Katzen polarisieren die Menschen. Manche hassen sie wie die Pest, andere vergöttern sie, aber niemand steht den geschmeidigen Geschöpfen auf vier Samtpfoten gleichgültig gegenüber. Ich persönlich liebe Katzen heiß, bin mit ihnen aufgewachsen und nenne einen fast sechs Kilo schweren, feuerrot getigerten Kater namens Stocki mein eigen. Stocki ist nicht nur ein Bild von einem Kater – ich kenne keine vergleichbare Katze – er ist trotz seiner Sterilisierung ein aktiver, agiler Kater geblieben, der, obwohl er ziemlich schwer geworden ist, mit athletischer Leichtigkeit auf den Küchentisch springt und außer Mäusen oder Ratten auch schon selber erlegte Fasane oder Hasen angeschleppt hat. Meinen Kater würde ein Leben nur im Haus völlig fertig machen, im Gegenteil: Stocki könnte problemlos in der freien Natur überleben, weil er der geborene Jäger ist. Kaum ein Vogel ist vor ihm sicher, aber er ist so an uns gewohnt, dass ihm allein, ohne menschliche Gesellschaft zu leben, auch keinen Spaß machen würde – obwohl er es sicher könnte.
Stocki kam natürlich nicht als der Jäger zur Welt, der er jetzt ist. Am 3. Mai 1995 erblickte er als eines von vier Jungen unserer Minki das Licht der Welt. Ich kann mich noch erinnern, wie ich von der Arbeit heimkam und erfuhr, dass unsere hochträchtige Katze endlich geworfen hatte und begab mich deshalb sofort auf den Dachboden. In einer Ecke, auf einem Haufen Heu, lag Minki, schnurrte zufrieden und säugte ihre neugeborenen Jungen. Damals schon nicht zu übersehen, dass mein Stocki, der einzige Rote im Wurf, natürlich der größte unter den Jungen war. Auch er schnurrte bereits hörbar und hatte sich den besten Platz an den Zitzen seiner Mutter gesichert. Das sollte auch so bleiben. Stocki war immer der erste, wenn es ums Fressen ging, bald überragte er seine Geschwister deutlich. Nachdem sich Stocki zu einem so schönen Tier entwickelt hatte, beschloss die Familie, ihn zu behalten während wir seine Geschwister an gute Plätze vergaben.
Der junge Kater wuchs heran und musste die traurige Erfahrung machen, dass ihn bald seine Mutter nicht nur nicht mehr mochte sondern einen Rivalen im Haus unserer Eltern in ihm sah. Streitereien zwischen den Katzen waren die Folge, bei denen der gutmütige Stocki am Anfang immer reiß aus nahm, obwohl er bald fast doppelt so groß wie Minki war. Wie jede echte Katze entwickelte auch Stocki schnell einen Jagdinstinkt. Waren es anfangs vor allem Schmetterlinge, die Opfer seines noch kindlichen Jagdtriebs wurden und die ich dann am Tag danach mit verstümmelten Flügeln durch den Garten flattern sah, wuchs natürlich der Ehrgeiz des Katers, endlich einmal eine Maus zu erlegen. An einem Spätsommertag schlug Stockis Stunde. Als ich das Fenster im Gang schließen wollte, weil es nach Regen aussah, hörte ich Stocki vor der Haustür miauen. Aber irgendetwas war merkwürdig an diesem Miauen, es klang anders als sonst. Ich ging die Stiege hinunter und öffnete die Tür, da stürmte Stocki gleich herein, und das Miauen klang noch viel merkwürdiger und lauter als zuvor. Erst da bemerkte ich, dass er eine Maus gefangen hatte, seine erste Maus.
Stocki legte mir das kleine Tier zu Füßen und schmiegte sich an meine Beine, schnurrte und gab mir zu verstehen, dass er gestreichelt werden wollte. Das tat ich dann ausgiebig, ich lobte ihn in den höchsten Tönen, er war ja schließlich erstmals als Jäger erfolgreich gewesen. Bis mir vor Schreck ein Schrei entfuhr: die kleine Maus, die eben noch ein paar Schritte vor mir auf dem Boden gelegen hatte, sprang plötzlich auf, lief die Stiege hinauf und verschwand im Wohnzimmer. Die Maus hatte noch gelebt. Stocki selbst war im ersten Moment perplex, als er, der unerfahrene, junge Kater der er war, endlich der Maus hinter her jagte, war sie nicht mehr zu sehen. Die Aufregung bei uns daheim war groß: wir stocherten mit dem Besen unter den Kästen, schauten in alle Winkel des oberen Bereichs des Hauses, aber die Maus blieb unauffindbar. Erst nach ein paar Tagen tauchte sie unter der Vitrine auf, offenbar hatte sie ihre Flucht nicht lange überlebt, weil sie doch schwere Bisswunden durch den Kater davon getragen hatte, und war in ihrem Versteck gestorben.
Auch wenn Stockis erste Jagd kein hundertprozentiger Erfolg war – seine Routine wuchs und sein Jagdinstinkt ist bis heute unübertroffen. Trotzdem ist Stocki auch eine Schmusekatze, wie sie im Buch steht, und sein Schnurren ertönt so laut, dass man davon wach werden kann. Mittlerweile ist er fast drei Mal so groß wie seine Mutter, die in der Zwischenzeit eine alte Dame von 13 Jahren geworden ist, sich aber noch immer so anmutig bewegt wie ein junges Kätzchen. Viele Katzenliebhaber sagen, dass eine Katze Haus oder Wohnung nicht verlassen sollte, weil der Straßenverkehr eine zu große Bedrohung darstellt. Das stimmt in der Stadt sicher, aber ich bin der Meinung am Land sollte eine Katze die Gelegenheit haben, nach draußen zu gehen, weil das Leben so doch viel natürlicher ist. Und eine Katze, die keine Mäuse fangen kann, ist für mich so wie so keine richtige Katze!
Vivienne