Albert blinzelte in die Sonne. Wir saßen im Gastgarten eines Lokals am Wolfgangsee, in unmittelbarer Nähe des berühmten „Weißen Rössls“. Dort schlürften wir Cappuccino und genossen unseren spontanen Tagesausflug ins Salzkammergut. Einen Tag einfach aus der Linzer Stadtluft heraus, das war schon sehr erfrischend – fanden wir beide. Albert nahm meine Hand. „Was meinst du? Essen wir auch hier oder schlendern wir ein Stück weiter…?“ Sein warmes Lächeln deutete mir an, dass er die Entscheidung mir überlassen wollte. Ich überlegte. Es gefiel mir hier außerordentlich gut, andererseits wollte ich noch mehr von dem Ort sehen. „Trinken wir aus und gehen wir dann weiter…“, schlug ich Albert vor. Er nickte, und wollte mir gerade ein paar Worte sagen, als lautes Geschrei und Gekeife an unsere Ohren drang. Wir drehten uns um. Vor wenigen Minuten war ein Reisebus auf den großen Parkplatz gefahren. Offenbar aus Deutschland, aus Sachsen, wie mein Mann, der Kennzeichenfreak, schnell feststellte.
Der Chauffeur des Busses verließ sein Fahrzeug. Er sah wütend aus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ali war neugierig geworden und trat zu dem Mann, der die Leute im Bus beobachtete, die lautstark miteinander stritten. Ich konnte nicht verstehen, was Ali und der Fahrer sprachen, aber sie unterhielten sich eine ganze Weile. Ich bestellte in der Zwischenzeit noch ein Glas Mineralwasser, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir noch eine Weile sitzen würden. Schließlich stieg ein langer, hagerer Mann aus dem Bus aus und trat an den Chauffeur heran. Die zwei wechselten ein paar Worte. Danach stiegen beide wieder ein, der Fahrer kopfschüttelnd… Ali kam wieder zu mir zurück, breit grinsend. „Man soll es ja nicht für möglich halten, wenn Sachsen reisen…“
Mein Mann spannte mich aber nicht lange auf die Folter. „Das ist ein Verein der Kleingärtner aus einem Kreis in Niedersachsen…“, erläuterte mir mein Mann. „Ungefähr vierzig Leute, und die haben Urlaub in Salzburg gebucht. Ich vermute mal, die wollten die Alpen sehen… Heute war ein Ausflug an den Wolfgangsee geplant, der Buschaffeur, der sie während des ganzen Aufenthaltes kutschiert, hat sie heute hergefahren, zum „Weißen Rössl“. Und nun wollten die Leute aussteigen und im Rössl einen Kaffee trinken… Albert zwinkerte mich amüsiert an. „Die Sachsen waren alle schon draußen, bis auf eine. Die hat sich partout geweigert auszusteigen.“ „Wieso das?“ Ich hob die Augenbrauen erstaunt. Alberts Schmunzeln zog sich über sein ganzes Gesicht. „Die eine ist eine alleinreisende Kleingärtnerin, eine ungewöhnlich korpulente Frau mit fast 200 kg. Sie wollte nicht mitkommen, weil sie sich wegen ihrer Figur vor den feinen Gästen des Rössls genierte. Sie dachte, sie würde verspottet werden.“
Ich ließ mir Alis Worte durch den Kopf gehen. „Das ist doch lächerlich. Aber gut, nur – wo liegt das Problem?“ Mein Mann orderte nun auch etwas Gekühltes zum Trinken. „Der Buschauffeur, mit dem ich gesprochen habe, wollten tanken fahren und das Fahrzeug abstellen und essen gehen. Er wollte die Frau nicht drinnen haben im Bus – klar, wenn ihr etwas passiert wäre, hätte man ihn zur Verantwortung gezogen. Aber die Verrückte hat sich verweigert, stur wie ein Rudel Wildesel (und wohl auch so schwer) hielt sie sich am Sitz vor ihr fest und beharrte in einem unmöglichen, kaum verständlichen Dialekt darauf, nicht auszusteigen. Die anderen Kleingärtner waren alle schon fast draußen, als sie den Streit der beiden mitbekamen. Sie bestürmten die Frau, doch ihren kranken Starrsinn aufzugeben, aber sie sagte nichts, presste die Lippen aufeinander und blieb sitzen. In der Zwischenzeit stieg der Busfahrer aus, ihm war klar geworden, dass an der beschränkten Frau jedes gute Wort vergeudet war. Und er war stinksauer, weil er durch diese egomane Person um sein Mittagessen kommen würde. Genau wie die restlichen 40 Leute auf ihren geplanten Kaffee im Weißen Rössl.“
Ich schüttelte den Kopf. „Egoman, das ist das richtige Wort für diese Frau! Es ist unglaublich! So viele Leute müssen sich dem puren Egoismus dieser unmöglichen Person unterwerfen! Wieso bleibt diese Spinnerin nicht daheim wenn sie sich wegen ihres viel zu fetten Körpers geniert? Die kann doch nicht ernsthaft glauben, dass alle nach ihrer Pfeife tanzen?“ Ali nahm einen großen Schluck von seinem Bier. „Offenbar doch, und anscheinend ist es solchen Leuten völlig egal, dass man deswegen sauer auf sie ist. Sie sind völlig schmerzlos, wenn es um die Durchsetzung ihrer Wünsche geht. Nur ich zähle, heißt die Devise!“ Ali zündete sich eine Zigarette an. „Man könnte es wohl auch Größenwahn nennen, und solange sich keiner traut, ihr die Schneid abzukaufen, wird das auch gut gehen.“ Mein Mann hatte wohl Recht, wir zahlten und schlenderten durch den Ort. Nach einer guten Stunde betraten wir dann ein Lokal um endlich Mittag zu essen. Ich suchte einen Tisch für uns, als Ali mich anstubste. „Schau!“
Weiter hinten saß eine unbeschreiblich fette Frau alleine an einem Zweiertisch und hatte einen Teller mit einer doppelten Portion vor sich, die sie laut schmatzend verzehrte. Das musste die niedersächsische Kleingärtnerin sein! Die anderen Kleingärtner und der Chauffeur, den Ali auch erkannt hatte, saßen in einigem Abstand zu ihr. Ihr Unmut war ihnen noch immer anzusehen. Aber das schien die korpulente Frau nicht zu stören. Sie aß mit gesundem Appetit und wenn sie ihr Trinkglas hinstellte, dann schepperte es laut vernehmlich. Ali zog mich auf die andere Seite an einen leeren Tisch und griff sofort nach der Speisekarte. „Ich wüsste schon, wie ich die Alte zur Räson bringe, aber die haben sich das selber eingebrockt…“ Er lachte mich an. „Und damit müssen sie jetzt leben…!“
Vivienne