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02.06.2005, © Vivienne

Die verlorene Tochter

Wann ist ein Ausländer ein Ausländer? Eine durchaus berechtigte Frage, denn wenn wir ehrlich sind: für wen sind Deutsche, Niederländer oder Schweizer schon „richtige“ Ausländer? Der Ausländer fängt doch für viele erst dort an, wo er aus dem ehemaligen Osten oder aus einem orientalischen Land stammt, im „schlimmsten“ Fall noch ein dunkler Typ ist mit braunem Teint und schwarzen Haaren. Dazu womöglich noch brüchiges Deutsch – unsereins ist auch oft noch begeistert vom hinreißenden, unwiderstehlichen Akzent eines Franzosen oder eines Italieners. Vor allem das weibliche Geschlecht. Ja, es wird zweierlei Maß gemessen bei uns, wenn es um Ausländer geht. Nicht nur heutzutage, auch schon früher…

Herr Bamminger war ein Patriarch wie er im Buche steht. Der Gemeinderat und Sohn des früheren Bürgermeisters übte daheim absolute Macht aus, wie in der Nachbarschaft immer gewitzelt wurde. Seine Frau hatte sich seinen Anordnungen zu fügen und die fünf Kinder genossen zwar ein recht luxuriöses Leben, denn Bamminger war alles andere als arm, aber auch ihre Freiheiten hatten Grenzen. Selbst seine jüngste Tochter, Carina, die ihn wie keines seiner Kinder um die Finger wickeln konnte, achtete immer sorgfältig darauf, dass sie ihre Anliegen zum rechten Zeitpunkt rüberbrachte – denn davon hing viel ab. Und Carina war nicht dumm.

„Wo ist sie?“ Albert stieß mich in dem Chinesischen Restaurant, in dem wir zu Mittag speisten, mit dem Ellbogen an. „Sei doch nicht so neugierig!“ drohte ich ihm spielerisch mit dem Finger. „Was glaubst du, wie das auffällt!“ Mein Freund drehte sich wieder um und ich deutete verstohlen auf die große, schlanke, blonde Frau, die aus dem WC kam. „Und wo ist die Familie?“ Albert ließ nicht locker. „Überhaupt, wie war das denn genau? Erzähl endlich weiter!“ Ich schüttelte den Kopf über das unmögliche Benehmen meines Freundes und zündete mir eine Zigarette an. „Na ja, die Tochter, Carina, kam vor einigen Jahren aus dem Italienurlaub zurück und hatte sich unsterblich verliebt, wie sie sagte. Der Glückliche war ein Arzt, um die Dreißig damals und wohl situiert.“

Ali blickte mich etwas zweifelnd an. „Wo lag da das Problem? War er verheiratet?“ Wortlos deutete ich auf den Mann an einem Tisch weiter hinten. Ein groß gewachsener Schwarzafrikaner, der sehr gut aussah und überaus kultiviert wirkte, empfing die Blonde mit leuchtenden Augen und einem Kuss. Drei kleine, dunkelhaarige Kinder, etwa zwischen acht und drei Jahren alt, mit hellbrauner Haut und dem obligaten Lockenkopf, drückten für mich die ganze Liebesgeschichte aus, die damals ihren Anfang hatte. Ali folgte meinem Blick und sein Gesicht drückte eine gewisse Betroffenheit aus. „Ich glaube, ich verstehe. Für den Herrn Bamminger sind offenbar alle Farbigen potentielle Drogendealer.“

„Nicht einmal so sehr!“ korrigierte ich meinen zukünftigen Mann. „Aber einen Schwarzen wollte er um keinen Preis der Welt zum Schwiegersohn. Obwohl der in den USA und in Deutschland an den besten Universitäten höchst erfolgreich studiert hatte. Obwohl er exzellent deutsch sprach und als westlich orientierter Mann keinerlei Ambitionen zeigte, sich wie der eine oder andere Farbige bisweilen von der Gattin aushalten zu lassen, weit gefehlt… Es war…“ ich dachte nach. „…im Grunde pure Ausländerfeindlichkeit, und das von der ärgsten Sorte. Denn einen besseren Schwiegersohn für sein jüngstes Kind hätte er sich wohl nicht wünschen können.“ Ich nickte Albert zu. „Der Mann ist eine Koriphäe, hat eine gut gehende Privatpraxis im Süden von Linz, arbeitet daneben auch im AKH – ich meine, was kann man mehr verlangen? Ganz abgesehen davon, dass er Bammingers Carina vergötterte.“

Albert hörte mir interessiert zu. „Das heißt, im Hause Bamminger war der Teufel los, oder?“ „So kann man es bezeichnen“, gab ich Ali Recht. „Dr. Yasu, so heißt er übrigens, durfte das Heim seines Schwiegervaters nicht betreten. Bamminger verbot seiner Tochter ebenfalls das Haus und glänzte bei der Trauung mit Abwesenheit. Im Gegensatz zu seiner Frau im Übrigen, die  ließ ihn das erste Mal in seinem Leben wettern und schreien und setzte ihren Willen durch. Deswegen hing auch ein paar Wochen der Haussegen schief. Bamminger soll im Übrigen gesagt haben, dass seine Tochter sich nicht mehr bei ihm blicken lassen dürfe, bis sie sich von ihrem Mann wieder getrennt hätte. Erreicht hat er damit nichts, ganz im Gegenteil. Carina ließ über Jahre nichts von sich hören.“

Durch den Eingang trat ein mittelgroßer, beleibter Mann, der schwitzte und leicht keuchte. An seiner Seite offensichtlich seine Frau, mit rötlichem Haar und in einem eleganten Kostüm. Sie gingen auf den Tisch der jungen Familie zu. Man begrüßte sich freundlich wie überschwänglich, schüttelte sich die Hand, umarmte sich. Die junge, blonde Frau strahlte. Ali, der die Szene verfolgte hatte, grinste mich an. „Wie ist es denn dazu gekommen? Das sieht ja wie ein Familienidyll aus!“ Ich dämpfte meine Zigarette aus. „Bamminger wurde schwer krank, Zucker. Er musste schließlich ins Spital eingeliefert werden und die Situation spitzte sich dem Vernehmen nach zu. Und schließlich erfuhr auch Carina, mittlerweile dreifache Mutter, vom kritischen Zustand ihres Vaters. Sie hat ihn kurzerhand besucht.“

Bamminger hatte sein jüngstes Enkerl auf dem Schoß sitzen und fütterte es mit Eis. Er lachte laut, als sein Sakko bekleckert wurde. „Es kam zur Versöhnung, das kannst du dir wohl denken, alle Ressentiments waren mit einem Mal vom Tisch. Und wenn der Herr Bamminger, mittlerweile in Pension, mit den Kindern seiner Jüngsten spazieren geht, kannst du dir keinen stolzeren Großvater vorstellen. Es ist echt tragisch, wie viel Zeit oft aus falschem Stolz verloren geht“, fuhr ich dann grübelnd fort. „Aber es ist wohl so: oft braucht man die Zeit wirklich, weil man vorher nicht reif dazu ist. Doch, was sag ich das dir…“ Albert schmunzelte in Erinnerung. „Meine spröde Vivi, wer weiß das wirklich besser als ich!“

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