Das Fenster (irgendwo in Venedig) – Kurzgeschichten im Wiener Dialekt

Ein Fenster, alt, es befand sich auf einem Campiello, sehr verwittert und blind. Blind von dem vielen Schönen das es gesehen hatte, aber auch von den vielen Dramen, die sich in seinem Blickfeld abgespielt haben. Da war zum Beispiel die unglückliche Liebe eines Paares, das sich unweit des Fensters, auf einer Steinbank, die mit Lehnen aus Löwenköpfen und Pranken des Löwen geschmückt war, geküsst hat. Da die Frau, nach den Vorstellungen Ihrer Eltern, sich nicht einem mittellosen armen Mann einlassen durfte, traf sich die Unglückliche heimlich mit Ihrem Liebsten, einem Mann aus einfachen Verhältnissen, obwohl Er den ehrbaren Beruf des Fischers ausübte, dem schon sein Vater und sein Großvater nachgingen, war Er für die Eltern der Frau nicht standesgemäß. Der junge Mann, groß, schwarze Locken umrahmten das Gesicht, hatte eine kräftige Gestalt und Er hatte schwarze Glutaugen, die seiner geliebten so gefielen. Die Frau war eine reizende junge Frau im Alter von circa zwanzig Jahren, wohlgestaltet, sehr fraulich mit einem Madonnengesicht, dunklen Augen und hatte Hände, die verrieten das Sie keine schwere Arbeit gewöhnt waren. Sie trafen sich immer im Schutze der Nacht, obwohl man sich besser nicht nachts an diesem dunklen Ort aufhalten sollte. Denn in der Nacht sind jene Gestalten unterwegs, die aus gutem Grunde das Tageslicht als störend empfinden. Die beiden Liebenden kamen jeweils einzeln, jeder aus einer anderen Richtung. Sie aus einem Gässchen, schmal, mit Kopfsteinpflaster. Die Häuser der Calle, aus dem Sie hervoreilte, berührten sich fast mit Ihren Dachvorsprüngen und man hatte den Eindruck, man kann von einem Fenster dem gegenüber die Hand geben oder vielleicht sogar küssen? Er tauchte aus einem Sottoportego, den ein unbeleuchteter Torbogen abschloss. Die Öffentlichkeit sollte erst später erfahren, wer diese Beiden waren, als es in jeder Zeitung stand, dass sich beide aus Liebeskummer das Leben nahmen.

Doch auch berührendes, sah das Fenster. Eine alte Dame, wirklich eine Dame. Sie hatte eine Zierliche Figur, ein Kleid an aus Chiffon, elegante Schuhe aus feinstem Leder waren an Ihren zarten Füßen. Sie kam immer auf einen Stock gestützt aus schwarzem Ebenholz, mit einem Griff aus Elfenbein. Auf ihrem silberweißen Haar, hatte Sie ein Hütchen mit zartem Schleier, eine wahre Meisterleistung einer Putzmacherin. Meistens kam Sie vormittags, mit langsamen und doch festen Schritten. Ging auf die Steinbank zu, wischte mit einem Spitzentüchlein den Sitzplatz ab, den Sie gewählt hatte, um dann geduldig auf das freche Scoiattolo, ein Eichhörnchen, zu warten.
Das natürlich von dem Baum, der der Bank gegenüber stand, die Futterspenderin schon gesehen hatte und sich von Ast zu Ast nach unten schwang, manchmal hatte man den Eindruck, es verfehlt den nächsten Punkt den es avisiert hat, doch jedes Mal fasste es federnd den erwählten Ast und auf zum nächsten. Das Eichhörnchen lief über den gepflasterten Platz, verschwand hinter der Steinbank, schwang sich von hinten auf eine Lehne der Bank, neben der Dame. Der buschige Schweif zuckte hin und her. Als sich die Dame noch immer nicht rührte, sprang es über den Schoß der Lady, verschwand, um dann wieder auf der anderen Seite aufzutauchen. Jetzt schmunzelte die zarte Frau, nahm einen Beutel aus samt von Ihrem Handgelenk, öffnete Ihn, um eine Nuss heraus zu nehmen, hielt sie dem Eichhörnchen hin, das blitzschnell die Nuss nahm, sich auf die Lehne der Bank setzte und geschickt die Nuss öffnete, den Inhalt mit beiden Pfoten hielt und daran knabberte. Dieser Anblick machte die Frau, die sonnst alleine war, sehr glücklich. Zu Hause in Ihrer kleinen Wohnung, erzählte Sie dann Ihren Katzen, sie hatte vier davon, von Ihrem Erlebnis mit dem Eichkätzchen.

Nachmittags spielten Kinder gern Ball, mit einem bunten Ball, den Sie meistens in der Mitte des kleinen Platzes aufspringen ließen, Ihn auffingen und retour geht das Spiel. Hier bei dem alten Fenster störten Sie niemanden, da in dem alten Haus niemand mehr wohnte, oder doch? Das Fenster könnte es erzählen. Weil das Schloss der verwitterten Tür neben dem Fenster sah aus als wäre es frisch geölt. Dienten die Räume hinter der Tür als Lager? Oder als geheimer Treffpunkt? Oder ist es ein Hinterausgang? Wann ging jemand hinein, heraus?

Den wahren Grund werden wir nicht herausfinden und so bleibt es ein Geheimnis, außer man forscht nach. Aber lassen wir dem kleinen Campiello das Mystische oder hat es einen ganz banalen Grund. Das Fenster könnte es sagen, doch es schweigt, wie es seit Jahrzehnten es getan hat. Das ist das wunderbare an den verwinkelten Gassen in Venedig, man könnte über jeden Winkel Geschichten erzählen, die sich ereigneten im laufe der Jahrhunderten. Dazu muss man nur genügend Phantasie haben, um die Jahre Revue passieren zu lassen. Ein anderes mal, gehen wir mit dem Fenster in die Vergangenheit zurück und lassen es erzählen wie es damals war.

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