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04.12.2005, © Vivienne
Alles halb so wild!
Der Mensch ist ein Wesen, das nicht leicht zufrieden zu stellen ist. Und vor allem pflegt er einen fast fatalen Hang, sich über Dinge zu ärgern oder unnötig Energie in Angelegenheiten zu stecken, die den Aufwand allesamt nicht wert sind. Dabei darf ich mich selber nicht ausnehmen, liebe Leser, auch ich kann mich an so genannten schlechten Tagen schon mal gehäuft darin üben, mich über Gebühr aufzuregen, und das über Kleinigkeiten. Im Wesentlichen bemühe ich mich aber seit einigen Jahren ganz bewusst, den Dingen jenen Wert zugestehen, den sie wirklich verdienen, und der ist in den meisten Fällen marginal
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Als ich heute Morgen (oder sollte ich sagen: Vormittag?) bei einem späten Frühstück saß und die Zeitung durchblätterte, fiel mir auf der Seite der Lesebriefe der Erguss eines Herrn auf, der sich jetzt schon einige Wochen nach dem Finale! noch immer über Toni Polster und seinen Beinah-Erfolg bei den Dancingstars erregen konnte! Über die Sympathie von Dagmar Koller zu dem Ex-Stürmer im Nationalteam habe ich mir selber schon sehr ironisch meine Gedanken gemacht. Und dass in einem Land, das trotz sehr durchschnittlicher Leistungen des Nationalteams, dem runden Leben rettungslos verfallen ist, darf die Popularität des polsternden Tonis niemanden verwundern.
Ist es wirklich so schlimm, dass es der begnadete Kicker bis ins Finale schaffte? Sind wir doch ehrlich, die Dancingstars dienten nun mal vorrangig der Unterhaltung und unter diesem Aspekt konnte gar nichts Besseres passieren als dass Toni und seine geübte Partnerin von Runde zu Runde mehr die Fans begeisterten. Ich denke, so richtig mit dem Sieg spekuliert hat keines der teilnehmenden acht Paare, wenngleich die spätere Siegerin Marika Lichter von Anfang an sehr viel Herz und Ehrgeiz an den Tag legte. Es ging aber natürlich ganz besonders auch um die Hetz, und was das betrifft hat sich Toni Polster als wahrer Weltmeister erwiesen, ein Glücksfall für die Dancingstars und zumindest mitverantwortlich für den großen Erfolg der Show in Österreich.
Die Unkenrufe des besagten Herrn in seinem Leserbrief erinnerten mich leise an einen Bekannten, mit dem ich vor einigen Jahren zu tun hatte und den ich sogar selber schon in einer Geschichte von mir untergebracht habe. Der durch sein reiches Elternhaus geschädigte junge Mann (anders kann man es nicht formulieren) hatten vor einem Grand Prix jede Menge Geld auf einen Sieg des von ihm favorisierten finnischen Rennfahrers gesetzt. Leider war das Glück dem Burschen nicht wohl gesonnen: der Finne blieb mit seinem Bolliden schon am Start hängen, kam also gar nicht ins Rennen. Der Schmerz des jungen Mannes war auch noch Monaten noch enorm, siegte doch auf der Strecke der von ihm so sehr gehasste Michael Schumacher, was sich zu der Schmach zusätzlich wie Salz in der Wunde anfühlte
Ich muss nach wie vor schmunzeln über diese Episode. Kann Sport so wichtig sein, dass mir wegen eines schlechten Ergebnisses die Kummerfalten wachsen? Sicher nicht, es gibt Wichtigeres im Leben. Vor gut zwanzig Jahren vermochte mich eine schlechte Saison der österreichischen Schifahrer noch zu ärgern, zu ärgern, dass ich Bauchweh bekam, ganz ehrlich, aber im Zuge eines Reifeprozesses nehme ich derartige Veranstaltungen längst nicht mehr besonders ernst. Das Leben es legt uns ganz andere Bandagen auf, reelle Prüfungen im Gegensatz zu irgendwelchen Harmlosigkeiten wie den angeführten. Mit denen muss man fertig werden und die muss man mit dem gebührenden Geschick zu meistern versuchen. Eine Fußballniederlage oder eine verlorenen Meisterschaft nehmen sich da vergleichsweise wie ein Furz in der Unendlichkeit aus.
Doch zurück zu dem Leserbrief in der heutigen Zeitung: Leserbriefe schreiben zu können, seine Meinung in einem Printmedium offen äußern zu können, ist eine großartige Sache, gar nicht hoch genug einzuschätzen. Trotzdem sollte sich dabei so mancher bei der Nase nehmen und prüfen, ob er nicht manches vergleichsweise Banale mit Akribie ankreidet. Wegen der Leichtigkeit, mit der man heutzutage via PC oder Mail seinem momentanen Unmut Ausdruck verleihen kann. Nicht jeder Furz muss unter die Leute und im Grunde haben wir doch alle meistens ganz andere Sorgen, oder? Es ist ein Zeichen von Intelligenz und wachem Verstand, wenn man sich Gedanken über seine Umwelt macht und sich speziell in der Politik kein X für ein U vormachen lässt. Aber man muss nicht jeden Regenwurm zum Ballon aufblasen
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