Der Jugendwahn in unserer Welt macht es möglich: immer öfter glauben Menschen, Frauen und auch immer mehr Männer, sie könnten ihre Beziehungsprobleme und die Einsamkeit durch eine kosmetische Veränderung positiv beeinflussen. Sie wären dann mehr Wert… Ein größerer Busen, ein knackiger Po oder höhere Wangenknochen machen es im Leben angeblich aus – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und die Schönheitschirurgen streifen das Geld der Willigen ein und verdienen sich dumm und dämlich… Ob das Ziel der derart „Geschönten“ erreicht wird – zumeist ein neuer, liebender Partner – ist durchaus fraglich. Wenn es so einfach wäre, einzig mit Schönheit beim anderen Geschlecht zu punkten, wären wohl Film- und Popstars selten alleine und immer glücklich… Aber wenn man ehrlich ist: gerade die genießen gar kein wirkliches Glück in der Liebe sondern wechseln viel mehr die Lover wie am Fließband…
Sarah Bayer, eine frühere Arbeitskollegin meines Bruders Claudio, war vor knapp zwanzig Jahren von den Tiroler Alpen in die oberösterreichische Landeshauptstadt gekommen. Sie war damals Mitte zwanzig und ein rechtes Mauerblümchen mit relativ kleinen Brüsten, wie sie meinte. Claudio wurde stets nachdenklich, wenn die Rede auf sie kam. „Sie hatte eine völlig normale Figur, nichts Außergewöhnliches.“ Ihr Manko waren halt ein etwas undamenhafter Gang, wie er erzählte, und eine plumpe, etwas derbe Wesensart. Sie arbeitete im Lager von Claudios damaligen Firma und litt unter ihrem Singleleben, wie sie jedem auf die Nase binden musste, ob er es nun hören wollte oder nicht. Und irgendwann manifestierte sich in ihr der Glaube, dass sie mit größeren Brüsten und einer kleineren Nase viel bessere Chancen beim anderen Geschlecht hätte. Sie begann eisern zu sparen und als sie im Lotto unerwartet fast 100.000,– Schilling gewann, schien das Ziel ihrer Träume greifbar nahe zu rücken. Sie machte in einer ungarischen Schönheitsklinik einen Termin aus und deponierte bei einem ersten Besuch ihre Wünsche.
Schließlich wurde der Tag festgelegt, an dem das neue Leben von Sarah beginnen sollte. Sie nahm sich drei Wochen Urlaub für die Operation und verschwand an einem kalten Tag im November ins benachbarte Ausland… Claudio hatte immer Mitleid mit der Frau gehabt. „Eigentlich war sie ja nur dumm, und es wäre besser für sie gewesen, an ihrer Persönlichkeit, an der Reife zu arbeiten. Natürlich hätte es nicht geschadet zu lernen, wie man sich etwas eleganter gibt. Sie stiefelte ja daher wie ein Trampel, weil sie es nie anders gelernt hatte. Aber es war einfacher für sie, an sich herum schneiden zu lassen als sich dem eigenen Ich, dem Wesen und auch so mancher charakterlichen „Unebenheit“ zu stellen. Und so geht es vielen Leuten…“ Und darum fuhr Sarah nach Ungarn und meinte, damit würden sich alle ihre Beziehungsprobleme fast von selbst lösen…
Sarah kam tatsächlich verändert zurück, am ersten Arbeitstag grinste sie breit und stellte ein tiefes Dekolleté zur Schau. Relativ schnell gelang es ihr so manchen jungen Mann in der Arbeit oder in ihrem Umfeld zu beeindrucken. Und Sarah hatte großen Nachholbedarf und zeigte sich den Herren gegenüber willig und beglückt. Allerdings nur ein paar Wochen, dann ließ der Ansturm wieder deutlich nach und Sarah strahlte nicht mehr wie an den ersten Tagen. Claudio konnte sich genau erinnern. „Eigentlich war sie wirklich zu bedauern: sie hatte nun eine kleine Stupsnase und einen riesigen Silikonbusen, der natürlich zunächst manchen sexwilligen, geilen Kerl aufmerksam machte. Und Sarah sagte nicht nein. Im Gegenteil, sie glaubte nun, sie könne sich den „Besten“ von allen auswählen, aber ihr neuer Reiz verpuffte schnell.“ Richtig, denn Sarah war nämlich trotzdem das einfache Bauernmädchen geblieben, das sie vorher gewesen war. Mit einem wenig damenhaften Gang und ihrer etwas schlichten, derben Art, die nun mal nicht jeder putzig fand.
Schnell begann sie mit sich selbst zu hadern. Aber statt sich einmal damit auseinander zu setzen, was die Männer wirklich an ihr störte, dass sie keine längerfristige Beziehung zu ihr suchten, dachte sie laut über die nächste Schönheitsoperation nach. Von dem Lottogewinn war ihr nur wenig geblieben, also begann sie rasch wieder Tipps zu spielen: diesmal sollten der Hintern aufgepeppt und die Lippen aufgespritzt werden. Claudio wusste noch mehr zu berichten. „Unser Chef redete einmal mit ihr und versuchte ihr klar zu machen, dass ihr keine Schönheitsoperation der Welt einen liebenden Partner garantieren könnte. Sarah wollte das nicht begreifen und geriet fast in Streit mit ihm, weil seine Worte ihre Lebenslügen bloß stellten.“ Ein weiterer Lottogewinn blieb Sarah aber versagt, und das tat ihr noch mehr weh, als die Tatsache, dass ein Kollege, in den sie damals sehr verschossen war, eine andere heiratete und ein Kind mit ihr bekam. Der Busen der Rivalin war doch so mickrig, wie sie immer betonte, und der Kollege hätte nur einmal seine Augen aufmachen müssen, um das zu sehen. Aber vielleicht wollte er das gar nicht – weil es ihm um ganz andere Dinge ging…
Sarah kündigte schließlich und ging nach Tirol zurück, wo sie sich mehr Begeisterung für ihre veränderte Erscheinung erhoffte. Claudio verlor sie auch aus den Augen und wenn das Gespräch auf die frühere Kollegin kommt, dann wird nicht gelacht oder gespottet, dann kommt weit mehr Mitleid auf. Tiefes Mitleid, denn nicht vermeintliche Schönheit führt zu trautem Glück sondern viel mehr die eigenen Wesenszüge. Aufrichtigkeit, Treue und Offenheit etwa – aber Sarah flüchtete sich in die äußere Erscheinung und damit in einen Irrglauben. Weil sie nicht begriff, dass Schönheit vergänglich ist. Es bleibt letztlich nur das, was man wirklich ist, und nicht das Aussehen. In Tirol war das sicher nicht anders – aber vielleicht hat Sarah das doch noch gelernt. Vielleicht…
Vivienne