Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
13.08.2005, © Vivienne
Die Sache mit dem Lottoschein
Ehrlich: wer uns träumt nicht davon, sich irgendwann mit ein paar Millionen beschaulich zur Ruhe zu setzen, vorzugsweise beim Lotto gewonnen? Ob nun in einem Chalet in den Bergen, auf einer Insel in der Karibik oder in einem mondänen Landhaus in der Toscana hängt letztlich nur vom Gusto des Einzelnen ab. Aber Lotto 6 aus 45 lebt von solchen Träumen, und darum fließen auch zweimal in der Woche zig Millionen Euro in die Kasse des österreichischen Glückspielmonopols, worüber auch der Finanzminister erfreut ist. Welche Hoffnungen bei jeder Ziehung platzen tut dem Erfolg keinen Abbruch
Es muss fast fünfzehn Jahre her sein, Lotto 6 aus 45 war noch verhältnismäßig jung und ich selber spielte auch noch regelmäßig. Ich träumte von einer hübschen, geräumigen Wohnung in bester Lage in Linz ohne einen Kredit für die Möbel aufnehmen zu müssen. Alles in allem also ein sehr bescheidener Wunsch, wenngleich meine Enttäuschung bei jeder Ziehung, damals nur am Sonntag, schon vorprogrammiert war. Ich setzte immer dieselben Zahlen, vorzugsweise meine Geburtsdaten und die des Mannes, in den ich gerade verliebt war. Vielleicht hätte mir das damals schon zu denken geben müssen
Auch mein Vater war von Anfang an ein begeisterter Zahler der Deppensteuer und im Vergleich zu mir auch noch relativ erfolgreich. Wie auch heute noch hatte er immer ein paar Scheine in petto, und entschied immer intuitiv, welchen er in welcher Runde spielte. Und dass mit netten, kleineren wie regelmäßigen Gewinnen. An einem Sonntagabend im Spätherbst verfolgte ich wieder einmal aufgeregt die Ziehung der ominösen sechs Zahlen. Mein Vater war auf dem Sofa eingenickt, erst bei den letzten Zahlen wurde er wieder wach und bekam plötzlich tellergroße Augen. Das sind ja meine Zahlen! Ich beachtete ihn zuerst gar nicht, weil ich wieder einmal feststellen musste, dass mir mein momentaner Liebster kein Glück gebracht hatte. Ich warf die Quittung achtlos in den Papierkorb, und dann erst realisierte ich den Ausruf meiner Vaters. Was sind deine Zahlen? Mein Vater deutet mit halbgeöffnetem Mund auf den Bildschirm, wo Jenny Pippal die gezogenen Zahlen rekapitulierte.
Ich hob die Augenbrauen. Du hast einen Sechser? Mein Vater nickte, seine Augen leuchteten. Ich war fassungslos. Der Neid fraß mich binnen weniger Minuten auf. Ich träumte von einer Wohnung in Linz aber neben mir stand mein Vater und er hatte das große Los gezogen. Diese Welt war so ungerecht, nein, das Leben musste nur von Zufällen beherrscht sein, sonst war ein derartiger Fehlgriff von Fortuna nicht erklärbar. Mein Vater war mittlerweile von der Couch aufgestanden und ging zur Garderobe, wo seine Jacke hing. Er begann in der Innenseitentasche zu kramen, während ich mir aus Frust eine Tasse Kaffee zubereitete. Kannst du mir bitte helfen? Die Stimme meines Vaters klang ein wenig verzagt. Er war damals schon stark fehlsichtig und ich konnte mir gut vorstellen, dass er die richtige Quittung suchte.
Ich stieß einen Seufzer aus, dann folgte ich dem Verzweiflungsruf und nach einer Minute hatte ich die Quittung mit den Zahlen aus Vaters Geldbörse gefischt. Das ist sie doch, oder? So weit ich das überblicken konnte, hatte mein Vater zwar keinen Sechser aber immerhin einen Fünfer mit Zusatzzahl getippt. Jetzt musste er nur noch bis Morgennachmittag warten, wenn das Ergebnis der Ziehung und die Gewinne veröffentlicht werden würden. In der Zwischenzeit war meiner Mutter aus der Küche gekommen und hatte die frohe Nachricht vernommen. Ihre Begeisterung kannte keine Grenzen und ich begann mich mit meinen Eltern zu freuen. Es war kleinlich gewesen so neidig zu reagieren, ich schämte mich fast und außerdem war ja nicht ausgeschlossen, dass auf mich wie meine Geschwister auch ein wenig von dem Segen abfiel.
Wir köpften eine Flasche Schlumbergersekt, die von einer Geburtstagsfeier vor ein paar Wochen geblieben war und in den leuchtenden Augen meines Vaters las ich Visionen. Er träumte schon von einem Urlaub in Tunesien und Marokko, wo er viel Zeit in seiner Jugend verbracht hatte. Die Wünsche meiner Mutter waren im Vergleich dazu etwas profaner. Ein Geschirrspülautomat, und vielleicht eine neue Gefriertruhe. Wenn noch etwas blieb, wäre ein neues, größeres Fernsehgerät kein Fehler. Ehe wir allerdings an alle meine Geschwister die frohe Kunde verbreiten konnten, platzte der Traum wie eine Seifenblase, von einer Minute auf die andere.
Mein Vater hatte es nicht lassen können, mit der Quittung gleich am nächsten Tag zur Trafikantin zu laufen. Die ihm mit Kennerblick auf den Schein und völlig ungerührt mitteilte: Aber die Quittung ist doch eine Woche alt! Mein Vater hatte sich geirrt, er hatte diese Woche einen anderen Schein gespielt. Und mir war das auch nicht aufgefallen, weil ich das Datum nicht angesehen hatte. So ein Pech! Ein heftiger Kater nach einem großen, langen Fest wäre noch relativ glimpflich ausgefallen im Vergleich zu der Enttäuschung, die sich bei uns breit machte. Tage saßen wir nur herum, mit langen Gesichtern und begruben unsere Wunschträume, besser gesagt die Scherben. Ein paar Stunden hatte eine Illusion unser Leben künstlich aufgehellt, uns hoch gehoben und unerwartet brutal wieder fallen gelassen. Aber ohne gröbere Blessuren denn wirklich abhängig waren wir von diesem Geld nicht gewesen
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