Die Reise nach Stockholm – Die bunte Welt von Vivienne

So ein Regenwetter! Ich hastete nach der Arbeit nach Hause und sperrte die Wohnung auf. Ali war unter der Dusche, der Klang seiner Stimme drang dumpf ins Wohnzimmer. Was war das noch für ein Lied, das er sang? Another brick in the wall – oder ich müsste mich schon sehr irren. Ich zog die Jacke aus und richtete die Frisur. Meine Haare waren ziemlich nass geworden, obwohl ich nur kurz durch den Regen gelaufen war. Ich war hungrig, und Albert, mein Mann, hatte mir ein Schnitzerl warm gemacht und mit Petersilienkartoffeln auf dem Teller arrangiert. Ich aß mit Appetit, als der Gesang abrupt endete und Ali ins Wohnzimmer kam. Wir küssten uns zur Begrüßung und mein Mann begann mit einer meiner müde nach unten hängenden Haarsträhnen zu spielen… Ich löste mich aber geschickt aus seinen Armen und kehrte zu meinem Essen zurück. Albert lachte und setzte sich neben mich an den Tisch. „Wie war dein Tag?“ Ich hätte mich beinahe verschluckt. „Albert, ich bekomme übernächste Woche nicht frei! Eine Kollegin hat eine Reise nach Griechenland gebucht!“

Mein Mann zog die Stirne in Falten. „Das ist dumm, es hätte genau gepasst. So kurzfristig und billig haben wir sicher nicht so schnell wieder die Möglichkeit in Ewalds Ferienhaus in der Nähe von Rom zu urlauben. Aber mach dir nichts draus. Wir kommen schon mal hin.“ Seine Verstimmung ließ er sich nicht anmerken, er las mir aus der Zeitung vor und schließlich begann er mich mit den Schnitzelstücken zu füttern. Ich lachte, als mir dabei ein Stück auf die Jeans fiel. Schnell stand ich auf und säuberte die Hose. „Der Kollegin tut es Leid. Aber du weißt ja wie das ist – stornieren ist teuer. Und warum sollte sie das unseretwegen tun? Nein, du hast Recht, wir werden schon mal in Ewalds Ferienhaus urlauben…“ Der Fleck ließ sich Gott sei Dank gut entfernen. „So ein Reisestorno ist halt wirklich kostenintensiv Das weiß ich von einer Kollegin, Edeltraud, muss an die zehn Jahre her sein…“ Ich grinste. „Sie hätte nämlich gerne gehabt, dass ich die Reise für sie übernehme, damit ihr die Kosten erspart bleiben.“

Ali hob die Augenbrauen. „Wann war das?“ Ich überlegte kurz. „Es muss schon über zehn Jahre her sein, fiel so in die Zeit nach Hermann…“ Mein Mann blickte bei der Erwähnung meines Ex-Freundes etwas ungehalten, also redete ich schnell weiter… „Ich war nicht besonders lange in der Firma, war gerade übersiedelt und hatte kein Geld. Meine Reserven waren völlig aufgebraucht. Edeltraud war eine unscheinbare Kollegin in den 50ern, sie kümmerte sich intensiv um ihre kranke Mutter, die fast achtzig und die meiste Zeit ziemlich hilflos war.“ Ich riskierte wieder einen Blick in Richtung Albert, der meiner Geschichte mit reglosem Gesichtausdruck gefolgt war. Also setzte ich fort. „Gesundheitlich war sie selber nicht ganz auf der Höhe, ihre Knie waren ziemlich lädiert und sie tendierte zum Jammern. Aber grundsätzlich war mir das egal. Im Zuge eines Projektes hatten wir dann verstärkt miteinander zu tun. Naja, Ali, und damit begann die Geschichte ihrer geplanten Reise nach Stockholm…“

Wir hatten uns zur Couch begeben und eng aneinander gekuschelt Platz genommen. Albert zupfte immer wieder an meinen Haaren und ich war so abgelenkt, dass ich bisweilen fast den Faden verloren hätte… „Edeltraud begann von ihrer Reise zu erzählen und dass sie nicht wusste, ob sie fliegen sollte. Zehn Tage sollte der Urlaub dauern.“ Ich sah Ali an. „Zuerst dachte ich noch, sie wäre unschlüssig ob sie überhaupt buchen sollte. Aber es stellte sich heraus, dass sie das bereits getan hatte. Und nun, mit der Bürde der pflegebedürftigen Mutter und ihren angeschlagenen Knien, wollte sie die Reise wieder stornieren. Mir war nicht gleich klar worum es ihr ging. Was die gute Edeltraud wirklich von mir wollte, verbarg sie zunächst in langen Sätzen voller Andeutungen, die mir suggerieren sollten, mich doch um diese Reise zu bemühen – an ihrer Stelle!“ Ich seufzte.  „Mit der Zeit wurde sie wirklich anstrengend, denn ich meinerseits ließ keinen Zweifel daran, dass ich kein Interesse an der teuren Reise hatte, die um die 20.000,- Schilling kosten hätte sollen. Aber das, Ali…“, Mein Mann war ganz Ohr. „…das wollte Edeltraud nicht kapieren. Sie war verzweifelt, und wie ich später erfuhr, brauchte sie das Geld mittlerweile selber und deshalb sollte ich herhalten!“

Ali lachte. „Furchtbar! Wir kann man nur so borniert sein? Aber ich verstehe schon, sie gehörte zum Menschenschlag, der solche Tatsachen nicht akzeptiert! Was hast du gemacht, um dich aus der Affäre zu ziehen?“ Ich lehnte mich auf der Couch zurück. „Ehrlich gesagt, Albert, diese Edeltraud muss ein völlig verschrobenes Bild von mir und meinen Möglichkeiten gehabt haben. Sie dachte – gib dir das! – ich wäre ein reicher Single, der die Kosten für die Reise mühelos aus dem Armgelenk schütteln könnte: alleinstehend und ohne Kinder müsste ich ja im Geld schwimmen und nur ein wenig Mitgefühl für sie, die arme Edeltraud, entwickeln um diese Reise an ihrer Stelle zu übernehmen…“ Ich machte eine Pause, aber Albert prustete los. Er konnte sich kaum beruhigen, weil er so lachen musste. „War diese Frau denn völlig bescheuert? Fortgeschrittene Verblödung sehe ich da, und totalen Realitätsverlust.“

Ali legte den Arm enger um mich, während ich die Geschichte zu ihrem Ende brachte. „Edeltraud wurde schließlich richtig penetrant. Sie nervte mich pausenlos. Eines Tages sagte ich ihr klipp und klar, dass ich gar keinen gültigen Reisepass hätte, weil mir nach der Übersiedlung die Geldmittel dafür fehlten. Und wenn ich etwas Geld aufbringen könnte,  würde ich viel lieber nach Spanien fliegen. Oder in die Dominikanische Republik…“ Mein Mann konnte seine Schadenfreude kaum verhehlen. „Arme Edeltraud! Das wird sie sehr getroffen haben…“ Ich nickte. „Das hat es sie in der Tat. Sie mied mich in Folge, weil sie sich einredete, ich würde ihr etwas vormachen. Meine so reellen Geldsorgen wollte sie nicht wahrhaben, weil sie nur ihren Standpunkt sah…“ Ich langte nach der Fernbedienung und schaltete die Nachrichten ein. „Aber ich konnte ihr nicht helfen, basta. Das Leben ist kein Wunschkonzert!“

Nach einer wahren Begebenheit

Vivienne

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