Aus dem Tagebuch über unsere Katzen – Teil 23

Schon 2 Jahre hatten wir unseren Hugo, und ich hatte gedacht, das frühe Kastrieren und lange Einsperren hätte sich bezahlt gemacht. Die magische Grenze der 2 Jahre (noch nie hatten wir eine Katze länger) wäre überschritten. Das weiße Kreuz auf seinem orangem Rückenfell wäre schon eine Zeichen gewesen und hätte seine Arbeit gut getan.

Vielleicht hatte ich es zu lange versäumt, ihn mit Weihwasser, ebenso wie meine Familie, zu schützen. Vielleicht hätte ich nach der Sache mit dem 3. Hasen nicht denken sollen, dieser hätte sein Schicksal ebenso wenig oder viel verdient wie dass Hugo unter ein Auto kommt. Vielleicht hätte ich nicht denken sollen, dass das Tier ja fast nur mehr frisst und schläft und nur schmeichelt, wenn es Futter will. Es schien fast so, als gäbe es Anzeichen.

Eines Sonntags am Morgen setzte ich mich zum Esstisch im Erker, von wo aus ich einen guten Ausblick auf ein unbebautes und ungemähtes Grundstück schräg vis a vis habe, den ich eigentlich kaum wahrnahm, bis… Ich erschrak zutiefst, als ich ein regloses oranges Fellbündel dort fast am Straßenrand wahrnahm. Ich war sicher, es wäre Hugo. Nicht noch einmal, wie bei unserer letzten Katze würde ich mich täuschen und bis zuletzt an ein totes Reh oder einen kleinen Hund glauben. Tiefe Trauer überkam mich. Mein ältester Sohn war mutig genug um hinzugehen. Doch er blickte nicht traurig, als er zurückkam. Es hatte tatsächlich jemand dort 2 tote Rehe in eine nicht sichtbare Mulde gelegt, sodass nur ein Teil davon sichtbar war, und zwar für unseren Nachbarn, den Jäger. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Kurz darauf hatte ich einmal Hugo am Morgen vermisst und überall draußen erfolglos gesucht. Ich war schon sehr besorgt, aber beim Kochen stand er auf einmal hinter mir! Mein Mann lässt ihn nämlich für gewöhnlich in der Früh herein. Entweder er frisst und will dann gleich wieder raus, oder er schlägt Radau (Miau), damit er frisches Futter bekommt, wobei er mich immer weckt und ich ihn schon oft verflucht hatte. Doch diesmal war beides nicht der Fall gewesen, sondern er hatte sich still und heimlich im Dachbodenzimmer im unbenutzten Zweitbett meiner Tochter schlafen gelegt!

Etwa eine Woche später holten wir unseren Sohn von Bahnhof ab. Auf dem Rückweg bat ich meinen Mann noch, beim Schlecker vorbeizuschauen, da Hugo wieder Futter brauchte und ihm das am besten schmeckte. Er fragte mich, warum ich es nicht beim Homeshopping bestellt hatte. Ich antwortete, da dort der Mindestbestellwert 15 Euro beträgt und ich sonst momentan nichts brauche. Und wenn ich Katzenfutter um 15 Euro bestelle (gut 40 Dosen), was schon ein Platzproblem wäre, hätte ich das Gefühl, das Schicksal herauszufordern, denn als unsere vorige Katze unter ein Auto kam, hatte ich 20 Dosen in Reserve. So kaufte ich 12 Dosen ein.

3 Tage später kündigte eine Schwägerin von mir spontan am Abend ihren Besuch an. Es kam mir nicht gerade gelegen, weil ich aufgrund der großen Hitze den ganzen Garten hätte gießen müssen, und man kann also auch nicht sehr früh damit anfangen. Aber Besuch hat bei mir immer Vorrang, und so goss ich lediglich das Wichtigste, um erst am nächsten Morgen die ‚große Tour’ zu machen. Irgendwie ging mir Hugo schon ab, aber ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern. Er hatte am Nachmittag mehrmals ‚gebettelt’, weil ihm die Futtersorte heute nicht übermäßig behagte, und bei der Hitze schmeckt es später wohl erst recht nicht mehr. Die Kinder tobten im Garten, bis es finster wurde, und dann hatte ich alle Hände voll zu tun, sie sauber ins Bett zu bringen und aufzuräumen. Geschafft von der Hitze und dem Stress an diesem Tag ging ich selbst ungewöhnlich früh ins Bett, sehr wohl bemerkend, dass Hugo nicht vor der Terrassentüre stand. Aber das war nicht absolut ungewöhnlich, er würde sich schon mit Mäusen durchschlagen, und die Nacht würde er ohnehin immer draußen verbringen.

Am nächsten Morgen vermisste ich Hugo schon und beim stundenlangen Spritzen des ganzen Gartens rief ich ihn immer wieder erfolglos. Ansonsten steht er draußen ständig hinter mir oder unter meinen Füßen. Als es schon ziemlich spät am Vormittag war, kam mir fast belustigt die Erkenntnis: Er schläft bestimmt wieder am Dachbodenzimmer! Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht einmal das Fehlen toter Mäuse rund um unser Haus bewusst geworden. Und auch am Dachbodenzimmer fand ich ihn zu Mittag nicht. Nun begann ich echt traurig zu werden. Alle 5 Minuten stand ich bei der Terrassentür, und mit jedem Mal wurde meine Angst mehr zur traurigen Gewissheit.

Hugo tauchte an diesem Tag nicht mehr auf und auch nicht am nächsten. Ich war sehr unglücklich und dementsprechend böse auf meine Kinder, die gar nichts dafür konnten. Die Hoffnung, wenn auch noch so gering, blieb. Würden wir ihn wenigstens irgendwo finden. Ich begann die Gegend und die Straßen abzusuchen. Jeder Gang in den Garten trieb mir die Tränen in die Augen, da er mir dann immer mit erhobenem Schwanz entgegen gelaufen war. Jedes Quietschen eines Windrads ließ mich erstarren und umsehen und machte mein Herz noch schwerer. Selbst unser Zwerghase und das Langhaarmeerschwein machten mir keine Freude mehr, obwohl ich beim Füttern immer acht geben hatte müssen, dass Hugo den Tieren nicht zu nahe kam.

Oft rief ich mir Erlebnisse mit Hugo in Erinnerung, der so stark an mir gehangen hatte, ob er von schwindelnder Höhe auf meine sichere Schulter gesprungen, oder nächtens heimlich in mein Bett gekrochen war, ob er mit mir fangen gespielt oder auf meinem Hals geschlafen hatte. Oder als wir ihn so lange gesucht hatten, und dabei war er heimlich auf den Dachboden geschlüpft und eingesperrt gewesen. Als ich ihn, als er noch klein war, nächtens vom anderen Bachufer geholt hatte, weil er sich nicht mehr zurück getraut hatte. Jede Fliege erinnerte mich an ihn, weil ich sie ihm sonst gern verfüttert hatte, da sie ihm so schmeckten.

8 Tage nach Hugos Verschwinden goss ich zum wiederholten Mal aufgrund der großen Hitze den Garten. Es hatte inzwischen ein paar mal schwach geregnet. Unser Grundstück ist ziemlich lang gezogen und verläuft an einem Bach entlang zu einem Spitz zusammen. An diesem Spitz habe ich eine große Palette stehen mit eingetopften Pflanzen drauf, die ich beim letzten Pflanzenflohmarkt (beim vorletzten war Hugo als Kind heimlich und unbemerkt auf dem Anhänger dort hin mitgefahren) nicht verkauft hatte, und weiteren, die ich schon für den nächsten vorbereitet hatte. Auch da musste ich immer gießen, weil ja die Pflanzen in den Töpfen ohnehin weniger Wasser speichern können.

Dort war mir schon ein paar Mal Aasgeruch aufgefallen, aber immer nur kurz, und wenn ich zu suchen anfing, war der Geruch ganz weg. Ich meinte schon, mich zu täuschen, weil der Nachbar auf der anderen Seite des Baches dort faulenden Grasschnitt deponiert hatte. Oder es könnte eine tote Maus in der Wiese dort liegen, das wäre nicht das erste Mal, dachte ich mir. Als mir diesmal wieder beim Gießen der Aasgeruch in die Nase stieg schaute ich schließlich unter die Palette. Da lag er.

Der Unterleib war schon verwest. Schließlich hatte ich unbemerkt immer wieder draufgegossen. Unmengen von Maden. Unerträglicher Gestank. Wie in Trance lief ich zu meinem Mann. Er war sehr verständnisvoll und schaufelte Hugo ein Grab. Das Kreuz habe ich selbst gebastelt und beschriftet. Während ich noch überlegte, ob ich mir eine Katze je wieder antue, bei all dem, was man an Geld, Aufwand, Ärger und Gefühl investiert, und das für höchstens 2 Jahre, meinte mein Mann, obwohl er doch so oft mit Hugo geschimpft hatte, wir würden schon wieder eine bekommen. Wer hätte das gedacht?

Ich quälte mich noch lange mit Gedanken, was wohl mit ihm passiert war. War er angefahren worden und hatte sich noch dort hin geschleppt, damit er zumindest zu Hause stirbt? Hatte er noch auf Hilfe gehofft, vielleicht dass ich ihn halte, wenn er seinen letzten Atemzug macht? Hätte ich ihm sogar vielleicht noch helfen können, wenn meine Schwägerin nicht da gewesen und ich ihn eher entdeckt hätte? War er dort allein in Schmerzen verreckt, während wir auf der Terrasse saßen und Spaß hatten? Oder hatte er Gift erwischt, vielleicht hat ihn gar ein böser Mensch vergiftet?

Mittlerweile hoffe ich fast, dass er vielleicht doch eine Krankheit hatte und mit Glück friedlich eingeschlafen ist. Komisch, aber der Gedanke ist immerhin angenehmer. Immerhin lässt der Schmerz nach der ganzen Trauerarbeit schon langsam nach. Man gewohnt sich doch relativ schnell daran, dass niemand in der Früh miaut, weil er Futter will, niemand beim Kochen und beim Essen bettelt, niemand bei der Terrasse hereingelassen werden will, einem niemand im Garten Gesellschaft leistet, man keine Katze suchen muss, wenn ein Gewitter naht, kein schnurrendes Tier Trost spendet, wenn man traurig ist – und die Mäuse im Garten sich rasend vermehren…

(C) Sarkastika

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