Herbert hatte es sich zuhause gemütlich gemacht.
Seine bessere Hälfte weilte in Ibiza.
Schon seit ewigen Zeiten fuhr Gerdi, wie sie von Herbert genannt wurde obwohl er wusste dass sie sich darüber ärgerte, in das Hotel nach Talamanca, immer wieder in dieses Hotel, gegenüber der Hafenmole.
Er wusste, dass Sie es liebte wie eine Dame von Welt behandelt zu werden und dort in diesem Hotel wurde Gerdi wie eine Dame von Welt behandelt.
Herbert war natürlich zu Anfang auch dort in diesem Hotel in Ibiza abgestiegen, aber seitdem er seinen Beruf aufgegeben hatte, fühlte er sich ganz wohl am heimischen Herd und gönnte es Gerdi, die natürlich mit richtigem Namen Gertrude hieß und eigentlich darauf bestand Gerti genannt zu werden, wie eine Dame von Welt behandelt zu werden.
Sie werden sich natürlich fragen, welchen Unterschied es machte für „Gerdi“ nicht „Gerti“ genannt zu werden und ich muss gestehen, dass ich mich solches auch jahrelang gefragt hatte, weil diese klitzekleine Kleinigkeit für mich keinen so großen Unterschied machte wie anscheinend für Herbert und natürlich Gerdi .
Und die Verstimmung die mit dieser klitzekleinen Kleinigkeit eines einzigen Buchstabens in einer Namenskürzung zu Tage trat, drückte auf unspektakuläre Weise das Verhältnis dieses seit ewigen Zeiten anscheinend in Fehde lebenden Ehepaares aus.
Herbert hatte es sich gerade gemütlich gemacht und sich beglückwünscht und sich eine von diesen „stinkenden Zigarren“ in den Mund gesteckt, wie Gertrude seine Coronas nannte die er natürlich immer nur auf der Terrasse rauchte, wenn Gertrude nicht in diesem Hotel als Dame von Welt behandelt wurde.
Der Sportkanal zeigte Tennis und es schien, dass ein kleiner Stern am Deutschen Tennishimmel aufzusteigen schien. Ein kleiner Becker schien dem großen Agassi seinen Abschiedssieg versauen zu wollen.
Herbert hatte während des Matches hineingezappt und war wegen des Namenskürzels B.Becker dort hängen geblieben.
Andre hatte gerade zwei Returns vergeigt und sah ziemlich gestresst aus und der kleine Becker machte eine gute Figur.
Naja mit Boris Becker hatte der Kleine keinerlei Ähnlichkeit das war Herbert sofort klar, aber die Cleverness mit der dieses Nachwuchstalent gesegnet war, du meine Güte, diese Cleverness schien ihm eine große Zukunft zu garantieren.
Herbert lag auf der Couch im Wohnzimmer und zog genüsslich an seiner Corona und blies Kringel zur Decke und dachte daran, dass er jetzt auf der Terrasse säße und nicht im Zimmer wenn Gertrude da wäre und nicht wegen großer Dame und so in Ibiza weilen würde.
Und Klein-Becker würde auch nicht Agassi in die Schranken weisen auf seinem neuen Fernseher, der auch nur Gertrudes wegen angeschafft wurde.
„Lass uns doch mal nach einem von diesen modernen Flachbildschirmen schauen, von dem alle in meinem Kränzchen schwärmen ! Das Bild von diesen Flachbildschirmen ist viel besser als bei den alten Fernsehern.“
Herbert wusste, dass Gegenwehr keine Aussicht auf Erfolg hatte wenn das „Kränzchen“ ins Spiel kam.
Es waren ja auch die anderen Weiber aus dem Kränzchen, die Gertrude immer zurieten, ohne ihn Herbert nach Ibiza zu reisen.
Herbert sah die Verzweiflung auf Andres Gesicht und musste an Gertrude denken, die ihn mit seiner stinkenden Zigarre zum Teufel jagen würde und er sich hätte entscheiden müssen, ob er nun eine Corona rauchen dürfe, oder Gertrudes Fernsehprogramm sehen müsse.
Der Sportkanal gehörte jedenfalls nicht zu Gertrudes bevorzugten Programmen.
„Musst Du schon wieder dieses blöde Sportfernsehen schauen? Jetzt habe ich schon die ganze Fussballweltmeisterschaft nichts gesagt Herbert und Du durftest Dir alle Spiele mit der Deutschen Mannschaft ansehen und ich habe nichts gesagt, Herbert und nun möchte ich auch mal meine Programme schauen!“ Wiederworte schienen bei Frauen wie Gertrude einfach abzuprallen so schien es Herbert immer, wenn er es mal versuchte. Und dass er es versuchte mal hin und wieder, daran konnte sich Herbert sehr gut erinnern.
Andre hatte Aufschlag und natürlich versemmelt. Herbert stellte es sich vor, wie Gertrude jetzt wahrscheinlich am Pool säße und sich vom Service einen neuen Drink zum Liegestuhl bringen ließe.
Wenn er so zurückdachte, musste er lächeln. Gertrude hatte damals in Hannover als Lehrmädchen angefangen und er der Geselle hatte sich sofort in ihre Sommersprossen verliebt.
Gertrude war mit ihren feuerroten Haaren und ihren neckischen „Guckeschecken“ eine völlig andere Erscheinung als Herbert bisher zu Gesicht bekommen hatte, in der niedersächsischen Provinz.
Als er dann nach Berlin wechselte zu einem neuen Arbeitgeber hatte sich Gertrude nach ihrer Gesellenprüfung auch dorthin begeben und sie hatten sich etwas näher kennen gelernt.
Als Herbert nach bestandener Meisterprüfung einen Salon in Berlin übernehmen konnte, hatten Sie vereinbart, zu heiraten und Gertrude stieg als Chefin ein.
Später hatte Gertrude immer behauptet, er Herbert hätte sie immer als Lehrmädchen behandelt und sie hätten niemals etwas im Geschäft gemeinsam entschieden.
Becker hatte den ersten Satz im Sack so schien es zumindest und Herbert hatte seine erste Corona geschafft. Und nun würde er mal nachschauen, wie er dem Besuchsvorrat im Barfach ihrer Schrankwand ein wenig näher kommen würde.
Ihm war natürlich bewusst, dass dieses auch nur unter Sonderveranstaltung zu begreifen ist.
Gertrude schien immer mitzuzählen, wenn er sich einen Drink sozusagen außer der Reihe genehmigen wollte.
„Musst Du schon wieder an den Weinbrand gehen Herbert, Du hast schon die halbe Flasche geleert seit Freitag und heute ist erst Dienstag, wo soll das nur hinführen und ich stehe mal wieder ohne da wenn wir mal wieder Besuch bekommen.“
Gertrude glaubte anscheinend, dass ihr Besuch auch der seine wäre, obwohl ihm ihr Besuch ziemlich Schnuppe war.
Herbert nahm eine der noch nicht angebrochenen Flaschen und überlegte ob er dieses farbige Gesöff überhaupt mag, aber um Gerdi zu ärgern und dass sie ihn mit faltiger Stirn anschauen würde war gewiss.
Boris, Herbert nannte den kleinen Becker für sich so, hatte gerade Vorteil „longline“ erstritten und schickte sich an den ersten Satz klar zu machen, als es geschah.
Ein Blitz durchzuckte Herbert, ein Blitz als hätten tausend Hexen auf Herbert geschossen und einige Dutzend müssen wohl auch getroffen haben.
Verflixt und zugenäht, ging das schon wieder los mit seinen Bandscheiben? Es war doch schon viel besser geworden in den letzten Wochen.
Und nun waren diese bösartigen Weiber wohl schon wieder auf dem Kriegspfad. Und hatten sich mal wieder ihn zu ihrem Opfer auserkohren.
Dass Andre schwer atmend an der Grundlinie kämpfte, konnte Herbert nicht sehen, als er sich zum Bad schleppte. Gertrude hatte doch diese „Hammersalbe“, die zwar fürchterlich brannte, aber hammerhart den Hexenschuss bekämpfte.
Er hörte auch nicht, dass in der Diele das Telefon klingelte und dass Andre Agassi „ fuck off“ brüllte.
Herbert fand die Salbe sofort und überlegte wie er wohl seinen Rücken erreichen könne obwohl er sich kaum rühren konnte.
Er merkte wie sich Ärger in ihm aufbaute. Verdammt noch mal, jetzt wo er Gertrude mal brauchte, musste die sich natürlich in Ibiza wieder mal Komplimente machen lassen, diese Dame von Welt !
Verflixt, jetzt ging`s ihm schlecht und kein Mensch ist da, der ihm aus seiner Pein hilft und er der arme Herbert muss wieder mal sehen wie er klar kommt.
Boris und Andre wechselten die Seiten und die Aufschläge und Herbert entschloss sich in der Badewanne Linderung zu suchen.
Er würde die Wanne füllen und dann ganz langsam in diese steigen und schon wäre der Schmerz verflogen und alles wäre in Butter.
Das Telefon hatte aufgehört zu klingeln und Herbert sah in seltsam verkrümmter Haltung zu wie der Wasserstand stieg.
Andre schien sich gefangen zu haben, was Herbert allerdings ziemlich egal war zu dieser Zeit. Ihn interessierte mehr zu klären, wie er ohne Schmerzen in die Wanne käme, ohne Hilfe.
Wenn Gertrude hier bei ihrem Herbert wäre wie es sich gehörte für eine verheiratete Frau, anstatt in der Weltgeschichte herum zu reisen und ihn hier in seinem Schmerz allein zu lassen.
Diese verflixten Weiber, wenn man sie mal braucht sind sie auf Trallala!
Boris hatte drei Aufschläge Andres abgewehrt und das Telefon hatte wieder sein Gebimmel aufgenommen. Herbert interessierte weder das eine noch das andere, sondern sein Problem bestand in der Erklimmung des Wannenrandes.
“Ass Boris“, Tränen der Hilflosigkeit auf Andres Wangen. Schmerzverzerrtes Gesicht als Spiegelbild auf Herberts Badezimmerkacheln .
Die Welt kann so ungerecht sein dachte Herbert und stöhnte laut als er in das etwas zu heiße Wannenwasser glitt.
Der Tag hatte so schön angefangen als er aufgestanden war und nach dem Frühstück mit Spiegelei, ohne Gertrudes Ermahnung „Herbert Ei und zuviel Butter fördern den Schlaganfall.“
Vom Hexenschuss hatte Gertrude bei Herberts Eierkonsum noch nie etwas gesagt.
Becker hatte den zweiten Satz vergeigt und das Telefon hatte noch zweimal gebimmelt und sich dann beruhigt als Herbert klar wurde, dass seine Rückenschmerzen nicht nachlassen würden und ein neues Problem am Horizont seiner Wahrnehmung aufzutauchen schien.
Wie sollte er, vor dem Erfrierungstod versteht sich, wieder aus der Wanne herauskommen ohne Hilfe von außen?
Becker hatte drei Aufschläge durchgekriegt und Herbert hatte den fünften Versuch, sich seitlich ohne allzu große Schmerzen aus der Wanne zu rollen aufgegeben und überlegte gerade ob lautes Schreien irgend jemanden auf der Straße alarmieren könnte und selbst wenn, ob dadurch überhaupt Hilfe möglich wäre.
Herbert hörte im Fernseher lautes Geklatsche und schloss daraus, dass das Match wohl zu Ende ist und fragte sich zwischen zwei schmerzenden Phasen, wer wohl der Sieger sei obwohl es ihn nicht wirklich interessierte, jetzt wo seine Probleme ganz anderer Art waren.
„Papa, wo bist Du? Alles in Ordnung? Ich binn`s Sabine ich habe mir Sorgen gemacht. Du bist nicht ans Telefon gegangen und ich habe die ganze Zeit versucht Dich zu erreichen.“
Sabine, Gott sei Dank. Sabine seine Tochter kam wie ein rettender Engel, zur rechten Zeit.
„Hier bin ich, Sabine, hier im Bad ich habe einen Hexenschuss und kann mich nicht mehr rühren. Ich sitze in der Wanne, aber alleine kriegst Du mich nicht heraus, befürchte ich.“
Herbert hätte trotz seiner Schmerzen jubilieren können.
„Vati, ich habe Jochen mitgebracht und wir bekommen Dich schon da heraus.“
Sabine schaute amüsiert um die Badezimmertür und lächelte, als sie ihren Vater als kleines hilfloses Stückchen Menschlein in der Wanne sitzen sah.
Im Fernseher erklang die Deutsche Hymne, als es Jochen und Sabine gelang, Herbert aus der Wanne zu hieven .
„ Mensch Papi, konntest Du mit Deinem Hexenschuss nicht warten bis Mutti wieder aus Ibiza zurück ist?
„Du weist doch Sabine, deine Mutter braucht doch ihren Urlaub. Endlich wird sie doch mal wieder so richtig freundlich behandelt und ich habe auch ganz gerne meine Ruhe, wie Du weißt.“
Herbert hatte es gar nicht mit bekommen, dass der Schmerz wie weggeblasen war.
Herbert war Friseur und gute Friseure waren noch nie um gute Ausreden verlegen.
Herbert war ein sehr guter Friseur!
Diese Geschichte ist meinem alten Freund Herbert Mosebach gewidmet, der nicht nur ein sehr guter Freund war, sondern auch ein sehr guter Friseur! Herbert ist am 2. Januar dieses Jahres viel zu früh, für immer von uns gegangen und weilt wie ich hoffe, nun in einer anderen Welt!
(C) Antoine Susini (chefschlumpf)