DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne – Juni 2002
Vertrauen gegen Vertrauen..(?) oder
Manchmal reicht Liebe allein eben nicht aus…
Es gibt nur ein Glück im Leben, formuliert George Sand so treffend, lieben und geliebt zu werden. Diese Worte hätten auch aus Ally McBeal oder einer anderen der besseren Serien am späten Nachmittag oder Vorabend stammen können, so zeitlos sind sie. Liebe bewegt die Menschen, Liebe ist sicher nicht das, worum sich die Erde dreht, aber sie allein macht das Leben lebenswert. Welcher Mensch achtet schon das Glück und den Erfolg, die er im Leben erfahren darf, wenn er nicht einen geliebten Menschen an der Seite hat, mit dem er alles teilen kann? Ich kenne keinen, und wenn es doch welche gibt, kann man diese Leute nur bedauern. Der Mensch ist nicht auf dieser Welt um allein zu sein, immer ist er auf der Suche: nach seiner Bestimmung, nach dem Sinn und vor allem nach der Liebe, denn darin findet er alles andere auch.
Neulich war ich mit Albert wieder bei seiner früheren Freundin Babsi und der gemeinsamen Tochter zu Besuch. Babsi und ihr Mann Walter leben in der Nähe von Steyr, und nach dem angenehmen Nachmittag in der Wohnung der beiden hingen wir noch eine Übernachtung in Steyr an, um ein wenig zu bummeln, zu spazieren einfach um uns gegenseitig wieder viel Zeit und Zuwendung zu schenken. Die Wochenenden, die wir miteinander verbringen, vergehen immer viel zu schnell. Abends besuchten wir noch ein Restaurant, wir ließen es uns gutgehen und schließlich, erst zu etwas vorgerückter Stunde, beschlossen wir in die Pension zurückzukehren. Ich war noch schnell auf der Toilette und wusch mir die Hände. Als ich die Tür öffnete um hinauszugehen, stieß ich mit einem Mann zusammen, der scheinbar ebenfalls das dringende Bedürfnis sich zu erleichtern verspürt hatte und zur Nebentür wollte. Meine Handtasche fiel zu Boden, ich bückte mich und als ich wieder aufblickte, sah ich in Hermanns wasserblaue Augen, die mich mit einem Ausdruck der höchsten Überraschung anstarrten.
Mir gabs einen Stich, ich spürte, dass ich ein wenig rot wurde, drehte mich verärgert über mich selbst um und ging etwas rascher, als es nötig gewesen wäre, zu unserem Tisch zurück. Meine Gedanken liefen hektisch im Kopf hin und her. Unglaublich, nach all dem, nach fast drei Jahren kollidierten Hermann und ich neben einer Damentoilette und wechselten nicht ein Wort miteinander… Ehrlich gesagt, ich war ein wenig verstört. Albert bemerkte mein irritiertes Wesen sofort und nahm mich bei der Hand. Vivienne, Liebes, was ist denn los? Sein Gesicht zeigte besorgte Züge, der Ton seiner Stimme war liebevoll und aufmerksam zugleich. Ich lehnte mich an ihn und beruhigte ihn. Nichts ist, gar nichts. Vorhin, als ich aus dem WC kam, bin ich defacto in Hermanns Arme gelaufen, sonst nichts. Albert zog die Augenbrauen hoch. Hermann? Dein Ex-Freund? Ich nickte und mir war klar, dass Albert jetzt sicher wissen wollte, warum mich dieser Mann, den ich an die drei Jahre nicht gesehen hatte, so aus dem Häuschen bringen konnte. Ich erklär dir alles, wenn wir in der Pension sind, aber es ist halb so wild, glaub mir.
In unserem Zimmer in der Pension besorgte mir Albert liebenswürdigerweise eine Tasse Kräutertee und setzte sich zu mir. Er sagte nichts, er hatte nur den Arm um meine Schulter gelegt und sah mich unverwandt aus seinen schönen braunen Augen an. Ich lächelte zurück und meinte als Einleitung: Glaub jetzt nicht, dass ich dir unüberwundene Gefühle für Hermann gestehen muss, davon kann nicht die Rede sein. Dass ich so betroffen bin, liegt daran, dass damals, als sich seine und meine Wege wieder trennten, noch so viel zwischen uns offen war, das mich lange gequält hat wie eine schwere, offene Wunde. Dabei ging es nicht allein um verletzte Gefühle, dabei ging es vor allem auch um sein mangelndes Vertrauen und die Art und Weise, wie er mich abgespeist hat. Albert nahm meine Hand und strich sanft über meiner Stirn. Erzählst du mir mehr? Wenn du möchtest…?
Im Grunde hätte ich es längst tun sollen, antwortete ich und nahm einen Schluck aus der Tasse. Aber ich hatte diese schmerzhafte Geschichte in den letzten Jahren verdrängt… Hör zu, ich musste plötzlich lächeln, denn ich hatte wieder das Bild vor meinen Augen, als ich im Begriff war jene Großhandelsfirma zu verlassen: Albert mit dem großen Strauß Blumen vor mir im Lager… Du kannst dich sicher erinnern, als ich damals von euch wegging. Ich hatte Hermann zu Silvester kennengelernt, es hatte irgendwie gepasst und ich hatte mich für meine Verhältnisse unüblich schnell in ihn verliebt. Zuerst war nur die Rede davon, für ihn und seinen Freund Christian zu arbeiten im neugegründeten Unternehmen, aber aus dieser Sympathie wurde schnell mehr. Hermann, so wie ich ihn kannte, war etwas verklemmt, mehr als man auf dem ersten Blick annehmen konnte. Vor mir hatte er erst eine Beziehung gehabt, die Frau hat ihn schmählich ausgenutzt und betrogen und ihn eine Menge Geld gekostet, wie er erzählte. Ich lehnte meinen Kopf an Alberts Schulter. Für ein paar Wochen habe ich tatsächlich geglaubt, dass es wohl Schicksal war, dass er und ich uns damals begegnet sind, füreinander bestimmt sind…
Ich schwieg und hing meinen Gedanken nach… Wo war ich stehen geblieben? Richtig, also einige Wochen war es toll, wunderschön, wie ich nicht erwarten konnte. In der Firma der beiden, wo ja Christian, sein bester Freund das Sagen hatte, kriselte es schon früher. Am todsicheren Konzept, dass dieser Christian da erstellt haben wollte, fehlte es meinem persönlichen Eindruck nach an allen Ecken und Enden. Außerdem hatten beide vom Wirtschaften keine Ahnung, das war nicht zu übersehen. Schnell gerieten Christian und ich aneinander und du kennst mich ja: ich sage meine Meinung oft etwas undiplomatisch aber eben offen und ehrlich. Christian und ich waren uns nicht grün. Anfangs hatte ich noch das Gefühl, Hermann sei auf meiner Seite und teile meine Ansichten. Aber ich kann nicht mehr genau sagen wann, da verlor sich dieses Gefühl allmählich und immer klarer.
Albert zündete mir und sich eine Zigarette an. Ich sog den Rauch in die Lungen und meine Müdigkeit gab sich wieder ein wenig. Das Unternehmen lief also nicht und zwischen Hermann und mir lief eigentlich auch nichts mehr wirklich. Dazu kam, dass er aber auch Christian wenn wir Geschäftsessen mit Kunden hatten, mich regelmäßig maßregelten, wenn ich mir nur ein zweites Achterl Weißen oder noch einen Gspritzen bestellte. Zwei Mal erwischte ich Hermann, wie er meine Kontoauszüge, Versicherungspolizzen etc. durchsuchte, weil er offenbar annahm, ich wäre noch unterwegs. Beim zweiten Mal gerieten wir dann so aneinander, dass ich wie schon einmal, wie etwa 1 ½ Jahre zuvor bei Richard, die gemeinsame Wohnung verließ. Viktoria, die bei ihrem damaligen Freund lebte, aber aus ihrem aktuellen Mietvertrag nicht heraus kam (zu ihrem Glück, wie sich bald herausstellte!) ließ mir ihre Wohnung für die nächsten Wochen. Trotzdem arbeitete ich noch ein paar Wochen weiter für die beiden, für Christian und Hermann. Aber auch nach dem ich aus der Firma ausgeschieden war, hoffte ich so, dass sich Hermann endlich erklären würde, das ganze Missverständnis, denn nichts anderes konnte es sein, wie eine Seifenblase platzen würde. Geduld ist die Kunst der Hoffnung…
Wieder schwieg ich für ein paar Minuten. Was ich jetzt zu erzählen hatte, würde etwas kräfteraubend sein und die alte Wunde vielleicht wieder aufbrechen lassen. Es gibt keine Zufälle, lass dir das nie einreden… Eines Abends war ich mit Viktoria und ihrem Freund unterwegs, um mich ein wenig abzulenken. Die Probleme mit Hermann kostete mich sehr viel Energie, aber im Grunde hatte ich keine wirklichen Zweifel, wieder mit ihm zusammenzukommen wir liebten uns ja, war ich felsenfest überzeugt. Und dann traf ich an jenem Abend Celine, ja genau, die Celine aus der Firma, die jetzt an der Universität in Wien studiert nachdem sie die Studienberechtigungsprüfung bestanden hat. Und was sie mir erzählte, konnte ich zunächst fast nicht glauben… Christian, dieser verkehrte Charakter, hatte etwa zwei Monate nach dem ich zu ihm und Hermann gestoßen war, bei meiner Ex-Chefin, bei der Neumeier, über mich erkundigt. Unglückseligerweise muss das fast zur gleichen Zeit passiert sein, als ich selber an die Neumeier geschrieben hatte um zum mittlerweile zweiten Mal meine Überstundenauszahlung zu urgieren. Offenbar hatte sie vorgehabt, mich darum zu prellen, weil sie mir ja die einvernehmliche Trennung von der Firma ermöglicht hatte. Du kennst die Neumeier, sie ist alles andere als ein feiner Charakter und im Grunde hat noch jeder, der die Firma verlassen hat, sein Fett von ihr abgekriegt. Sie ist halt durch und durch gehässig. Und in dieser Situation hat sie Christian nach seinem Anruf in die Firma eingeladen und mich mit Dreck beworfen: sie unterstellte mir einen Hang zum Alkoholismus, Ungenauigkeit und schlampiges Arbeiten, Unpünktlichkeit, Gehaltspfändungen, ja, und dass ich nicht vergesse bei mir hätte die Kassa nie gestimmt, und das, obwohl in den paar Jahren dort nie mit der Kassa zu tun hatte.
Absurd und lächerlich im Grunde. Celine beschwor mich, nichts zu erzählen, weil sie keine Schwierigkeiten haben wollte. Aber ich hatte ohnedies andere Sorgen in diesem Moment: mit einem Mal war mir das Verhalten von Hermann und seinem feinen Freund klar geworden! Nicht nur, dass sich dieser saubere Charakter Christian nichts dabei gedacht hatte, meine frühere Chefin über mich auszuhorchen, er hatte diese Gschichtln, die genaugenommen nur einer Laune der Frau Neumeier entsprungen waren, brühwarm meinem Hermann erzählt…. Vielleicht kommen wir jetzt ins Reine, dachte ich mir, ich muss mit ihm reden drüber, besser noch, ich schreibe ihm, und dann wird alles gut. Ich schrieb Hermann also einmal, nein, ein paar Mal, ich schrieb auch an Christian. Keine Reaktion, ich rief Hermann an, er legte einfach auf. Und ich war mental ganz unten.
Albert hatte mich in die Arme genommen und hielt mich ganz fest. Es tat so gut ihn zu spüren, seine Arme, seine Brust, sein Gesicht, damit ich den Schmerz und die Demütigung von damals nicht so stark fühlte. Nach einer Weile löste ich mich wieder aus seinen Armen und setzte die Geschichte fort: Ich besuchte dann Beatrice und Louis. Eigentlich war ich hingefahren um mich auszuweinen, aber Bea machte mir einen Strich durch die Rechnung. Als ich nach der ganzen Geschichte in hemmungsloses Schluchzen verfallen war, blitzte sie mich aus ihren blaugrünen Augen an wütend an und meinte ziemlich aufgebracht: Wie lange willst du dir eigentlich noch selber leid tun? Der Typ ist ein Waschlappen, hat kein Rückgrad! Wenn ich bedenke, dass er von diesen Lügen ein halbes Jahr wusste ohne mit dir offen darüber zu reden, dann kann ich dazu nur sagen, dass er deine Tränen nicht wert ist! Erinnerst du dich an die Greindl, und was sie seinerzeit inszeniert hat, weil Louis und ich ein Paar wurden? Hätte sich mein guter Louis so verhalten wie dein Hermann, wären wir jetzt sicher nicht verheiratet.
Über diesen komischen Christian möchte ich im Grunde auch nicht viel mehr sagen: der betrogene Betrüger, mehr fällt mir dazu nicht ein. Wenn du mich fragst, vergiss diesen Hermann! Glaubst du, ich würde nur eine Sekunde zögern, meinen geliebten Louis zu sehen, wenn wir irgendwie getrennt wären? Oder Louis seinerseits? So viel schlechte Erfahrungen kann der gute Mann mit seiner Ex nicht gemacht haben, dass es ihn im Normalfall, wenn er dich liebt, wieder zurück zu dir ziehen müsste wie einen Eisennagel zu einem Magneten! Aber der Typ glaubt immer nur das Schlechteste, wenn es diese Affaire nicht gewesen wäre, dann halt was anderes. Aber die große Liebe, so leid es mir tut, dir das zusagen, war er sicher nicht. Beas Redeschwall hatte mich völlig verblüfft und mich blitzartig aus meinen Tränen gerissen. Ich war meinerseits wütend auf sie, weil sie so hart mit mir umgesprungen war, aber ich hatte zu weinen aufgehört. Und das wollte sie damit offensichtlich auch erreichen.
Albert schmunzelte vergnügt. Ich kann mir Beatrice in Aktion richtig gut vorstellen. Und ich kann dir nur sagen, sie hatte völlig recht. Du hast ja auch was besseres verdient, nämlich mich. Er machte eine kurze Pause. Und er hat sich wirklich nicht mehr bei dir gerührt? Nein, nicht einmal. Unser heutiger Zusammenstoß war ja im Übrigen nicht geplant, erläuterte ich. War er überhaupt allein im Lokal? stichelte Albert und begann mit meinen Haaren zu spielen. Ich kitzelte ihn, damit er mich in Ruhe ließ und stieß ihn dann ein Stück zur Seite. Ich habe mich nicht umgesehen, es ist mir auch egal. Aber wahrscheinlich ist er mittlerweile mit Christian verheiratet. Die verschmähte Braut! Wie der Fuchs mit den sauren Weintrauben! spöttelte Albert und zog mich zu sich. Auf den Rest des Abends möchte ich nicht detaillierter eingehen.
Beatrice hatte es also auf den Punkt gebracht. Nicht die Neumeier, die wegen meiner Überstundenabrechnung wütend war, auch nicht Christian, der mich nicht leiden konnte und dem die abenteuerliche Geschichte der Neumeier gerade recht kam, hatten meine Beziehung zu Hermann zerstört, es war schon zum großen Teil er selbst gewesen. Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen, sagt zwar Ludwig Wittgenstein, aber in einer Beziehung, in einer guten Beziehung, ist Sprachlosigkeit, ist Schweigen tödlich. Liebe ist kein Solo, Liebe ist ein Duett. Schwindet sie beim einen, verstummt das Lied. Adalbert von Chamisso bringt es für mich auf den Punkt: Hermann hatte in unserer Beziehung längst sein Instrument weggelegt, während ich noch voller Eifer musizierte und musizierte. Eine Liebe zu retten versuchte, die gar keine mehr war …. weil meine Liebe zu ihm allein eben nicht ausreichte.
Vivienne
Link: Alle Beiträge von Vivienne