau kann sich in einem Unternehmen nichts Ärgeres leisten als schwanger zu werden. Das kostet den Chef nur eine Menge Geld, die Arbeitskraft fällt für einige Zeit aus und muss nach der Karenz auch noch ein paar Monate behalten werden. Welches Unternehmen legt schon darauf wert? „Dabei musst du dir vorstellen, Viv“, erläuterte Albert weiter, während er uns die Marmeladebrote schmierte, „…vor zwei Wochen war schon der Lehrling bei ihm, Nina, die im 2. Lehrjahr ist. Auch sie erwartet ein Baby. Es ist schon grotesk, der Storch klappert über der Firma, ich frag mich, wer als nächste guter Hoffnung sein wird, oder vielleicht schon ist. Ein paar Leute haben eine Art Lotterie bei uns gestartet. Sie wetten, wer als nächstes wegen einer Schwangerschaft zum Chef geht. Wenn die Kandidatin nicht erraten wird oder ein Monat ohne Schwangerschaftsmeldung bleibt, gibt es einen Jackpot!“

„Das ist aber krank!“ konnte ich dieser Aktion wenig Lustiges abgewinnen, obwohl Ali während der Erzählung leise grinste. „Wer hat sich denn das einfallen lassen?“ Ach, ich denke Tom und Lois hatten die Idee!“ tat Albert ganz unschuldig. „Wenn der Rossecker den Leuten da drauf kommt, gibt es sicher Zoff!“ Wir tranken unseren Kaffee und ich schenkte mir eine zweite Tasse ein, als ich aus ein paar Überlegungen wegen der Buchhaltungsdame, die ich noch ganz flüchtig aus meiner Zeit dort kannte, hoch schreckte. „Und? Wer wir die Frau Müller ersetzen? Hat man sich da bei euch schon was überlegt?“ Albert griff zum zweiten Marmeladebrot. „Was ich so gehört habe, soll nächstes Wochenende in den Nachrichten ein Inserat geschaltet werden. Frau Müller, bei der es sich noch dazu um eine Risikoschwangerschaft handelt, weil sie schon einmal ein Kind verloren hat, wird ja nicht mehr allzu lange in der Firma sein. Rossecker hat außerdem ein paar Leute direkt angeredet, sie sollen sich im Bekanntenkreis umhören. Die Nachfolgerin soll auf jeden Fall nicht unter 40 Jahre alt sein und an einem Dauerjob interessiert sein.“

„Nicht unter 40?“ wiederholte ich etwas erstaunt. „Bei dem ganzen Jugendwahn am Arbeitsmarkt? Seltsam.“ „Überhaupt nicht seltsam!“ widersprach mir Albert. „Der Chef hat sinngemäß gesagt, dass er keine Schwangere mehr in der Buchhaltung haben will. Vor nicht einmal einem Jahr erst ging dort Frau Gruber in Karenz wegen ihres zweiten Kindes. Er will dem vorbeugen – und welche Frau über 40 kriegt noch ein Kind?“ „So ein Blödsinn, der Rossecker hat schon einen Vogel!“ Ich schüttelte den Kopf, aber ich kannte Alberts Chef noch gut genug von meinem Dienstverhältnis im Unternehmen. Er war ein eigenwilliger, sturer und bisweilen sehr menschenverachtender Choleriker, der dann bisweilen wieder mit merkwürdig viel Herz aufwarten konnte. Ich war aus ihm nie schlau geworden, und es war auch egal. Mich betraf es längst nicht mehr und Albert hatte mit der Buchhaltung herzlich wenig zu tun. Sollte Rossecker doch die Entscheidungen treffen, die er wollte, und seinen Unmut gegebenenfalls wieder an der Neumeier auslassen. Es tat mir nicht weh…

Nach diesem geruhsamen Wochenende hörte ich von Albert länger nichts über die Causa und mein eigener Job hielt mich genug auf Trab, als dass ich mich über die Ereignisse in dieser Großhandelsfirma minutiös erkundigt hätte. Bis mir Albert etwa einen Monat später mit spitzbübischen Lächeln verkündete, dass diese Woche die neue Mitarbeiterin in der Buchhaltung begonnen hätte. „Sie ist wirklich schon 41 Jahre alt. Eine hübsche Frau, aber halt nicht mehr ganz jung. Ledig, keine Kinder. Sie heißt Anita Danner und hat sich auf das Inserat hin gemeldet. Ich glaube, sie ist nett.“ „Das ist aber schnell gegangen – und die Frau Gruber? Ist die schon weg?“ erkundigte ich mich interessiert. „Kurze Zeit dürfte sie noch da sein, sobald das ärztliche Attest da ist, wird sie die verfrühte Karenz in Anspruch nehmen.“ Albert grinste und wies mich darauf hin, dass es einen Mehrfach-Jackpot im firmeninternen Schangerschaftslotto gäbe. Im ersten Moment musste ich mich ärgern, so ein blöder Männereinfall, aber Albert ließ mich gar nicht zu Wort kommen. Er nahm

mich bei der Hand und wechselte geschickt das Thema.

Wieder einige Wochen später. Die Weihnachtszeit und der Advent waren ausgebrochen und damit die allgemeine Schenkungswut. Albert und ich schlenderten an einem Wochenende durch den Weihnachtsmarkt am Linzer Hauptplatz. Einige Zeit verbrachten wir am Stand des Kefermarkter Kerzenziehers, dessen wunderschöne Kerzen eine große Faszination auf mich ausübten. Ich erstand schließlich ein Exemplar mit  Kerzenhalter, und gerade als ich das schöne Stück in meiner Tasche verstauen wollte, grüßte uns jemand im Vorbeigehen. Ich grüßte im Aufblicken automatisch zurück und sah zu meinem Erstaunen eine mir gänzlich unbekannte Frau, mittelgroß mit blondem Haar, die ein paar Worte mit Albert wechselte. Neben ihr ein unscheinbarer junger Mann, dunkelhaarig, und nicht viel größer. Albert stellte mich den beiden als seine Freundin vor und nach ein paar Minuten gingen wir wieder in getrennte Richtungen weiter.

Die Neugierde ließ mich nicht los. „Du, wer war das? Woher kennst du die?“ Albert grinste. “Das war Frau Danner, die neue Buchhalterin. Sie ist schon eine nette Frau, findest du nicht?“ Ich zog die Augenbrauen hoch. So sah also die Frau Danner aus. Aber wer war der junge Mann? Alberts Grinsen verbreiterte sich. „Ihr Sohn war das sicher nicht.“ „Irrst du dich da auch nicht?“ stellte ich seine Äußerung offen in Frage. Der war doch höchstens 23 oder 24 Jahre alt. Wie konnte Albert sich da nur so sicher sein? Albert blieb darauf hin stehen, nahm mich mitten auf dem Weihnachtsmarkt in den Arm und sagte mir ganz leise: „Weißt du, es kommt heutzutage öfter vor, dass sich junge Männer in etwas ältere Frauen verlieben, weil die einfach oft Qualitäten haben, von denen so manche Junge nur träumen kann.“ Natürlich verstand ich: wenn schon Albert und ich beisammen waren, warum sollte nicht auch Anita Danner einen jungen Freund haben? War doch schön! Aber ich selber bin halt leider öfter noch so voller Vorurteile, wurde mir klar, dass mir dieser nahe liegende Gedanke zuerst gar nicht gekommen war.

Weihnachten ging vorbei und ich dachte nicht mehr an die flüchtige Begegnung mit der neuen Arbeitskollegin und ihrem Freund. Albert erwähnte sie in seinen Erzählungen auch eher selten, und es gab genug Ereignisse in unserem eigenen Umkreis, die uns auf Trab hielten. Aber kurz vor Ostern tauchte Albert an einem Freitagnachmittag mit einem unwiderstehlichen Lächeln in meiner Wohnung auf. Er hatte mir, was ich zuerst gar nicht verstand, einen wunderschönen Strauß mit Frühlingsblumen gekauft, und als er mich da so umarmte und drückte, arbeitete mein Kopf fieberhaft, was denn in ihn gefahren sein konnte. Aber Albert ließ sich bitten, er spannte mich auf die Folter und räumte zuerst seine Tasche in aller Ruhe aus und fragte mich über Belanglosigkeiten aus. Mir war nicht ganz geheuer, Albert war sicher kein unaufmerksamer oder oberflächlicher Lebensgefährte, dass Blumen etwas wirklich Ungewöhnliches in unserer Beziehung darstellten, aber ich merkte an seiner ganzen Gestik, dass ihn etwas in eine ungewöhnlich gute Stimmung versetzt haben musste. Was zum Teufel war los? Albert wusste genau, wie er mich auf seine Art, ohne wirklich böse zu sein, piesacken konnte. Und schließlich ließ er die Katze aus dem Sack.

„Weißt du, dass der Mega-Jackpot der Schwangerschaftslotterie geknackt worden ist?“ begann Albert nachdem ich fast eine Stunde auf seine Erklärung gewartet hatte. Seine Augen blitzten und  er sah vergnügt aus wie lange nicht. Ich legte den Kopf leicht schief, sah ihn etwas scharf an und fragte gequält: „Und? Wer hat gewonnen? Und wie viel?“ Das Ganze tangierte mich nicht im Mindesten, und ich verstand Alberts Heiterkeit in keinster Weise. Wollte er mich auf den Arm nehmen? Albert legte mir die Hand auf die Schulter. „Was siehst du so gestresst aus? Ich verspreche dir, du wirst heute auch noch strahlen. Aber interessiert dich denn gar nicht, wer bei uns schwanger geworden ist?“ „Du wirst es mir sicher gleich sagen“, antwortete ich genervt. Albert lachte kurz, dann verkündete er mit weit ausholender Geste: „… and the winner is…. Anita Danner!“ Albert hatte mich richtig eingeschätzt, der Mund blieb mir vor Überraschung offen. „Das ist aber nicht dein Ernst!“ „Oh doch! Sie war heute beim Rossecker im Büro und hat es ihm gesagt. Ich sage dir, in der Firma brodelt es. Der Chef ist fast explodiert, als er es erfuhr. Zuerst hat die Neumeier, die ja Anita ausgewählt hat, eine auf den Deckel bekommen. Dann hat er den Lagerleiter runter gemacht. Es war einfach göttlich.“ Albert strahlte mich an wie Weihnachten und Ostern auf einmal und nahm meine Hände. „Außerdem habe ich den Jackpot geknackt – was sagst du dazu?“

Was konnte ich schon dazu sagen, wenn er mich so unwiderstehlich angrinste. „Verstehst du? Ein Dutzend Mal hat der Rossecker gesagt, dass er jetzt die Arbeitskraft in der Buchhaltung hat, die ihm vorschwebt. Eine, die ihm die nächsten 15 Jahre bleibt. Und jetzt ist sie nach einem halben Jahr schwanger geworden! Ist das nicht ein Heidenspaß?“ Ich musste mir das laute Lachen verbeißen. Albert hatte schon Recht, ich verstand ihn gut. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Herr Rossecker war sich wohl besonders schlau vorgekommen, als er bewusst eine Frau in die Firma geholt hatte, von der er mit Sicherheit annahm, sie würde nie in Karenz gehen. Aber bei aller Gewitztheit hatte er eines übersehen: wenn eben über seiner Firma sinnbildlich der Storch kreiste, da nutzte das alles nichts. Da wird auch eine Frau von fast 42 Jahren schwanger, selbst wenn jede Statistik dagegen spricht… Es war doch wirklich amüsant. Zur Feier des Tages gingen Albert und ich spontan italienisch essen und feierten den gewonnen Jackpot – und die späte Mutterschaft der Anita Danner.

Vivienne

 

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