Duett for Contrabasses

„Cassandra Wilson, Harvest Moon“,

Johnson stand auf, stabilisierte kurz seinen Stand und ging zu dem alten Radio, das hier in der Werkstatt auf der Fensterbank stand und streichelte beinahe liebevoll über das ziemlich ramponierte Äußere dieser Antiquität.

„Ich liebe sie! Diese Stimme bringt mich zum Träumen! Ich liebe sie.“
Ich sah ihn an und in mir ging eine erlebte Situation an, einer Lampe nicht unähnlich.

*

„Neil Young! Ich meine Neil Young hatte „Harvest Moon“ geschrieben!“

„Ist mir egal, hör lieber auf den Bass. Ich meine solche Sachen müssen mit `nem Kontrabass gespielt werden. Ich liebe das Knarzen und Knurren und Gebrummel von Saiten, wenn es von hart zupackenden Händen an einem Kontrabass stammt.“

Francis hatte in seinem Bett die Haltung eines Kontrabassisten angenommen und ich musste insgeheim in mich hineinlächeln, als ich ihn beim Phantomimischen Spiel sah, ihn, der es im Gegenteil zu mir nie für nötig hielt, sich ernsthaft mit dem Erlernen eines Musikinstrumentes zu beschäftigen.

Er, mein fünf Jahre älterer Bruder, lag hier in diesem Krankenhaus und wartete auf ein neues Herz.

Schon in dieser Nacht könnte es soweit sein, oder erst in einer der nächsten Wochen.
Seine Haut auf den Händen hatte in der letzten Zeit eine beinahe tiefblaue Farbe angenommen, die sich auch auf seinen Lippen wieder fand.

„Du hörst den Unterschied, Francis? Du kannst heraushören, ob es ein alter E-Bass über einen dicken Ampeg ist, oder eine Oma?“

„Oma“ nannten Musiker diese dicken Baßgeigen, die im Rock nie mit dem Bogen gestrichen, aber immer gezupft und gerupft wurden.

„Gib mir drei Sekunden, Timmi und ich höre jedes Instrument heraus. Ich brauche nur ein bisschen Zeit, Tim und das ist doch nicht zuviel verlangt.“
Er war kraftlos in sein Kopfkissen zurückgesunken und ich konnte trotz dieser Krankenhausbeleuchtung gut sehen, dass die Farbe seiner Lippen noch ein wenig dunkler geworden war.

„Was meinst du Tim, wie viele Sekunden mir noch zum Leben bleiben werden?“

Er hatte die Augen geschlossen und das Heben und Senken seines Brustkorbes wurde wieder langsamer und gleichmäßiger.
„Francis, ich weis es nicht. Aber es werden noch genug sein, damit auch du noch das Bassspielen erlernst.“

Er atmete jetzt ganz ruhig und ich wollte schon zur Türe gehen, nachdem ich das kleine Radio auf seinem Tischchen leiser gedreht hatte.

„Timmi, du gibst mir doch dann Bassunterricht, ja? Glaubst du, dass ich den Kontrabass selber zu meinen Auftritten schleppen kann wenn ich mein neues Herz erstmal habe? Ist so`n Ding nicht ziemlich schwer, Tim?“

Mit einem Kloß im Hals drehte ich mich zu ihm um.
„Du willst tatsächlich Kontrabass spielen lernen, Francis? Gut, das ist ein Wort. In der Woche nach deiner Entlassung aus dem Krankenhaus fangen wir sofort damit an! Damit du nicht zuviel Zeit verlierst. Versprochen! Du wirst sehen, es ist gar nicht so schwer! Du wirst in kurzer Zeit ein Meister der dicken Seiten sein. Ich werde mal mit Johnson sprechen, du weißt, der schuldet mir noch einen Gefallen und wenn er tatsächlich eine Oma hat, kriegen wir die für Kleines.“

„Zeit, Tim. Zeit ist alles um das ich bitte! Gebt mir doch nur noch ein wenig Zeit!“
Er hob kraftlos die rechte Hand, um mir zum Abschied zuzuwinken.
In dieser Nacht kam dann auch die Nachricht, dass er gestorben war.

*

Johnson zeigte auf den Hocker, auf dem noch soeben seine Weller Lötstation gestanden hatte und den er erst für mich frei geräumt hatte.
„Tim nimm Platz, einen Kaffee? Ich mach schnell welchen!“

Ich sah mich um. Hier in dieser Werkstatt reparierte Johnson also so ziemlich alles, was er auf seinen Streifzügen durch die Vororte in die Finger bekam, um es dann in seinem Pawn Shop zu verhökern.
Er betrieb mit Sue zusammen hier in einem der Vororte von Philadelphia dieses Pfandhaus.

Sue war es, die die Fäden in der Hand behielt und auch den Überblick hatte.
Und sie war es auch, die den wirtschaftlichen Erfolg des Geschäftes garantierte.

Sie, die wohl etwa zehn Jahre älter als Johnson war, galt unter ihrer beiden Kunden als die harte Nuss.

Die immer klammen versuchten ihre Habseeligkeiten bei Johnson loszuschlagen, weil der für den ganzen Kram größere Darlehnssummen ausspuckte als Sue.

Doch Johnson fuhr mit seinem alten Volvo lieber in die Vorstädte, um bei den Garage Sales nach altem Technikschrott zu suchen, als wie Sue hinter dem stabilen Stahlgitter im Laden wie eine Spinne im Netz auf die armen Schweine zu warten, die ihr sauer verdientes Geld in den Bars und Kneipen verjubelt hatten, anstatt vorsorglich das Mietgeld zurückzulegen und denen dann am Monatsende wieder mal der Rausschmiss drohte.

„Ein alter Zenith, Tim! Ich habe das Chassis gereinigt, die Röhrensockel nachgelötet und alle Elkos durch neue ersetzt. Du siehst, wenig Aufwand, ein paar gute Röhren und Cassandra Wilson! Was braucht der Mensch mehr!“

Er stellte lachend den Becher mit dem dampfenden Kaffee vor mich auf den aufgeklappten Fernseher, an dem er wohl bis zu meinem Eintritt in das „Allerheiligste“ gelötet und gemessen hatte.
Cassandras rauchiger Alt hatte geendet und Johnson hatte der nun lossabbelnden Moderatorin den Strom abgestellt, in dem er die Austaste drückte.

„Zenith`s sind es, nicht diese Scheiß-Motorolas. Schon in Da Nang hab ich diese Kisten wieder klar gemacht, beim Signal Corps. Diese Zeniths waren zuverlässiger als diese Transistorkisten deren Gehäuse schon einige Tagen nach dem Auspacken, zu rosten anfingen. Hier dieses Chassis ist feuerverzinkt! Hätte die Army Zenits, anstatt Motorolas angeschafft, hätte uns Charlie nie aus Vietnam rausgeschmissen und ich hätte vielleicht noch beide Beine, so aber?“
Er hob seinen Becher und prostete mir zu.

„Johnson, Sergeant Johnson, los, lass uns nun zum Geschäft kommen.“

Seine Augen verengten sich, was bei ihm ein ganz sicheres Zeichen für höchste Anspannung war.

wird fortgesetzt

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