Kamele, die fließen lassen? – Frankie Millers Einsichten

Oder, warum ich schon mal im Orientalischen Knast landete!
von chefschlumpf

1982 und die Sonne verbrannte alles um uns herum..
Mushad*, ein ebenso junger Gastarbeiter wie ich, er allerdings aus Beirut stammend, und ich befuhren den King-Khaled-Highway von Al Khobar nach Dharan am Persischen Golf.

Diese Straße, erst vor ein paar Wochen von einem Koreanischen Konsortium mit Beteiligung unsererseits völlig fertig gestellt, dabei schnurgerade und so eben wie eine Schallplatte, führte ihre etwa 7 Kilometer durch eine sandige, unbebaute Wüstenei direkt zum Airport, unserem Ziel.
Neben uns auf der Überholspur, ein Pick Up, also ein Lieferwagen mit offener Ladefläche.

Im Fahrerraum, ein Mann in typisch, schneeweißer Saudi-Kluft, mit ihm drei Jungens zwischen sechs und zwölf Jahren. Alle vier auf den zwei Sitzen des Fahrzeugs verteilt.
Hinten auf der Ladefläche, drei Frauen und zwei Mädchen. Diese fünf in den typischen schwarzen, bis auf die Augen verdeckenden Abayas, den langen, schwarzen Körper-verhüllenden Mänteln, die im gesamten Raum am Golf für Frauen religiös bedingt so vorgeschrieben sind und damit zu nicht unwesentlichen Teilen überall das Straßenbild bestimmen.

Über den fünf pechschwarzen Gestalten, die nicht von ungefähr an eine kleine Pinguin-Kollonie am Südpol erinnerten, zwei nur als riesig zu bezeichnende, zweihöckrige Kamele. Die fünf Schwarzverhüllten sassen zwischen den acht schrundigen, knolligen und dabei seltsam verschränkten Kamelbeinen.
Eine große Kreuzung zweier Highways mit einer nur als riesig zu bezeichnenden Ampelanlage. Weit und breit keinerlei Autos, nur der Pick Up mit seiner seltsamen Fracht und wir in unserem Toyota Kastenwagen.
Obwohl in Saudi Arabien eigentlich überhaupt nicht üblich, bat ich den Palästinenser, diesmal bei Rot dort doch einfach mal anzuhalten. Erstaunt schaute er zu mir herüber, hielt aber an und neben uns der weiße Pick Up ebenfalls.
Ich erlaubte es mir, den Jungen und dem Fahrer freundlich zuzuwinken, während mein Fahrer den Frauen auf der Ladefläche einige seltsame Zeichen machte. Woraufhin sich die Frauen mit ihren Kopfschleiern nun völlig verdeckten.
Die beiden Mädchen wagten sich dagegen, meinem Fahrer freundlich zuzuwinken. Ihre Gesichter waren dabei natürlich nicht zu sehen.

Dann, ich erinnere mich noch heute sehr genau daran, welche Gedanken mich bei diesem Anblick überkamen, muss eines dieser Kamele wohl mal „klein“!
Eine breite Lache Jauche ergießt sich nun über die verhüllten Gestalten. Diese bewegen sich dabei um keinen einzigen Millimeter, scheinen diese Springflut, diesen Tsunami der Wüste, diesen Angriff auf die Humanität, wie wir beide in unserer luxuriös klimatisierten Karre erstaunt feststellen, gottergeben nur einfach hinzunehmen. Keinerlei Panik drüben. Mein Fahrer brüllt irgendwas auf Arabisch zum Fahrer des Pick Up, was der natürlich gar nicht hören kann, da sowohl seine, als auch unsere Fenster fest geschlossen sind.
Einzige Reaktion des Fahrers ist, die Lichter zeigen immer noch Rot, dass er plötzlich Vollgas gibt. Er ganz plötzlich, eigentlich völlig grundlos, ganz höllisch schnell unterwegs ist und hinter ihm auf der Ladefläche, muss dann wohl die Hölle wirklich los sein.

Etwa einen Kilometer vor uns erhob sich dann, ebenso grundlos scheinend wie es der Spurt des Fahrers mit dem Pick Up gewesen ist, eine Staubwolke.
Als wir endlich die Stelle der bis dahin noch unerklärlichen Staubwolke erreichten, ein Bild des Schreckens.

Der Pick Up hatte sich überschlagen! Alle fünf Verschleierten, die Mädchen 12 und 15 Jahre alt und die 3 Frauen zwischen 20 und 36 Jahre alt, im Sand liegend. Ein Kamel steht unbeteiligt einfach nur da, während das andere wie tot auf der kochendheißen Piste liegt.
Mushad, völlig apathisch auf dem Fahrersitz, wie eingefroren. Er wiederholt nur immer wieder diesen einen Satz auf Arabisch. Später dann, wurde es mir erst klar: Er wusste ganz genau, was nun auf uns, die beiden Zeugen dieses Dramas zukommen würde. Und weil er es ganz genau weiß, tut er das einzig Vernünftige in seiner Lage. Er betet zu Gott!
Ich, derweil, ja aus einem völlig anderen Kulturkreis stammend und damit mit einem völlig anderen Rechtssystem vertraut, schimpfe stattdessen auf diesen, meiner Meinung nach völlig bescheuerten Pick-Up-Fahrer.

Drei Tage später, ich sitze inzwischen in einem Stadtbüro der Deutschen Botschaft in Dharan, also eigentlich auf dem Gebiet und im Rechtsraum unseres Freiheitlichen und den Menschenrechten überaus verpflichteten Staates und mache meine soundsovielte Aussage zur Sache. Mit mir sind drei Deutsche und zwei Saudis im Raum. Zwei Botschaftsbeamte und ein Polizist und natürlich mein guter Freund und Sponsor** unseres Unternehmens, Mister Oud`a*.

Ja, es stimmt, ich habe zum Fahrer des Pick Ups vor dem unheilvollen Blitzstart Kontakt aufgenommen. Ja und es stimmt auch, dass Mushad den Frauen irgendwelche Zeichen gegeben hatte. Ja und es entsprach völlig den Tatsachen, dass der Fahrer dann plötzlich Gas gab und der Unfall sich etwa einen Kilometer vor uns abspielte. Und natürlich hatten weder ich, noch Muschad irgendetwas mit dem Unfall zu tun. Und natürlich weiß ich, dass ein Kamel dieser Größe etwa einen Wert von 30.000 Rial habe. Und natürlich hatte ich den unverletzten Frauen und Mädchen meine Hilfe angeboten und ihnen sogar auf die Beine geholfen, ihnen und dem Fahrer und den Jungen auch noch einige Flaschen mit Trinkwasser gereicht.

Und nein, natürlich nicht, sehe ich es jetzt ein, dass ich, Mushad oder meine Saudi-Deutsche Firma diese Summe von etwa 45.000 DM für das tote Kamel zu begleichen dächten! Und nein, wir hatten keinerlei diesbezügliche Angaben bei den Polizisten gemacht, die dann ganz unerwartet vor uns standen, als wir beiden uns noch um die Verletzten kümmerten. Wie wären wir wohl auch dazu gekommen?

Mister Oud`a, vor mir mit seinem Hintern auf der Schreibtischkante sitzend, verdreht seine Augen und hebt seine Arme, dabei sehr theatralisch wirkend, gegen den Himmel! Irgendetwas in mir rät zur Vorsicht. Ich kannte diesen überaus korrekten Saudi nun schon so lange, hatte ihn nicht nur einmal um die halbe Welt begleitet, zuletzt vor zwei Wochen mit ihm noch Arbeiter in Manila rekrutiert und sogar insgesamt viermal bei mir zuhause in Deutschland aufs Köstlichste, wie er nie müde wurde zu beteuern, bewirtet. Und doch erscheint er mir auf einmal sehr, sehr fremd zu sein.

„Toni, du hast jetzt zwei Tage Haft hinter dir. Du bist auch nur frei, weil der Polizeichef hier mein Schwager ist und mich auch sofort angerufen hat als er endlich wusste, wohin du gebracht worden bist. Und nun willst du einfach nicht verstehen? Ich sag dir mal was, wärst du nicht in diesem Lande aufgetaucht, wäre das alles gar nicht erst passiert.“

Ja, es stimmte auch, dass ich zwei Tage und Nächte in einem Saudi Arabischen Gefängnis saß. Und ja, es stimmte auch, dass mir so etwas wie eine Anklage vorgelesen wurde. Ja, und es traf auch zu, dass mir diese Anklage von einer auf die Schnelle von irgendwoher hergekarrten Indischen Ärztin, in indisches Englisch übersetzt wurde, das ich dann auch wirklich irgendwie verstanden hatte. Ja, und es stimmte auch, dass ich mir überhaupt keinen Reim auf das alles hier machen konnte.

Zu Mister Oud`a sage ich zerknirscht: „Ich weis ja, dass du es nur gut mit mir meinst und ich danke dir ja auch für meine Befreiung, aber sag mir doch mal, was das alles eigentlich bedeutet. Das Kamel ist tot, die Frauen sind im Großen und Ganzen mit dem Schrecken davon gekommen und den Jungen ist nichts weiter passiert. Und dass der Fahrer, ein Schwager des Vaters der Kinder und Ehemannes der Frauen, verletzt wurde aber nun schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen ist, hast du ja auch raus bekommen. Nur, sag mir bitte mal, wie geht es jetzt weiter? Und vor allem, warum wurden wir, Mushad und ich, eigentlich einfach so in den Knast gesteckt?“

Über Oud`a`s Gesicht geht ein schelmisches Lächeln und er beugt sich zu mir herunter um mir leise zuzuflüstern: „Gott ist groß und seine Größe zeigt er sehr gerne. Aber, Toni, du als ein Ungläubiger wirst das niemals verstehen, Gott ist nur gut zu denen, die auch bedingungslos an ihn glauben!“

„Und, was hat das jetzt mit diesem Unfall zu tun und warum wurde ich beschuldigt, mich den Frauen ungebührlich genähert zu haben? Ich wollte nur helfen! Ich hielt das als meine Pflicht! Gott sei Dank war keine von ihnen sehr verletzt, außer Prellungen und Abschürfungen. Und das Kamel tut mir auch so unendlich leid. Doch was haben wir, Mushad und ich damit eigentlich zu tun? Und warum überhaupt dieses ganze Theater hier?“

Ich habe, eigentlich gar nicht meine Art und Absicht, ziemlich laut gesprochen. Der Polizist nimmt sofort eine starre Haltung ein und die beiden Botschaftsbeamten blicken sich nur wortlos an.

Oud`a senkt den Blick und murmelt etwas in sich hinein. Dann, auf einmal wird sein Blick sehr streng und mehr zu den Anwesenden, als an mich gerichtet, hält er nun einen kleinen Vortrag, wobei er, scheinbar stolz wie ein Pfau ein Rad schlagend, im Raum umherstolziert.

„Weil ihr, du und Mushad nun mal am Ort des Unfalls zu fassen wart! Es war absolut kein anderer da und da Gott groß ist und seine Gnade grenzenlos, musstest du dich plötzlich diesem Vorwurf erwehren. Doch Tatsache ist und ich weiß, dass das sehr schwer für dich zu verstehen ist, du hast dich den Frauen nun mal genähert und damit nicht die Regeln deines Gastlandes befolgt und musst daher um jeden Preis bestraft werden. Pass auf, ich werde zu einem mit mir befreundeten Hodscha*** gehen und bei ihm ein neues Gutachten einfordern. Wenn wir Glück haben, wird das alte Gutachten, das, was die Polizei hier vorliegen hat, verworfen. Urteile sind bei uns in Saudi Arabien ja doch nur unscharfe Vorschläge. Und kein Mensch hält sich im Grunde daran.“

Dann streicht er mir beinahe liebevoll über die Stirne.
Der Polizist entspannt sich nun sichtlich wieder!

Ich muss nun auf einmal wieder an die letzten zwei Tage denken. Kaum in diesem mächtigen Betonbau von etwa der Größe der Aachener TH, die ich aus der Vergangenheit noch sehr gut im Gedächtnis habe und in eine mit fünf traurigen Gestallten gefüllten Sechser-Zelle gesteckt, stürmten diese auf mich ein und wollten wissen, wen ich denn wohl ermordet habe. Einer der Einsitzenden hielt mir auch sofort seine Decke hin und erklärte von mir ungefragt, da die Zellen überhaupt nicht geheizt wären, ich diese noch sehr lieben würde.

Als ich ihm dann, alle fünf waren des Englischen ausreichend mächtig, sagte, dass nur ein Unfall dessen Zeuge ich war, der Grund für meinen unfreiwilligen Knast-Aufenthaltes wäre, wollte er mir die Decke dann doch nicht mehr überlassen.
Nachts, frierend wie ein Nacktmulch am Polarkreis, wunderte ich mich dann nur noch, dass die Zellentüren nicht etwa abgeschlossen waren und nirgendwo auch nur eine einzige uniformierte Seele sich sehen ließe.

Einige Besucher aus den Nachbarzellen boten mir dann Betelnüsse zum Kauen an. Ich lehnte dankend ab, was zu nicht geringer Verärgerung bei den Burschen führte. Dabei auf die offene Zellentüre zeigend, wurde ich dann lieb angelächelt und meine vorangegangene Frage sinngemäß damit beantwortet, dass sich das Wachpersonal über meinen Fluchtversuch nur sehr freuen würde und ich gut damit täte, meine Nase nicht ohne wichtigen Grund hinaus zu strecken. Die Wachen draußen hätten sehr schnell ihren Finger am Abzug ihrer Deutschen Sturmgewehre vom Typ H&K G3!

Zwei Tage lang konnte ich zum Einen mein rudimentäres Arabisch trainieren und zum Zweiten, Milieustudien eines Landes machen, die mir trotz meines schon jahrelangen Aufenthaltes bisher, dem Himmel sei Dank, vorenthalten blieben.

Diese Sache wurde dann auf recht ordentliche Art und Weise abgeschlossen. Mushad, der Fahrer „eines am Unfallgeschehen doch nicht beteiligten Fahrzeugs“, zuvor, wie ich dann erst erfuhr, zu zehn Peitschhieben auf den Rücken verurteilt, wurde nach einer Zahlung der Firma von umgerechnet 800 DM, unmittelbar des Landes verwiesen. Ich habe niemals mehr von ihm gehört, obwohl ich dann einige Mal in Beirut war und einmal sogar mit einer seiner Schwestern sprechen konnte. Meiner Bitte um einen Rückruf, war er nie nachgekommen.

Ich selber, als „lediglich Beifahrer eines am Unfallgeschehen doch nicht beteiligten Fahrzeugs“, wurde freigesprochen. Meine Firma erklärte sich dann aber sofort dazu bereit, etwa 7.500 DM zu zahlen, wenn dafür der Vorwurf ,der „unsittlichen Berührung einer Gläubigen durch einen Ungläubigen“ fallen gelassen würde.
Was hatte ich getan? Ich hatte den beiden Mädchen und den zwei Frauen sofort nach meinem Eintreffen am Ort des Unfalls, auf die Beine geholfen.

Wenn ich nun so zurück denke, bilde ich mir immer wieder ein, dass es die Augen des später gestorbenen Kamels sind, die mich, so sehr sandverkrustet sie auch waren, mit einer grenzenlosen Traurigkeit anblicken, was mich immer wieder des Nachts aus dem Schlaf schrecken lässt.

Ach ja; Mushad, leider habe ich ihn nie mehr danach fragen können, was er an dem denkwürdigen Tag eigentlich gerufen hatte, bevor den Fahrer wohl der Hafer gestochen hatte.

Ja doch, es stimmt, Gott ist groß und nur noch unendlich größer, seine absolute Großmut. Niemanden seiner nur treu Glaubenden lässt er jemals im „Regen“ stehen. Und es stimmt schon, er sorgt in seiner grenzenlosen Gnade immer wieder dafür, dass nichts „ungestraft“ geschieht in der Welt. Und es ist auch wahr, dass dieses Abenteuer mir meine Liebe zum Orient, doch letztendlich nicht nehmen konnte.
Ach ja, entgegen allgemeiner Ansichten im Westen, gibt es in Saudi Arabien tatsächlich Ordentliche Gerichte. Nur, diese werden sehr selten angerufen. Die meisten „Fälle“ werden durch die Gutachten von Koran-Gelehrten im Vorfeld gerichtet. Nur in sehr schweren Fällen, wie Gotteslästerung, Ehebruch oder verbotener Wucherei, werden diese grundsätzlich immer angerufen.
Ich bin also, bei hellem Licht betrachtet, mit meiner Hilfeleistung beinahe doch noch ein Fall für ein Ordentliches Saudi Arabisches Gericht gewesen.

*sämtliche Namen sind geändert. Story hat sich aber genauso zugetragen!

** Das Saudische Gesetz schreibt vor, dass an jedem im Lande tätigen Unternehmen , ein Saudi die Mehrheitsanteile hält. Also der so genannte Sponsor!

*** Der Hodscha ist ein Sunitischer Geistlicher (in Saudi herrscht der Wahabismus, die verschärfte Form des Sunismus! Shiiten hatten sich schon kurz nach dem Tod des Propheten von dessen unbedingten Anhängern abgesondert und sich ihren eigenen Führern angeschlossen. Somit bezeichnen sich die „Hüter des Glaubens“ als die Suniten -Suna= Überlieferung- und die anderen als die Schiiten -Schiiten von Schisma=Abspaltung- Aufklärung, die „Aufgeklärten! Die wohl strengsten Verkünder der jeweils „richtigen“ Religion sind einmal die Saudis und auf der anderen Seite die Iraner! Mullahs mit dem Ayatolla! Beide Lager stehn sich nicht recht freundlich gegenüber!) Beim „gelebten Islam“ ist einer der Grundpfeiler die Scharia, das Gesetz des Propheten! Nur wer in der Lage ist, dieses Gesetz zu „interpretieren“, kann auch Recht sprechen! Zur Zeit gibt es im ganzen Islam nur einen einzigen Staat, der ein von der Scharia abweichendes Gesetzbuch hat= Marokko!

Alpha Sierra, chefschlumpf im Jahre des Herrn 2012

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