Ali legte die Fernbedienung weg. Er gähnte. „Furchtbar das Fernsehprogramm! Wieder so eine dumme Kuppelshow! Da hat man einige Dutzend Sender und trotzdem nichts Ordentliches für einen netten Fernsehabend…“ Er wandte sich zu mir, grinsend, legte den Arm um mich, küsste mich und flüsterte: „Liebes, gehen wir ins Schlafzimmer? Ich hätte Lust auf ein wunderbares Ersatzprogramm…“ Ich musste lachen und löste mich aus seinem Arm. „Ali!“ gab ich mich gespielt ablehnend. „An was du schon wieder denkst. Außerdem… ich finde diese Kuppelshows wie „Bauer sucht Frau“ recht unterhaltsam – unfreiwillig komisch.“ Ali räusperte sich, er wirkte ein wenig gedämpft. „Alles ausgemacht. Teilweise sind die Aspiranten nicht einmal Singles. Die Protagonisten machen sich zum Narren. Alles nur für die Quote und um einmal im Fernsehen zu sein…“
Ich legte den Kopf auf Alberts Schulter. „Eh klar. Aber witzig ist es trotzdem. So richtig banal. Manche Leute können bei so was herrlich abschalten. Das kann ich mir schon vorstellen.“ Ich sah Ali fragend an. Der gähnte wieder. „Ich finde das furchtbar. Ich habe einen neuen Kollegen, Siegfried. Stammt aus dem Waldviertel, ist aber nach Ansfelden gezogen. Der Liebe wegen…“ Mein Mann setzte eine kleine Pause. „Siegfried stammt aus Raubersdorf, einem kleinen Nest im Waldviertel. Er hat mir neulich so eine Bauer-sucht-Frau-Geschichte aus der Gegend in der Arbeit erzählt.“ Ich heuchelte Interesse. „Aha?“ Ali nickte energisch. Seine Müdigkeit hatte sich verzogen… „In Raubersdorf muss es eine Greißlerei geben, viele Jahre betrieben von Vater und Sohn. Der Sohn übernahm vor einiger Zeit das kleine Geschäft, als der Vater starb. Der gute Mann war schon Ende vierzig, hatte eine ordentliche Glatze und war auch sonst kein Sonnenschein.“ Ali zündete sich eine Zigarette an. „Offenbar hatte der Greißler nie eine Freundin gehabt. Nur gelegentliche Besuche im örtlichen Bordell verhalfen ihm zu sexuellen Kontakten.“
Ja, so was soll es geben, ging mir durch den Kopf, vorzugsweise am Land. Kleine Tragödien, für die sich niemand interessierte… Ali nahm meine Hand und fuhr fort. „Irgendwie muss ein lokaler wie privater Radiosender davon erfahren haben. Man führte ein Interview mit dem Greißler, der laut jammerte, wie alleine er nicht wäre und dass er keine Freude mehr im Leben hätte. Er wünsche sich eine Frau und Kinder, so sehr…!“ Ali lachte. „Nach dem Interview wurde der Sender bombardiert mit Anrufen. So viele Frauen wollten den nicht mehr ganz jungen Mann kennen lernen… Ein Marketing-Fuzzi des Senders hatte daraufhin die geniale Idee, daraus eine großangelegte Serie zu machen, nach dem Vorbild im Fernsehen: Greißler sucht Frau…!“ Alberts Stimme klang feierlich.
Ich kicherte. „Nein! Du erzählst mir ein G’schichtl! Das stimmt doch nicht.“ Ali schüttelte den Kopf. „Auf mein Wort, Siegi hat es so erzählt. Die Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Und dann gab es Sonntag eine große Life-Sendung vom Frühschoppen. Alle interessierten Damen durften sich melden und vorstellen. Und stell dir vor, Vivi: In der Mitte der Greißler, im Trachtenanzug, neuer Haarschnitt und er roch, als hätte er in Pitralon gebadet…“ Ich stellte mir das bildlich vor, das war einfach zu komisch. Mein Mann ließ mit der Fortsetzung der Geschichte nicht weiter auf sich warten. „Der Radiosender hatte sensationelle Hörerzahlen, sogar das Lifestreaming des Senders im Internet brach zeitweise zusammen. Regionale Firmen klopften an um sich werbewirksam zu präsentieren…“
„Und weiter?“ unterbrach ich ihn, nun doch neugierig geworden. Ali lächelte und dämpfte die Zigarette aus. „Interessierte Damen gab es am Anfang genug, letztlich blieben dem Greißler zwei: eine blonde Enddreißigerin, die sogar aus St. Pölten angereist war und eine gleichaltrige Brünette aus Raubersdorf selbst, die schon eine Tochter aus einer früheren Beziehung hatte… Das Foto des Greißlers umflankt von den beiden Damen erschien auf der Titelseite einer lokalen Zeitung… Der Sender zog das klug auf: ständige Berichte im Radio, Lifesendungen, Gewinnspiele. Und der Bachelor, will sagen, Greißler begann sich wie ein umschwärmter Mann zu fühlen, dem die Frauen zu Füßen lagen. Soll heißen, er wurde ein wenig größenwahnsinnig. Er turtelte ein wenig hölzern mit beiden Frauen, küsste mal die eine, dann wieder die andere öffentlich. Oder er ging abwechselnd mit ihnen in einem der Wirtshäuser in Raubersdorf Abend essen. Die Wirte zahlten für die Namensnennung ihrer Lokale respektable Beträge und untertags gab es darüber auf dem Privatsender teilweise sogar regelrechte Werbesendungen…“
Ganz ehrlich, ein wenig hatte ich jetzt schon das Gefühl, dass Albert in die Märchenkiste griff. Die Geschichte entwickelte sich, je länger er erzählte, zu einem farbenprächtigen Spektakel, in das Alis blühende Fantasie durchaus ein wenig mit einfloss. Aber das machte nichts, das gefiel mir… „Die Geschichte steuerte nun dem Höhepunkt zu. Der Greißler sollte bekannt geben, für welche der Damen er sich entschieden hätte. Aber die Lifesendung geriet zum Eklat. Eine Stunde vorher reiste die St. Pöltnerin nämlich wieder ab, in Richtung Heimat. Und schließlich stellte sich heraus, dass der bauernschlaue Greißler den beiden Rivalinnen je eine Liebesnacht abgerungen hatte. Er ließ die Damen im Glauben, sie wären dann die Erwählte, wenn sie ihn erhörten. Aber die zwei Frauen konnten das nicht bei sich behalten, darum flog die Sache auf. Während die Blondine also gleich wütend die Flucht ergriff, zog sich die Brünette auch zurück. Der Greißler blieb übrig – und ohne Frau.“
Ali nahm mich in den Arm. „Und jetzt meine liebe Vivi wird das Programm im Schlafzimmer fortgesetzt! Der Bachelor hat gewählt…“
Vivienne/Gedankensplitter
Tja, Julian Assange auch in Sankt Pölten?
Assange ist überall! 🙂