Meine Busenfreundin Vicky! Gemeinsam hatten wir im Lauf der Jahre so manches durchgestanden, Hoch’s wie Tief’s. Gerne erinnere mich an so einige Episoden, wie zum Beispiel, als sie in einen Mann verliebt war, der sie nur ausnutzte. Fleißig hatte er sie damals für sein Country-Music-Magazin schreiben lassen, Gefühle geheuchelt und doch nebenbei schon eine echte Liebe gepflegt: eine sexy Blondine, die ihm halt für’s Schreiben zu gut war. Hatte eine Zeit gedauert, bis Vicky sich davon erholt hatte, aber sie rächte sich subtil: nämlich mit einer Portion Katzenhaare in einem Brief an ihn – der Angehimmelte reagierte allergisch und büßte so für seine Bösartigkeit… Ach ja, lange war es her…
Mittlerweile hatte Vicky ihr Glück gefunden, bei Bert, einem Katzenliebhaber wie sie. Gemeinsam hatten sie zwei Kinder und fünf Katzen. Ganz selbstverständlich hatte sich diese Großfamilie aber auch nicht ergeben. Ein Arzt hatte Vicky und Bert versichert, sie würde nie Kinder bekommen können. Ein Jahr später war sie schwanger geworden, Sohn Tobias kam gesund zur Welt ebenso wie knapp zwei Jahre später seine Schwester Luise… Kinder, die es laut Medizin nicht geben dürfte, zwei Wunder für ihre Eltern und mittlerweile auch schon elf und neun Jahre alt… Heute besuchte ich die Familie mit dem Zug – Albert und seine Kollegen verbrachten ihren Betriebsurlaub in Innsbruck. Mein Mann würde erst in den Abendstunden heimkommen, Zeit genug, bei Vicky vorbei zuschauen…
Es war schon eine Zeit her, dass ich Vicky zuletzt gesehen hatte. Durch die Kinder und ihren neuen Beruf als Versicherungsvertreterin war es nicht mehr so einfach gewesen, gemeinsame Treffen zu organisieren… Ich erinnerte mich. Vickys damaliger Chef hatte sie bei ihrer zweiten Schwangerschaft zu einer Abtreibung gedrängt, vehement. Sie wäre ohnedies nicht mehr die Jüngste und mit einem zweiten Baby bestimmt überfordert. Ein Kind sei in Zeiten wie diesen ausreichend… Eine Frechheit im Grunde. Vicky weigerte sich und wurde noch in der Karenz gekündigt. Tja, mancher Firmenchef behandelte seine Mitarbeiter gerne wie Bauern auf dem Schachbrett…
Ich stieg aus dem Zug aus und hielt nach Vicky Ausschau. Da stand sie schon, lachte und wir fielen uns in die Arme. In ihrem Auto brachte sie mich dann zu ihr nach Hause. Ein Guglhupf stand auf dem Tisch und er duftet fast noch verlockender als der Kaffee… Wir setzten uns und mir fiel wieder ein, dass wir früher beide geraucht hatten. Vicky hatte bei der ersten Schwangerschaft aufgehört, ich selber kämpfte seit zwei Jahren gegen die Verlockungen des Glimmstängels. Leicht war es mir nicht gefallen, aber gesünder war es in jedem Fall… Vicky redete wie ein Wasserfall…
„Damals hätte ich es mir nicht vorstellen können, dass ich als Versicherungsvertreter dauerhaft arbeiten würde. Du weiß ja, nachdem mich mein Chef seinerzeit gekündigt hatte, war guter Rat bei uns teuer. Als mir die Versicherung anbot, für sie Kunden zu betreuen, hatte ich so meine Bedenken… Schließlich sagte ich zu, weil ich keine Alternativen hatte und natürlich die Vorteile sah: freie Zeiteinteilung, eigener Kundenstock und Provisionen.“ Sie bot mir ein Stück Guglhupf an. Ich genoss den Kaffee mit halb geschlossenen Augen und nickte. Ich verstand sie schon – bei allen Vorzügen war so ein Posten auch mit Unsicherheiten verbunden…
Kauend berichtete mir Vicky weiter. „Dank Bert entwickelte sich das Ganze aber sehr gut. Er sah auf die Kinder, wenn ich Abend- oder Wochenendtermine hatte. Anfangs fuhr ich mit dem Rad zu meinen Kunden, später ging sich dann der gebrauchte Wagen aus, den ich nun schon eine Weile fahre. Mein ideales Auto!“ Vicky blickte zufrieden und verteilte großzügig Schlagobers auf meinem und ihren Kuchenteller. Ich stöhnte, als ich an mein Gewicht dachte… „Und der Arbeitsalltag sieht ja nun ganz anders aus als früher. Vermisst du deinen Bürojob?“ wollte ich wissen.
Vicky schüttelte den Kopf. „Nein, nicht mehr. Anfangs schon ein wenig. Im Grunde muss man heutzutage flexibel sein, sonst vertut man sich die besten Chancen. Und man erlebt schon Kurioses – vom Kosten des selbstgebrannten Schnapses bei einem Kunden bis zu einer Wickeleinlage. Damals musste ich einer Kundin das Baby wickeln, weil die den Streit der beiden älteren Kinder zu schlichten hatte.“ Vicky lächelte. „Jeder Arbeitstag verläuft anders und langweilig wird mir nie. Und ich habe Zeit für Bert und die Kinder… ausreichend Zeit!“ Die Tür öffnete sich und die kleine Tochter meldete sich von der Schule zurück… „Tobias kommt erst in einer Stunde!“ antwortete Vicky auf meine unausgesprochene Frage. Das Essen habe ich am Morgen vorbereitet. Wenn Bert Dienstschluss hat, fahre ich noch zu zwei Kunden. Aber ich sollte vor 20:00 Uhr wieder daheim sein, dann bringe ich die Kinder noch zu Bett…“
Vickys damaliger Chef hatte sich wohl nicht gedacht, dass sie und ihre Familie so gut mit der Situation fertig werden würden. Genau genommen war auch die Kündigung ein Glücksfall gewesen, denn dieser Vorgesetzte hätte sich wohl nach der Karenz nicht umgänglicher oder fairer verhalten… Es freute mich, dass sich Vicky und Bert ein so schönes Leben aufgebaut hatten. Man bekam schon seine Chancen im Leben, man musste sie nur erkennen und nutzen, egal was passierte…
Vivienne/Die bunte Welt von Vivienne