Sommer 2006. Einer der heißesten Tage des bisherigen Sommers geht schwülwarm zu Ende. Am Linzer Hauptbahnhof tummeln sich kurz nach 19:00 Uhr noch sehr viele Leute. Im Sparmarkt haben sich an den offenen Kassen wieder schier endlose Schlangen gebildet. Fast jeder möchte kurz vor der Heim- oder Wegfahrt noch eine Kleinigkeit kaufen. Kühles Nass und Eis in allen Variationen sind besonders gefragt. Weiter hinten im Markt ist eine Mitarbeiterin damit beschäftigt eine leere Vitrine wieder mit einer Billigmarke Bier zu füllen. Sie kniet dabei halb am Boden und trotz der Kühlung läuft ihr der Schweiß über das Gesicht.
Ein schlaksiger junger Mann in kurzen Shorts und mit Zopf betritt den Supermarkt. Zielsicher steuert er die Biervitrine an und langt hinein, um sich eine Dose herauszuholen. Als er nach der Dose greift und sie hochhebt, hält er inne. „Die ist ja noch ganz warm. Ich will kaltes Bier! Was ist denn das für ein Saftladen hier?“ Provozierend fixiert er die kniende Frau vor ihm. Die Mitarbeiterin des Sparmarktes hält inne. „Hier war alles leer. Ich räume gerade nach. Das wird leider ein wenig dauern, bis das Bier wieder kühl ist!“ Ungläubig starrt der junge Mann die Frau an. „Das kann doch nicht dein Ernst ein! Ich will jetzt kaltes Bier haben! Verdammt, es ist so heiß! Versteht das keiner?“ Eine sinnlose Diskussion wird dadurch entfacht. Die Mitarbeiterin versucht noch einige Zeit dem Burschen zu erklären, dass es im Moment kein kaltes Bier gibt. Weil der Bedarf vorher so groß war.
Der junge Mann zeigt allerdings keine Einsicht. Lauthals plärrt er im Supermarkt herum und dem einen oder anderen fällt an dessen Zungenschlag auf, dass er nicht mehr ganz nüchtern sein kann. Was erklärt, dass die ungehaltene Mitarbeiterin auch immer lauter wird. Denn der Bursch ist nach wie vor nicht bereit, die Gegebenheiten zu akzeptieren. Er läuft mit der lauwarmen Dose Bier im Supermarkt nach vorne zur Kasse. Eine Kassiererin, die ihm über den Weg läuft, hält er auf. „Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich will einfach nur kaltes Bier. Ist das hier etwa nicht möglich?“ Die Gefragte, die den Streit mit der Kollegin mitbekommen hat, bemüht sich freundlich zu bleiben. „Wie Ihnen die Kollegin ja sagte: im Moment gibt es kein kaltes Bier dieser Marke. Das dauert noch…!“
Unwirsch wendet sich der junge Mann ab. Er ordnet sich schließlich in einer der Schlangen vor den Kassen ein und scheint sich nun doch mit dem lauwarmen Bier begnügen zu wollen. Trotzdem mault er weiter laut, was das für ein unhaltbarer Zustand wäre, dass er hier in „diesem Saftladen“ kein gut gekühltes Bier bekommen könne. Einem Herrn weiter vorn an der Kasse, der gerade bezahlt, entlockt diese Szene ein paar zynische Worte: „Sie blasen da einen Regenwurm zum Elefanten auf, merken Sie das eigentlich?“ Ärgerlich blickt der Bursch auf: „Jetzt mischen Sie sich auch noch ein, das ist wirklich toll! Noch jemand, der sich da wichtig machen möchte?“ Ungerührt sieht der Mann ihn an: „Sie kapieren wohl wirklich nicht, das Sie sich nur künstlich aufregen? Ihr Schreien ist hier völlig unangebracht!“
Der Bursch antwortet mit einem Kraftausdruck, den der Mann mit einem Kopfschütteln goutiert und schließlich unbeeindruckt den Supermarkt verlässt. Auch der arme Bierdurstige dringt bis zur Kasse vor und bezahlt seine „lauwarme Dose“, wie er der Kassiererin mehrfach erklärt. Er verlässt den Sparmarkt und versucht halbherzig, eine schlanke junge Frau beim Eingang von sich zu vereinnahmen, was ihm aber nicht gelingt. Laut schreiend hält er danach Ausschau nach seinem Freund, mit dem er offenbar den Bahnhof betreten hat und entdeckt ihn weiter oben im Ausgangsbereich. Er läuft ihm entgegen, betritt die Rolltreppe, und kommt in seinem angetrunkenen Zustand mehrfach in Gefahr, von der Rolltreppe zu stürzen. Ein paar Schutzengel verhindern aber das Ärgste. Ganz oben wird er doch von seinem Freund in Empfang genommen, ein freundschaftliches Shakehands – dann wird die Dose geschlachtet und der Inhalt geschlürft. Auch wenn er noch recht lauwarm ist…
© Vivienne