Neue Bohnen Zeitung


BEMERKENSWERTE FILME
von Vivienne  –  Oktober 2003



„Sinn und Sinnlichkeit“

Es gibt genug Menschen, man kann das ja jeden Tag beobachten, die tragen ihr Herz auf der Zunge, die leben Zuneigungen wie Ablehnungen offen und unverhohlen aus. Andere wiederum halten ihre Gefühle bedeckt, schämen sich sogar dafür und sind immer verkrampft bemüht, nichts von dem was sie empfinden, nach außen dringen zu lassen. Das war zu allen Zeiten so, auch wenn in den vergangenen Jahrhunderten speziell Menschen eines gewissen Standes Etikette und hölzerne Umgangsformen lebten und auf Impulsivität wie Herzlichkeit nicht den geringsten Wert legten sondern mit Verachtung straften. Die Wahrheit ist, dass sich im Normalfall weder das eine noch das andere Extrem als wirklich zielführend erweist, sondern der goldene Mittelweg, zugegeben manchmal eine Gradwanderung zwischen beidem, am ehesten angebracht ist.

In „Sinn und Sinnlichkeit“ aus dem Jahre 1995 sind es zwei Schwestern aus der Familie Dashwood, die für diese beiden Extreme stehen: Eleonor (Oscarpreisträgerin Emma Thompson) und Marian (Kate Winslett). Beide geraten durch ihre unterschiedlichen Charaktere in gleiche und doch nicht gleiche Liebeskonfusion, die ihnen hohe Opfer abverlangt. Doch begeben wir uns zum Anfang der Geschichte: Mr. Dashwood stirbt und muss seine zweite Frau und die drei Töchter – eben Eleonor, Marian und Margret, die Jüngste – fast mittellos zurücklassen. Sein Sohn aus erster Ehe unterlässt es unter dem Pantoffel seiner geldgierigen Frau, den Verwandten finanziell unter die Arme zu greifen, obwohl er die Möglichkeit hätte.

Sein Schwager Edward Ferris (Hugh Grant), der Bruder seiner Frau, ist da ein ganz anderer Mensch: liebenswürdig und sehr einfühlsam schließt er bei einem Besuch mit den drei jungen Frauen Freundschaft und scheint offenbar große Gefühle für die zurückhaltende wie betont sachliche Eleonor gefasst zu haben. „Eleonor, wo ist dein Herz?“ Doch Edward reist ab, ohne sich Eleonor gegenüber eindeutig erklärt zu haben. Auch müssen die Dashwoods das Haus, dass der Halbbruder geerbt hat, bald darauf selber verlassen und übersiedeln in ein kleines Landhaus, dass ein Vetter, Sir John, ihnen überlassen hat „… und weit und breit kein schneidiger, junger Mann…“, also ins  gesellschaftliche Aus. Während Eleonor äußerlich ungerührt vergeblich auf ein Lebenszeichen von Edward hofft, wird Marian, leidenschaftliche und ungezügelte Schönheit, vom reichen Cornel Christopher Brenton (Alan Rickman), einem Gentleman, der in der Nähe ein großes Anwesen besitzt, umworben.

Doch Marian verliebt sich in den jungen John Willoughbee, einen glutäugigen und draufgängerischen Mann, der sie bei einem kleinen Unfall gerettet hat und ihre Leidenschaft für Shakespears Sonette teilt. Marian verhehlt ihre Gefühle für John nicht, doch auch sie wird schließlich von ihrem Liebsten ohne ein Wort der Erklärung verlassen. Schlimmer noch, bei einem Ball in London trifft sie ihn endlich wieder, doch er hat sich mit einer jungen, reichen Frau verlobt. Brenton bringt in Erfahrung, dass Willoughbee sein, Brentons; Mündel, die Tochter einer Jugendliebe, geschwängert hat, enterbt wurde und deshalb eine Geldheirat eingehen muss um seine Gläubiger zufrieden zu stellen. „Es ist nicht die Liebe, die sich wandelt, wo sie Wandel findet…“

Eleonor ergeht es in der Zwischenzeit nicht besser. Eine entfernte Verwandte des Vetters, Sir John, Lucy Steel, entpuppt sich als die heimliche Verlobte von Edward Ferris, der dieser vor fünf Jahren unbedacht die Ehe versprochen hat, obwohl seine stolze Familie dieser Ehe nie zustimmen würde. Während Marian ihren Kummer und ihr tiefes Leid offen zur Schau trägt, toben sich  bei ihrer älteren Schwester diese Gefühle unter der Oberfläche aus. Sie gesteht sich nur zu, ab und zu ein Taschenbuch zu betrachten, dass sie von Edward noch besitzt. So wie sie streng und rationell die Einkäufe im Haus überwacht und penibel wirtschaftet, rationiert sie auch die eigenen Gefühle. „Du, die sich niemand anvertraut…“

Es scheint, als könnte Marian, die Willoughbees Verhalten lange beschönigt hat, nicht und nicht über diese unglückliche Liebesaffaire hinwegkommen. Sie wird nach einem langen Spaziergang im kalten Regen schwer krank und stirbt fast. Ihr Verehrer, Christopher Brenton, rettet sie nicht nur sondern kann in der Folge doch noch das Herz des schönen Mädchens, das durch die bitteren Erfahrungen ruhiger geworden ist, erringen. Eleonor hingegen erfährt vorerst nur, dass Edward wegen seiner Verlobung mit Lucy Steel enterbt worden ist und nun eine Anstellung als Landpfarrer sucht. Unangekündigt besucht Edward dann aber die Dashwoods und gesteht Eleonor endlich seine Liebe: Lucy hat ihn wegen seines Bruders verlassen und diesen geheiratet. Er ist nicht mehr an sein Versprechen gebunden…

Ang Lee, Buddhist und Asiat, hat mit „Sinn und Sinnlichkeit“ einen schönen, durch und durch britischen Film geschaffen, in dem er die Wesenszüge der Engländer jener Gesellschaft und ganz besonders ihre seltsamen gesellschaftlichen Konventionen (Stichwort: Mädchen ohne Mitgift!) sehr treffend beschreibt und auch auf die Schaufel nimmt, was speziell durch Emma Thompsons geniales, dramatisches wie witzig-satirisches Drehbuch möglich war. Ihre Eleonor hat  Emma Thompson nach außen hin bewusst sehr kühl angelegt, man nimmt ihr aber auch das innere Gefühlschaos, die Zerrissenheit und die Verzweiflung unter der Maske ab. Kate Winslett als Marian ist wie der Frühling selbst: lebendig, fröhlich, etwas chaotisch aber warm. „Ist die Liebe ein Trugbild oder ein Gefühl?“. Sie will es wissen, und manchmal will sie zu viel. Im Film darf sie auch, die erst durch „Titanic“ einem breiteren Publikum bekannt wurde, ihr gesangliches Talent lange vor „What if“ unter Beweis zu stellen.

Hugh Grant tut das, was er immer schon am besten konnte aber im echten Leben nie war: er stellt einen jungen, schüchternen, leicht linkischen Mann dar, der auf gewisse Weise sehr auf einen bestimmten Typ Frau wirkt (Ich schließe mich da nicht aus…). Alan Rickmann, normalerweise Paradebösewicht („Robin Hood“) zeigt in „Sinn und Sinnlichkeit“ viel Schwermut, ein Liebender, der nicht fordert sondern nur gibt, auch wenn er nichts mehr zu erwarten vermeint – ungewohnte, leise Töne. Mir gefällt in dem Film, dass es nicht nur um tragische oder schwierige Liebesgeschichten geht, sondern auch die Bissigkeit und Ironie, mit der so mancher Charakter oder die Standesdünkel gezeichnet werden und die für den nötigen Ausgleich zwischen Dramatik und den heftigen Gefühlen sorgt. Der fast 2 ½ Stunden lange Film gerät somit keine Sekunde langatmig oder fad.

Zum Titel des Filmes noch kurz: Im Original heißt der Streifen „Sense und Sensibility“, was man korrekt und sehr treffend mit „Verstand und Gefühl“ übersetzen müsste. Die deutschen Verleiher setzten aber gezielt und etwas spekulativ den Titel „Sinn und Sinnlichkeit“ ein, der bei näherer Betrachtung nicht wirklich zur Handlung passt. Emma Thompson schrieb das oscarprämierte Drehbuch nach einer Novelle von Jane Austen, die neben den Brontee-Schwestern zu den bekanntesten romantischen Dichterinnen ihrer Zeit gehörte (Romantisch ist hier im Sinne von Romantik, der Kunst- und Stilrichtung, gemeint und hat nicht notwendigerweise mit Liebe oder Romanzen zu tun).

Vivienne

 

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