Ich stand vor dem Fliederstrauch und betrachtete traurig die frisch aufgeworfene Erde, die vom Regen nass glänzte. Hier lag Minki begraben, Stockis Mutter, und ich konnte ein paar Tränen nicht unterdrücken. Fast sechzehn Jahre war Minki Teil unserer Familie gewesen, etwas neurotisch und immer wieder sehr kapriziös. Aber wir hatten sie geliebt. Ich drehte mich um, als ich ein leises Miauen hinter mir hörte. Stocki schmiegte sich an meine Beine und schnurrte laut. Dass seine Mutter wenige Schritte entfernt begraben lag, hätte ihn sicher nicht gerührt.
Kaum verwunderlich, denn die beiden waren ja seit Jahren nur im Kriegszustand gewesen. Ich schnappte mir das gewaltige Tier und trug es ins Haus. Die Bilder der letzten Tage kamen mir in Erinnerung… Fast neun Tage war es her gewesen, dass der Sohn eines unserer Nachbarn mitten in der Nacht an der Tür geklingelt hatte. Mein Bruder – Nachtarbeiter bei einer großen Tageszeitung – hatte ihm geöffnet und der junge Mann hatte ihn zum Grundstück der Familie geführt. Dort lag Minki, etwas verschreckt hatte sie sich dort hinter einem Strauch verkrochen. Sie konnte sich kaum rühren, war offensichtlich angefahren worden und bot ein Bild des Jammers.
Wir fütterten sie und gaben ihr zu trinken und hofften das Beste. Zwei Tage war Minki abgängig gewesen, was uns aber nicht weiter verwundert hatte. Immerhin war der Frühling ins Land gezogen… Aber das hier sah nicht so aus, als hätte Minki nur ein heftiges Rendezvous mit einem Kater gehabt. Der Tierarzt war leider für unbestimmte Zeit nicht erreichbar, und einerseits war ich froh, da ich mir sicher war, der auf Kühe spezialisierte Veterinär hätte sie sofort eingeschläfert. Ob das aber für Minki nicht ohnedies das Beste gewesen wäre? Ich wollte mich dieser Frage nicht stellen, sondern hoffte. Inständig. Montag schien es sogar, als wäre sie auf dem Weg der Besserung. Sie war lebhaft, fraß relativ viel und trank Wasser. Ja, sie versuchte sogar sich zu bewegen…
Am nächsten Tag hingegen ein völlig anderer Anblick. Minki schlief fast die ganze Zeit, fraß nichts und trank nur etwas Wasser. Wir hatten ihr neben dem Kaminofen, wo sich ihr Lieblingsplatz befand, ein Lager hergerichtet, das wir ihr so sauber wie möglich hielten. Immerhin konnte sie ihre Körperausscheidungen nicht halten. Stocki verhielt sich etwas seltsam, er verstand nicht, warum wir ihn nicht mehr ins Wohnzimmer ließen. Minki sollte ihre Ruhe haben, hatten wir beschlossen, und der Kater hätte sie womöglich auch noch unsanft attackiert. Darum beförderte ich ihn auch gleich unsanft nach draußen, als er einmal zwischen den Beinen meines Bruders den Weg ins Wohnzimmer gefunden hatte.
Mit Minki ging es immer weiter bergab. Sie bewegte sich kaum, trank nur immer wieder ein wenig und ihre Augen waren tief in ihre Höhlen gesunken. Ihr Schwanz hing wie ein Fremdkörper an ihrem Hinterteil, sie hatte ihn seit dem Unfall nicht mehr rühren können. Immerhin fraß sie Ende der Woche wieder ein wenig, das heißt, sie versuchte es, denn mehr als ein Bröckerl schaffte sie nie. Ihr Überlebenswille war sehr stark, aber langsam verließen sie die Kräfte. Als ich am Ostersonntag aufstand, fand ich die Katze in merkwürdiger Haltung vor. Sie musste tatsächlich ihren Körper halb aus dem Kisterl, in das wir sie gebettet hatten, bewegt haben. Nun lag sie mit einem Teil des Körpers auf den Holzscheiten – genau so wie sie im Winter immer gern am Ofen gelegen war.
Diese Anstrengung musste sie aber alle Kraft gekostet haben. Als ich sie streichelte und mit ihr redete, rührte sie sich nicht, sie bewegte nur die Augen ein wenig und lediglich das leichte Beben ihrer Flanken zeigte noch Herztätigkeit an. Langsam erlosch ihr Körper an diesem Tag. Kurz vor 15:00 Uhr berührte ich sie nochmals sanft, aber da bewegte sie sich nicht mehr. Unsere Minki war nach neun Tagen gestorben… Wir beerdigten sie noch am Nachmittag bei den Fliederbüschen. Es regnete leicht und ich war dort noch eine Weile traurig stehen geblieben. Minki würde uns fehlen, und keine andere Katze könnte jemals ihren Platz ausfüllen!
Später brachte ich also den Kater ins Haus zurück. Zu begreifen, dass seine Mutter verstorben war, konnte man wohl nicht von ihm erwarten. Er fraß ganz normal aus dem Futternapf und rollte sich dann wie so oft auf dem Ohrensessel meines Vaters im Raucherstüberl ein. Ungerührt. Katzen haben es nicht so mit verwandtschaftlichen Banden, außerdem war Minki auch nie mehr nett zu ihm gewesen seit er erwachsen geworden war. Ich dachte nach. Vor sieben Jahren hatte Minki die Katzenseuche überstanden, ich hatte sie damals über eine Woche gehegt und gepflegt, aber wenigstens war ich erfolgreich gewesen. Aber diesmal war wohl Minki schon zu alt und zu schwach gewesen um noch zu genesen…
Vivienne