Der kalte Franz – Die bunte Welt von Vivienne

Der Spaziergang durch den Adventmarkt neulich war durchaus sehr romantisch gewesen. Ali und ich hatten uns einen Beerenpunsch gegönnt und bei der Gelegenheit hatten wir Bekannte seiner Eltern getroffen. Kurt Schweiger und seine Frau waren nette Leute und Kurt, längst in Pension, begann von seiner ehrenamtlichen Zeit beim Roten Kreuz zu erzählen. Er spendierte uns allen nochmals einen Punsch und klaubte in seinen Erinnerungen. „Wisst ihr, jeder Nachtdienst ist anders. Es kann gar nichts sein oder eine Menge passieren. Zu manchen Feiertagen war oft wirklich tote Hose. Im Laufe der Zeit hatte ich die Eigenschaft erworben, dass ich binnen einer Minute einschlafen konnte.“ Er lächelte verschmitzt. „Aber genauso war ich dann auch sofort hellwach, wenn ein Unfall gemeldet wurde. Und fuhr mit den Kollegen gleich los…“

Mir war schwindlig geworden. Ein Punsch belebt und regt an, aber ich bin mit zwei Häferl dann auch schnell fast betrunken. Ali sah mir sofort an, wie ich beisammen war. Er zwinkerte mir zu und legte den Arm fest um mich während ich versuchte, den Geschichten von Kurz zu folgen. „Manch einer wird sich fragen: warum macht man das? Ehrenamtlich noch dazu?“ Kurt nickte zu seinen Worten, im Brustton der Überzeugung. „Weil diese Arbeit wichtig ist, unschätzbar wichtig. Unser Gesundheitssystem würde kollabieren, wenn es keine ehrenamtliche Arbeit gäbe.“ Ich setzte zweimal an, weil ich das Gefühl hatte, meine Zunge würde nicht gehorchen aber irgendwie konnte ich die Frage dann doch anbringen. „Gibt es etwas Besonderes, an das du dich bei dieser Tätigkeit erinnern kannst?“

Kurt dachte nach. „Es gäbe so viele Sachen, die mir einfielen… einmal retteten wir einen Schwan von einer Donaubrücke. Das war vielleicht ein Einsatz – davon wurde sogar im Radio gemeldet!“ Er lachte kurz. „Aber weißt du, da war schon eine Sache…“ Er hielt inne um genau nachzudenken. „Da war doch der kalte Franz. Ein Sanitäter in den Dreißigern, den ein seltsamer Nimbus umgab…“ Er senkte seine Stimme. „Es hieß von ihm, dass es bei jedem seiner Einsätze einen Toten gab.“ Er schwieg um die Wirkung seiner Worte zu verstärken. „Das klingt sehr gruselig, und ich wusste lange nicht, ob es wirklich stimmt. Ehrlich gesagt, ich wollte es auch gar nicht wissen. Bis ich bei einem Einsatz im November dann Franz als Partner bekam. Und ehrlich gesagt, ich war nicht glücklich darüber…“

Am liebsten wäre ich in Alis Armen eingeschlafen, auf der Stelle. Ich war streichfähig, aber bei diesen Worten wurde ich wieder wach. Ich grinste Kurt ein wenig blöde an wie mir schien und hauchte. „Und?“ Auf dieses Stichwort hatte Kurt gewartet. „Nun, ich erschien zum Dienst und begrüßte die Kollegen, die da waren. Franz kannte ich noch nicht, ich gab ihm die Hand und sie fühlte sich kalt an, wirklich kalt. Ich bekam eine Gänsehaut, das weiß ich noch. Ich setzte mich wortlos und holte mir einen Kaffee von der Kaffemaschine. Er war stark und bitter und schmeckte mir gar nicht…“ Kurt nahm den letzten Schluck von seinem Beerenpunsch. „Der Abend schien recht ruhig zu werden. Zwei Kollegen fuhren zu einem Pensionisten, der Herzprobleme hatte. Nichts Dramatisches. Ich hoffte schon, dass dieser Einsatz ereignislos vorüber gehen würde, als ein Verkehrsunfall auf der Bundesstraße gemeldet wurde…“

Plötzlich war ich völlig munter. Die Wirkung des Punsches war wieder verflogen. Und ich war ganz gespannt, wie die Geschichte weitergehen würde… Kurt fuhr auch schon fort. „Mir gruselte, als ich zu Franz in den Rettungswagen stieg. Er sagte kein Wort, aber er pfiff eine Melodie. Schließlich gelangten wir zur Unfallstelle und stiegen aus. Ein Mann saß da, Blut floss ihm über das Gesicht, aber er schien nicht schwer verletzt. Wir hörten die Feuerwehr und die Polizei und ich beugte mich zu dem Verletzten. Ein Reh ist mir ins Auto gelaufen, leider war ich nicht angegurtet und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe. Das Reh ist wieder aufgesprungen und weggelaufen… So seine kurze Aussage. Wir versorgten ihn und legten ihn auf die Trage. Ich war erleichtert, das sah nicht nach einem Todesfall aus. Wir würden den Mann ins Bezirksspital bringen, dann war diese Nachtschicht wohl vorbei…“

Kurt räusperte sich. „Wir fuhren gerade Richtung Spital, als ein Reh ganz überraschend die Straße querte… Das heißt, das Tier brach mitten auf der Straße zusammen. Und als Franz und ich ausstiegen, sahen wir die große Wunde auf der Brust des toten Tieres. Wir sahen uns an und wussten, das war das Tier, das unserem Unfallopfer vorhin ins Auto gelaufen war. Und plötzlich schauderte mich. Es hatte doch wieder einen Toten gegeben bei dem Einsatz vom kalten Franz…“ Ich gebe zu, ich war enttäuscht vom Ende dieser Geschichte. Ein totes Reh, das zählte doch nicht richtig… Ich blickte Ali an, der noch immer den Arm um mich gelegt hatte. Er las in meinen Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich seufzte und nickte zu der Geschichte. „Gruselig!“ beteuerte ich. „Richtig gruselig.“ Kurt grunzte zufrieden und brach mit seiner Frau auf. „Auf bald! Schönen Advent!“

Vivienne

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