Das Grundrecht auf Alkohol

Zugegeben – es wird einem nicht besonders leicht gemacht in diesem Land, Kritik am vermeintlichen Grundnahrungsmittel Alkohol zu üben. Nicht nur das: wenn man Eskapaden und Sauftouren anprangert und die Selbstverständlichkeit, mit der mancher oder manche seinen/ihren Kummer im Alk ertränkt, wird der Spieß umgedreht und man wird seinerseits traktiert. Verzopft sei man, langweilig, verbittert, Moralapostel um nicht zu sagen „nicht lebensfreudig“ und vor allem Dingen unfähig zu beurteilen, wie gut einem ein Räuscherl hier oder dort tun kann. Weil man selber ja keine Ahnung hat – mangels echter Rauscherfahrung wie bei mir und mangels Verständnis für die großen und kleinen Freuden im Leben, die doch jeder braucht. Oder?

Natürlich sehe ich mich über derlei Angriffe erhaben, schon klar. Wer mich persönlich kennt oder meine Beiträge schon genauer durchforstet hat, weiß ohnedies, wie lächerlich solche Angriffe sind, weil sie jeglicher Grundlage entbehren. Ich bin keiner, der anderen den echten Alkoholgenuss abspricht (und nichts anderes!), denn im Grunde sind Wein, Bier oder Likör wunderbare Genussmittel – ganz genau das. Ähnlich wie Schokolade – und auch mit der muss man Maß halten: wer exzessiv genießt, wird dick, bekommt Verstopfung oder leidet schnell an Völlegefühl. Ähnlich verhält es sich mit Alkohol – das zuviel erst ist ungesund und macht chronisch krank, vielleicht auch abhängig, und schädigt die Organe, speziell Leber und Gehirn. Oh, ich weiß schon, wenn man so argumentiert, grinsen schon wieder manche Besserwisser mitleidig und meinen zynisch, dass es doch so viele Nahrungsmittel gäbe, die uns krank machen und den Körper schädigen. Auf den Alk käme es da gar nicht mehr an und außerdem hätte man dann wenigstens etwas davon gehabt. Ein alter Brauch hierzulande und auch anderswo: wenn du etwas kritisierst, wegen seiner schädlichen Wirkung auf die Gesundheit, wird deine Aussage gleich lächerlich gemacht – bar jeder Logik, aber dafür umso sicherer…

Man stelle sich nun folgendes Szenario um die Mittagszeit vor, wenn ein Teilnehmer einer feuchtfröhlichen Feier, die sich bis in die frühen Morgenstunden gezogen hat, endlich aus dem Bett findet: Mit brummenden Schädel, aber ein breites Grinsen auf den Lippen, obwohl er die Augen kaum öffnen kann: „Super war’s und a Gaudi und fett war ma a!“ (Übersetzt für unsere deutschen Leser: „Eine tolle Feier, wir hatten viel Spaß und gesoffen haben wir auch!“). Ich könnte natürlich jetzt meinerseits bissig wie seitenlang ausführen, wie erbärmlich solche Menschen eigentlich wirken, für die jedes Event oder gesellige Zusammensein mit einem Rausch verbunden sein muss, weil sich doch sonst der Sinn völlig in Frage stellt. Würde ich auch, wenn es nicht so besorgniserregend wäre, dass durch die Saat solch einer „hochgeistigen“ Lebensphilosophie unser Nachwuchs teilweise völlig ins falsche, weil hochprozentige Fahrtwasser gerät und Komasaufen damit zur gefährlichen wie fragwürdigen Trendsportart mutiert ist.

Jugendliche saufen, weil es in ist, weil es lustig ist, wenn man sich nicht mehr unter Kontrolle hat und übergeben muss. Mädchen trinken sich ins Koma, um den Burschen zu imponieren, Burschen möchte echte Männer sein, wenn sie sich diverse Alkoholika gleich flaschenweise einfüllen. Ich möchte wirklich nicht mehr jung sein, da man teilweise als Teenager schon ins Abseits gedrängt wird, wenn man sich der kollektiven Sauferei verweigert. Neulich in der Arbeit rissen wir in einem Gespräch diese fast schon tragische Entwicklung kurz an und eine Kollegin meinte sinngemäß, dass man als Teenager schon einmal über die Stränge geschlagen habe. Aber nie sei sie eine Widerholungstäterin gewesen und außerdem war sie immer streng darauf bedacht, den einen oder anderen „säuferischen Ausrutscher“ vor den Eltern zu verbergen. Weil es ihr peinlich war und weil sie die Reaktion der Eltern fürchtete… So mancher Jugendliche fürchtet die aber längst nicht mehr. Entweder ist es den Erzeugern egal, was ihr Nachwuchs treibt oder sie saufen selber munter. Tolle Vorbildwirkung. Die meisten Teenager kommen zwar irgendwann aus dieser Alkoholspirale wieder heraus, aber für einen nicht unwesentlichen Prozentsatz ist mit der frühen Alkoholikerkarriere das Leben schon verpfuscht: kein Schulabschluss, keine Ausbildung, kein solider Beruf…

Es gibt anscheinend nicht wenige Leute hier im Lande, die an ein Grundrecht auf Alkohol glauben. Natürlich nicht so direkt und unverblümt, wie ich es hier formuliere, sondern eher durch die ureigenste Einstellung, mit der man regelmäßig den Rausch anvisiert. Ob Kummer oder Ärger, ob Frust oder Unzufriedenheit – Alk muss her, als Sorgentröster. Alles wird durch ihn leichter und einfacher und wenn doch nicht, merkt man im Dämmerzustand zumindest nicht mehr so viel davon. Welch eine Perspektive! Welch ein jämmerliches Dasein! Sie finden, ich reagiere hart oder fast schon verbissen oder schieße mit meinem Zynismus über das Ziel hinaus? Ich denke nicht. Ich fürchte nämlich, dass so vielen Leuten überhaupt nicht bewusst ist, dass unser Dasein auch ohne die stimulierende Wirkung diverser Alkoholika durchaus lebenswert sein kann. Und wer gern über die Drogenabhängigen oder die Giftler schimpft und lamentiert, sollte sich zuerst selber an der Nase nehmen. Und vielleicht nur eine Woche lang auf seine tägliche Ration Bier oder auf die paar Achterl Wein zum Schlafengehen verzichten – ein Ansatz zum Nachdenken!

© Vivienne

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