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29.05.2005, © Vivienne

Erben will gelernt sein

Alis Onkel war neulich überraschend verstorben. Nicht, dass ich ihn überhaupt gekannt hatte, denn er hatte die letzten Jahre im Ausland verbracht, ein komisches Gefühl hatte der Anruf von Alis Vater aber doch bei uns hinterlassen. Wir saßen schweigend beim Abendessen, das Fernsehgerät lief und Albert erwies sich als sehr viel wortkarger als üblich. Er wirkte sehr nachdenklich und mir war klar, dass die eine oder andere Erinnerung an den Verwandten nach oben drängte und darauf wartete verarbeitet zu werden. Schließlich brach mein „Mann“ dann doch wieder sein Schweigen. „Fährst du mit mir auf das Begräbnis?“ Ich dachte nach. Alberts Onkel hatte zuletzt irgendwo im Norden von Deutschland gelebt und mir graute jetzt schon bei dem Gedanken an die lange Autofahrt bei der großen Hitze.

„Muss ich?“ Ich war ehrlich. Alis Onkel war ich schließlich nie begegnet. „Wenn du möchtest – du weißt, dass ich mich nicht sperre. Aber große Lust habe ich keine.“ Ali lachte. „Nein, du musst nicht, ich verstehe das. Es wäre ja nicht einmal sicher, ob du frei bekommst. Aber ich werde wohl fahren müssen…“ Ich umarmte Ali. „Wer weiß, vielleicht wartet ein großes Erbe auf dich!“ Ali lachte laut. „Ganz sicher! Mein Onkel hatte mit drei Frauen fünf Kinder, da gibt es nicht einmal einen Pflichtanteil für mich…“ Ich gab ihm Recht. „Da bleibt sicher nicht viel, selbst wenn dein Onkel ein wohlhabender Mann war.“ Ali schmunzelte. „Das war er aber nicht, mein Schatz, ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich wird er nur Schulden vererben…“ „Na dann.“ Ich legte meine Arme um Alis Nacken. „…lassen wir deinen Cousins und Cousinen doch dieses Erbe und kümmern wir uns um andere Dinge…“

Später lagen wir schon eine Weile im Bett, als mir abrupt eine uralte Geschichte wieder einfiel. Sie hatte sich vor über zwanzig Jahren zugetragen, vielleicht war es aber auch schon länger her, und sie betraf die Familie Burger in der Nachbargemeinde. Ich ging noch zur Schule, das weiß ich genau, und der Fall war so ungewöhnlich, dass er sogar in meiner Heimatgemeinde Wellen geschlagen hatte. Und – was sollte es anders sein – es ging natürlich um’s Erben. Albert beugte sich zu mir. „Eine Erbgeschichte? Jetzt bin ich aber gespannt!“ Ich konzentrierte mich und rief mir die Details in Erinnerung. „Na ja, es ging also um diese Familie Burger. Vier Kinder, zwei Söhne, zwei Töchter, alle erwachsen, verheiratet und Kinder. Und eigene Wohnungen. Also allesamt versorgt. Burger senior verstarb überraschend an einem Herzinfarkt. Und hatte ein unüberlegtes Testament hinterlassen.“

Ich zog mir die Decke bis zum Kinn. „Das Haus sollte nämlich der Frau und den vier Kindern zu gleichen Teilen gehören. Was natürlich für die Witwe keine leichte Situation darstellte. Wenn man das Haus verkaufen musste um die Kinder auszubezahlen, wäre sie ohne Bleibe dagestanden.“ Albert  stützte sich auf seinen Arm. „Und?“ Ich richtete mich selber auf und dachte noch einmal genau nach. „Einer der beiden Söhne hatte dann die Idee, dass alle vier Kinder zugunsten der Mutter verzichten sollten, dann hätte diese das Haus behalten dürfen. Und mit einem eigenen Testament das Erbe neu regeln können. Immerhin war keines der Kinder wirklich auf das Haus angewiesen.“

Albert kitzelte mich am Hals. „Und?“ Ich grinste und schob ihn weg. „Es wurde dann ein Termin beim Notar vereinbart. Der Verzicht aller vier Kinder sollte schließlich schriftlich festgehalten werden… Du ahnst nicht, was dann passiert ist. Einer der Schwiegersöhne hat sich dann geweigert mitzumachen, als alle anderen schon unterschrieben hatten. Ein ziemlich berechnender Typ, alles andere als ein grader Michl, was man danach so hörte. Der Teufel war los, das kannst du dir sicher vorstellen. Diese Familie erbte logischerweise das Haus und ließ die Mutter natürlich auch weiter dort wohnen, denn Platz war ja genug. Diese Leute dachten wohl, dass sich die Wogen im Erbschaftsstreit irgendwann einmal glätten würden… Die Zeichen standen ja auf Krieg.“

Ali schüttelte den Kopf. „Das ist ja nicht zu fassen, so ein Mistkerl! Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da schnell eine Versöhnung gegeben hat!“ „Da hast du völlig Recht!“ konnte ich meinen Freund nur bestätigen. „Was ich weiß sind die Familien heute noch verfeindet. So was kannst du dir gar nicht vorstellen. Nicht einmal die Kinder, also die Enkel pflegen Kontakt. Da geht ein Graben durch, gegen den der Grand Canyon im Vergleich dazu ein Nichts ist. Wenn es um Geld geht, hört sich bei den meisten alles auf!“ Ali legte sich wieder hin. „Leute gibt’s! Es wäre halt nötig gewesen, beim Aufsetzen des Schriftstückes einen Passus einzufügen, dass es nur dann Gültigkeit erlangt, wenn alle vier unterschrieben haben. Aber nachher ist man immer klüger….“

Vivienne

 

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