Das Patenkind… – Die bunte Welt von Vivienne

Ich saß in der Küche der Firma und genoss meinen Kaffee. So ließ es sich ein paar Momente aushalten, bis die Pause wieder vorbei war und ich wieder zurück zur Arbeit musste. Eine Kollegin, Hella, warf eine Münze in den Kaffeeautomaten, und setzte sich dann mit dem heißen Getränk zu mir… „So nachdenklich?“ fragte ich sie, weil sie sonst immer ein fröhliches Wort auf den Lippen trug. Sie lächelte, schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nichts wirklich, weißt du, es nervt nur mit der Zeit…“ Ich war ganz Ohr, fragte aber nicht, sie sollte von selbst erzählen – falls sie dies auch wollte. Nach einem Schluck Kaffee begann sie dann tatsächlich zu reden. Langsam zuerst, dann immer schneller…

 „Du weißt ja, dass ich verheiratet bin und zwei Söhne habe. Mein Mann Stefan hat im Gegensatz zu mir wenig Verwandte. Seine Eltern leben nicht mehr, er hat nur mehr eine Tante und die ist selber auch kinderlos. Aber sie hat ein Patenkind, die Tochter einer Freundin. Da diese Freundin ein wenig unstet lebte, kümmerte sich Stefans Tante darum und nahm das Patenkind zu sich.“ Hella seufzte, starrte gerade aus und schien mich gar nicht wahrzunehmen. Ihre linke Hand hatte den Kaffebecher umfasst, aber auf’s Trinken vergaß sie je länger sie redete…

 „Das Patenkind ist Mitte zwanzig, das Mädchen heißt Martina und ist auch ein wenig unstet wie die Mutter. Mit 18 hatte sie eine kurze Beziehung, die mit einer Schwangerschaft endete.“ Sie klopfte mit der rechten Hand auf den Tisch. „Der Ex-Freund war längst über alle Berge und nicht auffindbar, Martina ließ das Kind abtreiben. Stürzte sich in die nächste Beziehung, die nicht viel länger hielt.“ Jetzt sah sie mich doch einmal an. „Was hat das mit euch zu tun?“ wagte ich nun doch eine Frage einzuwerfen. Hella sah tatsächlich ein wenig genervt aus und das konnte nicht allein am lockeren Lebenswandel einer jungen Frau liegen, mit der sie doch kaum etwas zu tun hatte. „Stefan, mein Mann, kennt das Mädchen von klein auf. Und nun hat sich Martina in ihn verliebt. Sie ruft ihn ständig an, möchte ihn treffen, besucht uns unaufgefordert und unangemeldet – kurz: sie will ihn.“

 Ich verstand, eine etwas seltsame Situation. Hella klopfte mit der flachen Hand auf den Tisch. „Stefan ist nicht verliebt, er ist auch nicht der Typ für so eine Affäre, wie sie Martina vorschwebt. Er verhält sich höflich aber bestimmt ihr gegenüber. Lässt keinen Zweifel aufkommen, dass da nichts ist und nie sein wird. Aber Martina lässt sich nicht entmutigen.“ Hella wandte sich wieder direkt an mich. „Ich mache mir keinen Gedanken darüber, dass Stefan mich betrügen könnte mit ihr. Das steht außer Frage, aber… Die ständigen Besuche und Anrufe… Die Art wie sie mit unseren Buben spielt und sie bemuttert, als wären es ihre. Das…“ Hella ballte die Faust. „Ich sage dir, am liebsten möchte ich sie manchmal aus dem Haus prügeln!“

 „Was sagt Stefan dazu?“ wollte ich an dieser Stelle wissen. Hella nickte. „Er beruhigt mich, rät mir, ich möchte Martina nicht ernst nehmen. Sie ist ja quasi eine Verwandte für ihn, da sie im Grunde wie das Kind seiner Tante aufwuchs. Er macht sich nicht so viel aus ihr… Und noch etwas hat er mir erklärt. So scharf ist Martina ja nur deswegen auf ihn, weil er höflich distanziert bleibt. Würde er nachgeben, und sich auf eine Affäre einlassen, würde sie schnell wieder das Interesse an ihm verlieren.“ Hella hob die Arme leicht resignierend, als sie mir das erzählte. Und sie fuhr fort. „Wahrscheinlich hat er recht. Lange Beziehungen hatte Martina nämlich noch nie. Es geht ihr um das Erobern des Unerreichbaren, des Verbotenen…“

 Ich nickte. Klar, so etwas nervt auf Dauer. Ich dachte darüber nach, ob man dem Mädchen nicht einfach das Haus verbieten konnte. Aber vermutlich hätte das nichts gebracht. Es war wohl das Beste, diese Situation auszusitzen und abzuwarten, bis Martina das Interesse verlor und ihr Herz jemand anderem schenkte. Ich blickte auf die Uhr und erschrak. Meine Pause! Ich klopfte Hella auf die Schulter. „Dein Mann hat wohl recht, ich verstehe dich gut. An deiner Stelle hätte ich so einer Person längst die Ohren langgezogen. Da bewundere ich deine Geduld. Aber ich muss rein. Bis nachher!“ Hella schmunzelte ob meiner Äußerung und die Angespanntheit wich ein wenig aus ihrem Gesicht.

Lustig war so eine Geschichte sicher nicht. Und gut wenigstens, dass Hellas Mann kein Casanova war, dem das Interesse eines jungen Mädchens schmeichelte. Es gäbe sicher genügend Ehemänner, die solchen Avancen bestimmt nicht widerstehen wollten. Fragwürdiges Argument: Man lebt ja schließlich nur einmal… Ich setzte mich an meinen Computer und nahm meine Arbeit wieder auf. Die Ohren langziehen? Hatte ich das tatsächlich zu Hella gesagt? Ich holte tief Luft. Viel eher würde ich solch ein Nymphchen ermorden, wenn es Albert schöne Augen machen wollte. Aber diesen Tipp wollte ich Hella dann doch nicht geben…

 Vivienne

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