Die Inzesttragödie in Amstetten, der Fall Fritzl, erschüttert nicht nur ganz Österreich in seinen durchaus ein wenig verlogenen Grundsätzen. Auch die Welt konzentriert sich gebannt und nach der Aufdeckung des Falles Kampusch mit erhobenem Zeigefinder auf das kleine Land im Herzen von Europa. Hat sich Österreich nun zu einer Hochburg für Triebtäter, die im Verborgenen ihr Unwesen treiben und oft jahrelang unentdeckt und unbestraft wüten, entwickelt? Mit Sicherheit nicht ausschließlich, man blicke nur nach Belgien und erinnere sich an den Fall Dutroux, der vor einigen Jahren für heftiges Aufsehen und Empörung sorgte. Nichts desto Trotz, die Insel der Seeligen, die man uns hierzulande so gern vorspiegeln möchte, existiert in Österreich auch nicht, beileibe nicht – gerade was so Perverse betrifft, die sich an Kindern und Schutzbefohlenen abreagieren…
Selber im Alter von sieben Jahren durch die Begegnung mit einem Perversen traumatisiert, blieb ich beileibe nicht die einzige in der Familie, die Opfer von sexuellen Übergriffen wurde. Jede meiner drei Schwestern weiß aus der Kindheit von einer unangenehmen Begegnung zu berichten, in der es zu sexueller Belästigung gekommen ist. Ob es nun beim Heimbringen von einer Feier „nur“ die Hand am Knie war oder ob man den Rest einer eben solchen Fahrt dann zu Fuß fortsetzen musste, weil der Fahrer nicht wahrhaben wollte, dass man „nicht willig war“ – man mag solche Geschichten bagatellisieren, weil sie oft unter Einfluss von Alkohol passieren, aber der Missbrauch meiner Nichte, die damals erst vier Jahre alt war, ist wohl für sich Beispiel genug. Beispiel genug, wie weit Behörden wegsehen, weil die Anklage eines „Ausländers“ (dem Täter) nur Schwierigkeiten machen würde, wie ernsthaft argumentiert wurde. Oder weil der involvierte Staatsanwalt anscheinend selber perverse Neigungen an den Tag legte, wie sein indiskutables Verhalten im Gespräch mit meiner Schwester, der Mutter des betroffenen Kindes, beweist. Vielleicht bedarf es solcher Fälle wie in Amstetten, um die Menschen wachzurütteln und nachzudenken, was eigentlich passieren muss, bis man „merkwürdige“ Vorkommnisse endlich der Polizei meldet – und natürlich von dieser Seite auch etwas in die Wege geleitet wird…
Natürlich sollen mehr Umsicht und Zivilcourage nicht zu einer Massenhatz gegen womöglich Unschuldige führen, deren Kinder einfach öfter schreien oder die sonst irgendwie unlieb sind und denen man damit etwas auswischen könnte. Auf der anderen Seite, weiß ich selber noch ein schockierendes Beispiel aus meiner Heimatgemeinde zu erzählen, das sich vor über dreißig Jahren zugetragen hat und von der zu viele Leute wussten – unternommen wurde allerdings nichts und die Betroffene wie die Täter sind mittlerweile verstorben. Aber das Unrecht an sich ist himmelschreiend genug, betrifft es doch massiven sexuellen Missbrauch an einer kindhaften, geistig behinderten Frau… Diese Frau lebte seinerzeit mit einem Arbeitslosen zusammen, der sich oft im Kreise seiner Kumpane exzessivem Suff hingab. Geld war Mangelware (für Kinder aus einer gescheiterten Beziehung hatte der Mann Alimente zu bezahlen), aber einfallsreich war er auf eine perfide Idee verfallen, wie er Geld für Alkoholika herbeischaffen konnte: er „vermietete“ seine Lebensgefährtin an seine „Freunde“, die dafür bezahlten…
Einer dieser Kumpel, ein beleibter, ungeschlachter Familienvater, tat sich dabei in einer besonders abartigen Weise hervor: er prahlte mit diesen sexuellen Erlebnissen in der kleinen Greißlerei, die damals den Mittelpunkt der Siedlung darstellte und wo sich alles zum Klatsch und Tratsch traf. Daher haben auch wir Kinder das Meiste von den Exzessen des fetten, ungustiösen Mannes mitbekommen: das „Liebesspiel“ mit der unfreiwilligen Gespielin fing meistens damit an, dass die behinderte Frau mit einem Strick am Tisch festgebunden wurde, damit sie nicht davonlaufen oder sich wehren konnte… Den Rest überlasse ich Ihrer Fantasie, liebe Leser, weitere Fakten möchte ich Ihnen und mir selbst ersparen. Schlimm genug, dass man zumindest in der Siedlung über diese haarsträubenden Vorkommnisse Bescheid wusste, ohne dass es je Anzeigen gegen die Beteiligten gab. Wenn der perverse, alte Mann je einmal kurz auf der Polizei war, dann höchstens zum Ausnüchtern wegen eines Vollrausches oder weil er im Suff wieder einmal mit dem Rad gestürzt war.
Noch ein paar Details zu dieser Geschichte gefällig? Die Behinderte war im Zuge ihrer Beziehung zu dem Arbeitslosen (und wohl auch durch den einen oder anderen „Freier“) mehrfach schwanger geworden, konnte die Babys wegen ihres unterentwickelten Körpers aber nur selten austragen und wenn doch, kamen diese tot zur Welt. Auch in diesem Fall fand keine Behörde einen Grund einzuschreiten und dem perversen Treiben ihres „Mannes“ und seiner Freunde ein Ende zu setzen. Sein beleibter, abartiger Kumpan tat sich in der Gemeinde übrigens noch dadurch hervor, dass er sich an minderjährige, augenscheinlich unberührte Mädchen heranmachte und ihnen 20 Schilling bot, „damit sie nachher keine Jungfrau“ mehr waren…
Ich vermag nicht einzuschätzen, ob meine Heimatgemeinde nun einen besonders „guten“ Nährboden für sexuellen Missbrauch und Missbrauch an Kindern und Schutzbefohlenen im Besonderen abgibt. Meiner persönlichen Einschätzung nach hat es in aller Welt Perverse und Abartige immer gegeben (das ist historisch belegt) und das stets in einem größeren Ausmaß, als „die restliche Welt“ wahrhaben wollte. Einmal abgesehen davon, dass nicht jeder eine krankhafte Neigung wirklich auslebt oder zumindest nicht in einem kriminellen Ausmaß, wie weiter oben geschildert: moderne Technologien bieten heute auch mehr Möglichkeiten, Täter aufzuspüren und Indizienketten zu schließen. Unleugbar ist allerdings, dass die Menschen an sich eine gewisse Bequemlichkeit pflegen wegzuschauen, wenn sie eigentlich aufstehen und laut dagegen aufschreien müssten… Das gilt nicht nur für Österreich, das ist überall auf der Welt so – ein wahrhaft guter Nährboden für das Treiben kranker Persönlichkeiten!
© Vivienne