Das Träumen der Bäume – Vision einer Existenz

Die Sonne steigt und sinkt, als würde sie das Tal beobachten. Ich gehe, bleibe stehen, berühre die Rinde, spüre die Wärme, die Kälte, den Atem der Erde. Die Bäume stehen still, doch in ihrer Stille ist Bewegung – ein Puls, ein Traum, ein Schweigen, das alles umfasst. Ich frage mich: träumen sie? Träumen wir? Oder träumt das Leben selbst durch uns hindurch?

Frühling fließt in das Tal, weich wie Wasser, grün wie Erinnerung. Jeder Ast, jedes Blatt, jeder Lichtstrahl ist ein flüchtiger Moment, der nie wiederkehrt. Ich liege im Gras, lausche dem Wind, der durch die Äste streicht, und höre das Flüstern der Erde: Sei. Sei einfach. Alles andere ist Illusion. Ich spüre die Absurdität in mir, und doch ist sie süß wie Tau auf frischem Laub.

Sommer glüht in meiner Haut, in meinen Gedanken. Ich wandere zwischen den Bäumen, die Schatten wechseln wie Atemzüge, das Licht bricht durch das Grün. Ich spreche zu ihnen, und sie antworten in Schweigen. Jedes Rascheln, jeder Vogelruf ist eine Antwort ohne Worte, eine Wahrheit ohne Erklärung. Ich erkenne: Freiheit liegt nicht im Wissen, sondern im Loslassen des Wissens. Freiheit ist, zu sein, ohne zu fragen.

Herbst färbt das Tal in Gold und Rot. Blätter fallen, verwehen, verschwinden. Ich sitze unter dem alten Baum, fühle die Kälte, die Vergänglichkeit, und doch ist alles reich. Die Bäume lehren mich, dass jede Form vergeht, und doch bleibt etwas: das Sein, das Träumen, das Schweigen. Ich beginne, mein Leben wie ein Blatt zu sehen: vom Wind getragen, von der Zeit geformt, doch immer nur Teil des Ganzen.

Winter legt sein Schweigen über das Tal. Schnee deckt alles zu, dämpft jeden Klang. Ich liege unter dem Baum, sehe die Sterne glitzern zwischen kahlen Ästen, spüre den Atem der Welt. Zeit verliert ihre Bedeutung. Tage und Nächte sind eins, Vergangenheit und Zukunft verschwimmen. Ich bin kein Mensch mehr, der zählt oder fordert. Ich bin der Wind, der durch die Äste streicht, der Regen, der die Blätter küsst, das Schweigen, das alles umhüllt.

Die Jahre ziehen wie Wolken. Ich sehe junge Triebe wachsen, alte Äste brechen, Licht und Schatten wechseln. Ich spüre den Zyklus des Lebens in meinem eigenen Körper, in meiner eigenen Seele. Alles ist Bewegung, alles ist Stillstand, alles ist zugleich. Ich beginne zu träumen wie die Bäume: ohne Ziel, ohne Absicht, nur mit der Präsenz des Moments.

Am Ende meines Lebens liege ich unter dem alten Baum, der mich mein ganzes Leben begleitet hat. Ich fühle die Erde, die Kälte, die Sonne, den Wind, die Nacht. Ich erkenne: Das Träumen der Bäume ist das Träumen des Lebens selbst. Es gibt keinen Grund, keine Antwort, keinen Trost. Es gibt nur das Sein, das Schweigen, die Freiheit.

Und die Bäume träumen weiter. Ich träume mit ihnen. Endlos. Still. Vollkommen.

Ich bin nichts und alles zugleich. Ich bin der Atem der Erde, das Flüstern der Blätter, das Licht, das durch die Äste bricht. Ich bin frei.
Die Jahreszeiten kommen und gehen. Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Alles vergeht, und alles bleibt. Ich liege unter den Bäumen, und alles ist gut. Alles ist Sein. Alles ist Traum. Alles ist.

Doch eines Tages begriff ich, dass weder die Bäume noch ich selbst auf eine Antwort warteten. Die Welt war nicht verpflichtet, sich mir zu erklären. Sie stand einfach da, unbewegt und dennoch voller Widerstand – wie ein Stein in der Sonne, der keine Gründe braucht, um zu sein. Ich saß unter dem alten Baum und spürte, wie das Licht auf meine Haut fiel, und es erschien mir plötzlich selbstverständlich, dass alles ohne Zweck war. Und gerade darin lag ein Frieden, der mich fast erschreckte.

Ich dachte an die Jahre, die ich damit verbracht hatte, nach einem verborgenen Sinn zu suchen. Die Bäume hatten nie gefragt. Sie existierten, weil sie nicht anders konnten. Auch ich existierte, weil ich nicht anders konnte. Vielleicht bestand darin die einzige Wahrheit, die der Welt nicht widersprach.

Der Wind erhob sich, trug trockene Blätter über den Boden, und ich folgte ihrer Bewegung. Sie waren frei, weil sie nichts wollten. Ich erkannte, dass das Leben denselben Charakter trug: ein unaufhörlicher Fall, dessen Richtung niemand bestimmen konnte. Manchmal glaubte ich, die Bäume träumten. Doch nun erschien es mir eher so, als sei es der Mensch, der träumen musste, um nicht an der Klarheit der Welt zu zerbrechen.
Ich stand auf. Der Baum hinter mir war derselbe wie immer, aber ich hatte mich verändert. Ich wusste nun, dass die Freiheit nicht im Einssein mit der Natur lag, sondern im Bewusstsein, dass die Welt schweigt. Dieses Schweigen ist kein Trost, aber es ist ehrlich. Und in dieser Ehrlichkeit fand ich eine Art Aufrichtigkeit, die schwer zu leugnen war.

Während ich den Pfad entlangging, legte sich die Sonne tief über das Tal. Für einen Moment fühlte ich die Absurdität meines eigenen Schrittes – dieses Vorwärts, das zu nichts führte. Doch gerade dieses Vorwärts war mein Leben. Vielleicht war es das Einzige, was mir gehörte: die Entscheidung, weiterzugehen, auch ohne Sinn, auch ohne Ziel, einfach weil der Schritt selbst existierte.
Ich dachte: So träumen die Bäume nicht. Sie warten nicht, sie hoffen nicht. Sie sind. Und vielleicht, wenn ich ehrlich genug bin, genügt auch mir dieses Sein.

© Chefschlumpf 2025

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