Der Nörgler – Geschichten aus dem Cafe Steiner

Die Charaktere, die ich in den letzten Geschichten aus dem „Cafe Steiner“ vorgestellt habe zeichneten sich durch ihre zumeist doch recht unverkennbaren Persönlichkeitsmerkmale aus. Gerade dieser Umstand macht das Stammlokal für mich besonders bunt und so manche Sichtweise konnte mich schon zu weitreichenden Gedankenspielen animieren. Ich zähle selbst aber wohl auch nicht zu jenen Menschen, die sich mit allen Ansichten und Verhaltensmustern arrangieren können. Dass dies zu einer fallweisen Ausgrenzung einzelner Charaktere führt ist naheliegend und aus meiner Sicht heraus auch nicht weiter ungewöhnlich.

Einem Stammgast, auf den das Beschriebene durchaus zutrifft möchte ich meine heutige Geschichte widmen. Ludwig, ein knapp fünfzigjähriger Wiener, kann zumeist an den Wochenenden im „Cafe Steiner“ angetroffen werden. Er hat seinen Stammplatz an der geräumigen Schank und bleibt zumeist nicht allzu lange in dem Lokal. Es wäre nicht zulässig, wenn man Ludwig nachsagen wollte, dass er kein umgänglicher Mensch wäre. Er ist auf seine Art und Weise durchaus kommunikativ und keineswegs dabei ungeschickt andere Menschen anzusprechen. Wenn die Chemie passen sollte kann sich schon durchaus eine interessante Unterhaltung ergeben.

Ich merke schon, dass ich unter der Leserschaft möglicherweise auf etwas Unverständnis stoßen könnte. „Dass nicht jeder mit jedem kann, ist doch normal.“, könntet ihr denken. Das stimmt zweifellos und ich bin auch der Letzte der behaupten möchte, dass sein eigenes Verhalten bei allen Mitmenschen immer auf Gegenliebe stoßen würde. Ein Defizit welches mir durchaus bewusst ist liegt wohl darin, dass ich oftmals eine zu intensiv ausgelebte Zurückhaltung im Umgang mit Menschen, die ich gerade erst kennengelernt habe, zeige. Auch wenn diese Selbsteinschätzung von meinen Freunden vereinzelt als nicht zutreffend dargestellt wird bin ich mir diesem unbewusst gelebten Manko durchaus bewusst. Aber auf der anderen Seite ist es auch ein Teil meiner selbst, dem ich mich nicht vollständig widersetzen kann.

Gerade die Verhaltensmuster, die ich mir selbst zugeschrieben habe, kann man Ludwig wohl in dieser Form bestimmt nicht nachsagen. Manche vertreten die Meinung, dass es im „Cafe Steiner“ schon zu ruhig geworden wäre wenn Vickerl, wie er von den Stammgästen auch gerne genannt wird, nicht regelmäßig seine Themen vom Zaun reißen würde. Ich kann mich jetzt nicht wirklich erinnern, dass ich mit Ludwig schon mal ein intensiveres Gespräch geführt hätte, was aber auch nicht ungewöhnlich ist. Das tiefgründige Vieraugengespräch ist nach meiner Einschätzung auch nicht so ganz seine Sache, ist er es doch vielmehr gewohnt die gesellige Runde zu unterhalten. Wobei ich den Begriff des Unterhaltens eigentlich gerne durch den Begriff des Aufstacheln ersetzen würde.

Schon oftmals war ich an die Werbestrategie einer großen österreichischen Versicherungsgesellschaft erinnert, die den legendären Slogan „Ihre Sorgen möchten wir haben“ in durchwegs gelungener Form für ihre Zwecke eingesetzt hat. Es mag schon auch sein, dass ich gegenüber dem Denkmuster von Ludwig ein wenig übersensibilisiert bin, aber ich konnte es noch nie verstehen, wenn sich Menschen die Zeit damit vertreiben wollen Kleinigkeiten zu einem Drama hochzustilisieren und dabei auch noch auf vermeintliche Begeisterung bei ihren Mitmenschen stoßen. Probleme sind für mich nichts anderes als Missstände, die einer möglichst raschen und konstruktiven Lösung zugeführt werden sollten. Dabei kann es, abhängig von der Sachlage, auch durchaus wichtig sein die Möglichkeit eines Kompromisses nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist aber auch nicht so, dass ich nicht gerne dazu bereit bin über komplexe Problemstellungen auch einen langen Abend zu diskutieren und fallweise zu philosophieren. Wenn das Breittreten eines banalen Problems aber einen Unterhaltungswert erreichen soll, hat dies bei mir noch zumeist ein Gefühl des Unbehagens ausgelöst.

Nun habe ich aber auch schon genug über meine persönliche Wahrnehmung von Ludwig erzählt ohne euch den Stammgast und sein Verhalten ein wenig vorzustellen. Allzu leicht fällt mir diese Aufgabe bestimmt nicht, da ich Ludwig aus meinem Bewusstsein durchaus ein wenig ausgegrenzt habe. Ich denke, dass viele Menschen ihm so charakterisieren würden, dass er ein gesundes Selbstvertrauen hätte und einfach zu jenen gehören würde, die sich halt nicht alles gefallen lassen möchten. Solche Menschen braucht also das Land, könnte man nun noch hinzufügen. Heißt das denn, wenn ich Ludwig kritisiere, dass ich mir alles gefallen lassen möchte? Nein, bestimmt nicht. Aber ist es dafür notwendig, dass ich andauernd große Töne schwingen muss?

Erst letzten Samstag durfte ich Ludwig am Rande wieder live miterleben, als er den Stammgästen von seinen tollen Taten erzählte. Er hätte es wieder allen gezeigt. Die Arbeitskollegen und auch sein Chef wüssten nun endlich, dass er der einzige wäre, der in der Firma noch etwas arbeitet. Die Nachbarn wurden zurechtgewiesen, weil sie vor der Familienfeier am Sonntag nicht sein Einverständnis eingeholt hatten. Und mit den meisten Familienangehörigen hätte er schon lange gebrochen, weil sie ihm alle nur ausnutzen würden. Ich kann und will die vorgebrachten Missstände aber nicht einschätzen. Es handelt sich hier zum Teil um sehr persönliche Dinge, die man ohne näheres Hintergrundwissen als Fremder einfach nicht beurteilen kann und soll. Wozu erzählt es Ludwig dann aber?

Auch das Tagesgeschehen darf bei Ludwigs Unterhaltungen im „Cafe Steiner“ keineswegs zu kurz kommen. In den meisten Fällen läuft der Tenor darauf hinaus, dass doch ohnehin jeder an seinem Schicksal selbst schuld wäre. Interessant scheint mir in diesem Zusammenhang aber seine Darstellung, dass er doch zugleich auch selbst der Ärmste auf der Welt wäre, an dem sich doch alle nur die Schuhe abputzen würden. Endgültig abschalten muss ich immer dann, wenn Ludwig zu politisieren beginnt. Wenngleich ich politisch nicht desinteressiert bin und mir auch so manche Entwicklung nicht behagt kann ich der pauschalen Schlechtrederei nicht beipflichten. Was mir dabei fehlt ist der konstruktive Ansatz, der in Ludwigs Gedankenwelt keinen Platz findet.

Pedro

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