Im Reich der wilden Tiere

Binnen weniger Tage war es nicht nur sonnig sondern auch herrlich warm bei uns geworden. Katze Minki erlebte ihren xten Frühling (den 15.?, wenn ich mich nicht irrte!) und strolchte bei ihren zahlreichen Rendez-vous’ durch unseren Garten aber auch durch fremde Gefielde bei den Nachbarn. Die Vögel veranstalteten schon ab dem frühen Morgen ein vielstimmiges Konzert und als ich durch den Garten schlenderte, um die wunderbaren Krokusse zu bewundern, stolperte ich am Komposthaufen fast über eine Herde von rötlich-schwarzen Käfern, die nur eines im Kopf hatten: Paarung!

Ich schmunzelte, als ich dem munteren Treiben zusah. Wer bekam da eigentlich nicht Gefühle? Aber zu lange konnte ich mich da nicht aufhalten. Die Wäsche wartete, und das ließ sich nicht aufschieben. Ich quälte mich also kurz darauf mit dem Bügeleisen – eine moderne Form des Masochismus, wie ich denke – und war eben dabei, meine Bettwäsche im Kasten zu verstauen, als mein Bruder aufgeregt durch die Tür nach mir rief. „Komm, bitte!“

Ich war erstaunt. Meinen Bruder bringt sonst äußerlich nicht so leicht etwas aus der Ruhe. Aber diesmal hatte seine Stimme einen Klang, den ich sonst nicht kannte. Also legte ich die Tuchentbezüge wieder auf die Seite, zog – sicher ist sicher! – den Stecker des Bügeleisens und folgte meinem Bruder nach oben. Zur Haustür, um genau zu sein. Dort kauerte Stocki. Die Aufregung rund um ihn hatte ihn scheinbar etwas verwirrt Diese Aufregung war aber nur zu verständlich, denn ich traute meinen Augen kaum, als ich erkannte, was sich da neben Stocki auf dem Fußboden befand.

Besser gesagt: wer. Ein junger Hase mit flauschigem Fell, noch leicht weiß gesprenkelt lag mit durchgebissenem Genick ein paar Schritte vor der Stiege. Mein Bruder flüsterte mir zu, dass der Kater vor wenigen Minuten mit merkwürdigem Miauen um Einlass begehrt und er ihm geöffnet hatte. Ich konnte nur den Kopf schütteln, während ich zusah, wie der Kater seine Beute geschickt packte, über die Stiege nach oben schleppte bis hin zu seiner Futterschüssel. Es wirkte fast wie in einem Tierfilm. Fassungslos ging ich die Stufen hinauf. Der Hase tat mir so leid, und das bedauernswerte Tier hatte wohl nicht erwartet, dass sein junges Leben einmal ausgerechnet durch eine Hauskatze beendet werden würde.

Hauskatze, dass ich nicht lache! Verrückte Formulierung. Das war jedenfalls nicht der Kater, der vor bald neun Jahren auf unserem Dachboden zur Welt gekommen war. Aus dem putzigen Kätzchen von einst hatte sich ein Raubtier entwickelt, anders konnte man es nicht erklären. Aber wenn ich ehrlich war: wie konnte man dem Kater verübeln, der sich seit frühester Jugend zu einem exzellenten Jäger entwickelt hatte, dass er jedes Tier erlegte, dessen er habhaft werden konnte? Mäuse, Vögel, Hasen, Rebhühner,… wie sollte der Kater da einen Unterschied erkennen?

Mittlerweile hatte der Kater begonnen, seine Beute zu fressen. Unsere schockierten Blicke störten ihn nicht länger. Als ich die ersten Knochen knacken hörte, wurde mir schlecht. Ich flüchtete zu meiner Bettwäsche. Freiwillig. Aber während ich sie im Kasten verstaute, war ständig dieses Bild vor meinen Augen: der tote Hase mit den süßen Ohren und dem kleinen Stummelschwänzchen und wie mein Kater ihn verzehrte. Stocki ist ein Monster. Ich war nicht nur erschüttert, ich machte mir ernsthaft Sorgen. Ein Jäger – und bei uns gab es nicht wenige – würde wohl nicht zögern ihn zu erschießen, wenn er Stocki zufällig einmal bei der Jagd beobachten würde.

Ein Kratzen an der Tür riss mich aus meinen Überlegungen. Stocki sprang schnurrend durch die offene Tür und rieb sich an meinen Beinen. Immer und immer wieder. Er erdrückte mich geradezu mit Liebesbeweisen. Als er endlich genug hatte, sprang er mit einem gewaltigen Satz mitten auf mein Bett und machte es sich gemütlich. Eine Viertelstunde später lag er da, alle vier Pfoten (sollte man nicht sagen: Pranken?) von sich gestreckt und atmete regelmäßig. Nein, ein Monster bist du nicht, Stocki. Aber ich kenne keine Hauskatze die so jagt wie du. Das tun nämlich normalerweise nur Tiger, Löwen oder Geparden. Von wem hatte er das bloß?

Aber Minki hatte immer ein Geheimnis aus ihren Männerbekanntschaften gemacht. Und im Grunde konnte man nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob sie nicht doch eine kurze Liaison mit einem Luchs verbunden oder sie sich womöglich sogar in einen Zoo verirrt hatte. Aber wie oder was nun auch immer: Stocki war eben Stocki, und vielleicht liebte ich ihn eben auch deswegen so sehr, weil er so ungewöhnlich war. Eine Gradwanderung der Natur – eine Mischung aus Schmusekater und gefährlichem Raubtier.

Vivienne

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