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22.10.2005, © Vivienne

Es muss wohl Liebe sein…

Ali sah mich neugierig an. Wir befanden uns gerade bei einer Ausstallung in der Aula der Hauptschule meines Heimatortes. Ohne ein Wort deutet er unauffällig auf die attraktive Mittvierzigerin mit brauner Lockenmähne und gewinnendem Lächeln. Das Channel-Kostüm passte ihr perfekt, dazu trug sie passende Pumps. Sie schob vor sich einen Rollstuhl, in dem ein älterer Mann saß, der eine dunkle Brille aufgesetzt hatte. Trotzdem ließ sich nicht verbergen, dass die linke Gesichtshälfte nach unten gezogen war und seinen Ausdruck entstellte. Die hübsche Frau war eifrig ins Gespräch mit ihm vertieft, zeigte ihm dieses und jenes. Der Mann lächelte, auch wenn das Lächeln etwas schief wirkte. Richtig, ich hatte Albert neulich von den beiden erzählt. Von dem ehemaligen Gemeinderat Kurt Fischer und seiner zweiten Frau, Mona…

„Er hat also seine erste Frau für sie verlassen?“ fuhr Ali fort, als die beiden weiter vorn vor einem der Bilder stehen geblieben waren. „Nicht ganz“, korrigierte ich meinen Mann. „Fischer hatte schon fast ein halbes Jahr getrennt von seiner Frau gelebt. Die war seine Jugendliebe gewesen, aber irgendwie war die Luft heraußen gewesen – man hatte sich entfremdet. Worauf Kurt Fischer die Konsequenzen gezogen hatte. Was ich weiß, hat er immer gesagt, er wollte nie eine Beziehung, in der man sich nichts mehr zu sagen habe. Und dann hat der die Hauptschullehrerin der Nachbargemeinde kennen gelernt. Mona Hartl…“

Alberts Blick folgte den beiden, die mittlerweile in ein Gespräch mit dem Bürgermeister vertieft waren. „Sie ist um einiges jünger als ihr Mann, nicht wahr?“ Ich nickte. „Fast zwanzig Jahre. Das Witzige an der Beziehung der beiden war, dass Fischers Noch-Frau deshalb lange gebitzelt hat. Eine junge Frau, die es nur auf Geld und Namen abgesehen hat! Es muss demütigend für sie gewesen sein, von einer so jungen Frau quasi abgelöst zu werden. Ich glaube, ich versteh das sogar…“ Einen Moment versank ich in Gedanken. „Jedenfalls forcierte Kurt Fischer trotzdem die Scheidung, überließ seiner Ex das gemeinsame Haus und begann mit dem Bau eines neuen Eigenheims – gemeinsam mit der jungen Frau. Sogar eine Tochter bekamen die beiden und wenn nicht Fischer weiter wie ein Irrer gearbeitet hätte, wäre das Glück wohl perfekt gewesen.“

Albert nickte zu meinen Worten. „Und wann bekam er den Schlaganfall?“ Ich überlegte. „Es muss fast zehn Jahre her sein. die Tochter ging jedenfalls schon zur Schule. So weit ich weiß, ist er spät abends im Büro einfach umgefallen und wurde erst am morgen entdeckt. Er befand sich in akuter Lebensgefahr, hatte mehrer Herzstillstände und musste auch operiert werden. Die Wochen müssen für Mona und die gemeinsame Tochter furchtbar gewesen sein. Sie hat dem Vernehmen nach fast fünfzehn Kilo abgenommen und sah aus wie der Tod. Ich dachte mir damals, die Frau wird nie wieder lachen können. Nie mehr.“ Kurz hatte ich Mona Fischers Bild wieder vor mir, wie sie von Tränen gezeichnet wortlos an mir vorbeilief um ihre Tochter von der Schule abzuholen…

Dann fiel mir die erste Frau Fischer ein. „Weißt du Ali, obwohl die Ehe ohnedies schon kaputt gewesen war, als Kurt Fischer seine erste Frau verließ, hatte die diese zweite Ehe nicht verwinden können. Und sie prophezeite lautstark, dass Mona ihren Mann mit Sicherheit verlassen werde – die habe ihn doch nie geliebt.“ Ali lächelte versonnen. „Ich verstehe. Aber diese Prophezeiung traf natürlich nicht zu – wie man sieht…“ „Richtig. In keinster Weise. Sie gab ihrem Mann in dieser Zeit sogar so viel Kraft, dass er nach einer Reha wieder gehen lernte. Zumindest kurze Strecken. Außerdem ging sie nur mehr halbtags arbeiten, um sich mehr um ihn kümmern zu können. Dabei…“ Ich deutete wieder auf das Paar. „…sie war noch eine junge Frau damals und bildschön. Sie hätte fast jeden haben können. Aber sie wollte ihn, verstehst du?“

Nachdenklich blickte ich Ali an. „Ich habe das erst richtig begriffen, als ich vor einiger Zeit einmal mit ihr gesprochen habe. Sie erzählte aus dem Alltag und dass der Stress sie agil halte. Schließlich ließ ich einmal eine möglichst taktvoll umschriebene Bemerkung fallen über das als Folge des Schlaganfalls entstellte Gesicht ihres Mannes und dass er wohl unglücklich darüber sei. Sie gab zu, dass er anfangs sehr darunter gelitten hatte – dadurch, dass man ihn damals erst so spät gefunden hätte, waren diese Folgen irreversibel. Aber Fischers Geist hatte Gott sei Dank nicht gelitten und…“ Ich machte eine Pause. „…irgendwann war ihr selber diese Entstellung nach einiger Zeit nicht mehr aufgefallen. Nur im Spiegel musste sie oft zur Kenntnis nehmen, dass ihr Mann ganz anders aussah als sie selber ihn sah… – ihre Liebe zu ihm war dafür verantwortlich. Sei ehrlich – gibt es etwas Schöneres?“

Vivienne

 

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