Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
09.06.2005, © Vivienne
Der Versager
Vickys Bauch war zu einer großen Kugel gewachsen. Sie beklagte sich bei mir, dass sie in gar nichts mehr passte. Während der Trauungszeremonie von Ali und mir, bei der sie in der ersten Reihe saß, zwinkerte sie mir dauernd zu. Und kurz quälte mich der Gedanke, die Wehen könnten bei ihr einsetzen und meine Trauung mit Ali noch verhindern. Aber der Sprössling von Vicky und Bert hatte kein Einsehen und wollte noch nicht auf die Welt, das heißt ich war plötzlich verheiratet und der Gedanke setzte mir zu. Am liebsten wäre ich davon gelaufen, dann küssten uns Albert und ich doch durch die geladenen Gäste (vor allem Alberts und meine Familie).
Geschafft. Mehr brachte ich nicht heraus beim Italiener, wo Ali und ich, Vicky und ihr Bert nach der Hochzeit noch beisammen saßen. Mich drückten meine neuen Schuhe, aber das war vergessen, als mir die Pizza Diavolo serviert wurde. Ich zog mir die Schuhe aus, die perfekt zu meinem hellblauen Hosenanzug passten, und hätte vor Erleichterung beinahe eine Reihe von unpassenden Worten von mir gegeben. Ali zog mich an sich, küsste mich immer wieder und schien eine rechte Freude zu haben, dass wir nun mehr auch offiziell ein Paar waren ein Zustand, den ich im Übrigen nicht gebraucht hätte, aber nun war es zum Einspruch zu spät
Bert, sonst sehr ruhig, sparte heute nicht mit guten Vorschlägen für uns. Die Freude über die Aussicht, demnächst Vater zu werden, war ihm in ins Gesicht geschrieben. Deshalb auch die fast ungewohnte Redseligkeit. Wir hatten längst gegessen, während Bert immer mehr aus sich heraus ging und Schwänke aus der Arbeit zum Besten gab. Ich musste zugeben, Vickys Mann zeigte nicht nur ein bisher kaum geahntes Talent zum Unterhalten, er wusste wirklich manch groteske Episode zu erzählen der Konzern, für den er tätig war, agierte weltweit und war dementsprechend groß. Leute kommen einem da öfter unter, man sollte es nicht für möglich halten tat Bert einen Griff in seinen Fundus. Vor einigen Jahren hatten wir einen fast fertigen Informatikstudenten bei uns, aus dem Mühlviertel gebürtig. Und was der in der relativ kurzen Zeit bei uns aufgeführt hat, spottet jeder Beschreibung
Ich zog die Augenbrauen hoch. Informatikstudent? Das verstehe ich nicht! Jeder Idiot kann aber auch kein Diplomstudium abschließen! Bert schüttelte den Kopf. Idiot war er sicher keiner, der Georg Wiesenberger, so hieß er, glaube ich. Aber auf eine gewisse Art und Weise zog er das Pech an, und gewisse Fertigkeiten hat er einfach während des Studiums nicht erworben, und das führte dann bei uns zu einigem Chaos. Ich brütete vor mich hin. Der Mann meiner Schwester Jacqueline ist Informatiker, ein hoch intelligenter Mann, der es schafft, dass ich mich als Computernull neben ihm fühle, obwohl er es nie darauf anlegt. Bert grinste. Auch wenn ich dir die Skepsis an der Nasenspitze ansehe der Typ konnte nicht Programmieren, er hat sich nur erfolgreich durchgeschummelt.
Mein fragender Blick erhöhte Berts Redefreudigkeit. Er hätte einmal in der Abteilung etwas an einem Programm abändern sollen, und das ist in die Hosen gegangen, ziemlich sogar. Der Schaden hat die Firma etliche tausend Schilling gekostet. Die Konsequenz war dann, dass sie ihn rausgeworfen haben, er war anscheinend kurz vor der Diplomprüfung gewesen Ich ergriff wieder das Wort. Der war aber sicher ein ziemlich schräger Vogel, so einer ist ja fast nicht echt. Was studiert der denn Informatik wenn es an elementaren Fähigkeiten mangelt? Bert grinste nicht mehr. Der Typ war im Grunde ein armer Teufel, ein Versager, einer, der es sich beweisen wollte, dass er doch was schafft. Von der Familie ist er vor lauter Liebe erdrückt worden, was er mir so erzählt hat. Eigentlich hätte es ihn nie geben dürfen, weil die Mutter gar keine Kinder bekommen sollte weil sie einmal so krank gewesen war. Aber nach fünfzehn Jahren Ehe ist sie doch noch schwanger geworden
Ich nippte am Mineral. Lebensuntüchtig würdest du es so beschreiben? Bert nickte energisch. Genau so würde ich sagen. Dazu kommt noch, dass er fatale Situationen angezogen hat wie ein Magnet Eisen. Der Mann war prädestiniert dafür Probleme zu bekommen Bert trommelte in Gedanken mit den Fingern auf den Tisch. Er hat mir einmal erzählt, dass er unangekündigt eine Schulkollegin in Wien besucht hat, die in einem großen Unternehmen in einem Hochsicherheitsbereich gearbeitet hat. Der Chaot hat es tatsächlich und außerdem auch noch ganz zufällig ohne Kontrolle geschafft, zu der Schulkollegin vorzustoßen. Und dann war der Teufel los, stell dir vor, beinahe hätten sie dort die Polizei gerufen. Er ist durchsucht worden, sein Aktenkoffer wurde gefilzt und dann haben sie ihn rausgeworfen mit dem Vermerk, sich hier nicht mehr blicken zu lassen Seine Schulkollegin hätte dieser unerwartete Besuch übrigens auch fast den Kopf gekostet!
Wir blickten uns alle gedankenverloren an, schwankend zwischen Grinsen und Nachdenklichkeit. Für uns Zuhörer mochten wohl die komischen Elemente überwiegen, aber der Typ selber war wohl mit einem schweren Manko ausgestattet. Angesichts von Berts Erzählung hielt ich es für sehr unwahrscheinlich, dass dieser Jungakademiker jemals den Sprung in eine berufliche Laufbahn schaffen hatte können außer es wäre ihm mittlerweile doch irgendwie gelungen, sich auf echte Talente zu spezialisieren. Was ich selber aber ausschloss, es schien mir nicht schlüssig. Ein armer Teufel, wie Bert gesagt hatte, ein Versager, der wohl irgendwann am Leben verzweifeln würde
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