Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  April 2003



Der Ring

„Was abfallen muss, fällt ab“, sagt Rainer Maria Rilke. Diese Erkenntnis trifft auf Vieles zu im Leben: auf Menschen, mit denen wir zu tun haben, auf Jobs, auf Wohnplätze aber auch auf Gebrauchsgegenstände. Manches oder mancher bleibt uns ein ganzes Leben lang erhalten, anderes ist nur für mehr oder wenige

r lange Zeit unser „Begleiter“. Was die Menschen um uns betrifft, ist das den meisten von uns schon klar geworden. Was Gebrauchsgegenstände betrifft, sind wir uns dessen nicht so bewusst, das nichts für ewig ist. Nichts desto Trotz sollten wir nicht außer Acht lassen, dass der eine oder das eine öfter nur scheinbar aus unserem Leben entschwunden ist. Unverhofft taucht jemand oder etwas wieder auf, mit dem wir gar nicht mehr rechneten…

Ich liebe, was die meisten wissen, Silberschmuck und Halbedelsteine. Davon habe ich eine ganze Kollektion daheim, und vor allem Ringe haben mir es angetan. Eine Zeitlang trug ich fast an jedem Finger einen Ring. Vor etlichen Jahren fiel mir einmal ein relativ schlichter Ring in einem Geschäft am Linzer Taubenmarkt auf. Obwohl ohne einen Schmuckstein ausgestattet, gefielen mir die Symbole, die in den Ring geschwärzt worden waren. Nach einiger Überlegung kaufte ich ihn mir und steckte ihn an den linken Ringfinger. Zufrieden trug ich ihn nun fast jeden Tag, so wie ich mich oft nicht mehr von neuen Schmuckstücken trennen kann, weil von ihnen ein positives Gefühl zu kommen scheint.

Ich hatte den Ring noch keine vier Wochen, als er plötzlich verschwunden war. Dabei hätte ich nicht sagen können, wo ich ihn verloren oder liegen lassen haben konnte. In meiner Wohnung durchwühlte ich jeden Schlupfwinkel, ich öffnete sogar den Abfluss um dort zu suchen. In der Arbeit lehrte ich die Mistkübel aus, sah etliche Male am WC unter dem Waschbecken nach, ob er vielleicht beim Händewaschen abhanden gekommen war. Vergeblich. Ich vermute, meine Kolleginnen belächelten mich schon. Was verstanden diese Frauen auch schon, was mir an dem Ring lag. Ich fühlte mich fast nackt ohne ihn, und was mich am meisten verwirrte: ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, so eine Art Ahnung, dass der Ring wieder auftauchen würde.

Aber meine Ahnung schien mich zu trügen und nach etlichen Tagen gab ich auf. Allerdings rechnete ich einige Wochen noch halb und halb damit, dass der Ring auftauchen würde, völlig überraschend: in einer Wäscheschublade, unter den Kosmetikartikeln oder womöglich doch unter dem Bett. Aber die Überraschung blieb aus, und ich vergas darauf. Die Monate und Jahre die folgten, waren doch zu turbulent: ein Frauenprojekt mit unterschiedlichen und teilweise auch überdurchschnittlich intriganten Geschlechtsgenossinnen, eine Beziehung, die wieder scheiterte, menschliche Enttäuschungen und Lehr- und Wanderjahre. Sowie die Erkenntnis, dass man nichts und niemand trauen kann, wenn es hart auf hart geht. Zwei Jahre, die mich prägten wie selten zuvor.

Es war wieder Frühjahr geworden, aber ganz im Gegensatz zu heuer war es schon sehr warm und meine Mutter werkte fleißig im Garten als ich auf Besuch kam. Ich blieb übers Wochenende, weil sich auch Beatrice mit Louis bei meinen Eltern angesagt hatte. Die letzten Monate setzten mir in Gedanken ziemlich zu, als ich im Garten die Märzenbecher zählte, die sich im leichten Frühlingswind wiegten. Mir war nicht besonders nach Frühling zumute, aber die Natur, die zwitschernden Vögel und die Bienen, die mit ganzen Schwadronen in unseren Garten ausgerückt waren, faszinierten mich trotzdem. Ich spürte die Strahlen der Sonne in meinem Gesicht und auf den Händen, aber innerlich fror ich. Zu tief hatte mich manche Verunglimpfung getroffen.

Meine Mutter, die mit dem Jäten beschäftigt war, zeigte mir mit Stolz das Mistbeet, den Wintersalat und vor allem die vielen Blumen, die überall aus der Erde schossen. Eigentlich interessierte mich das alles nicht, aber ich merkte, es lenkte mich wenigstens von meinen trüben Erinnerungen ab. Also lauschte ich gottergeben und begutachtete die Beete, auf denen meine Mutter Erbsen, Radieschen und Kohl plante. Das Erdreich war trocken, fiel mir auf, was bei den anhaltenden warmen Temperaturen auch kein Wunder war. Ich blieb beim Rhabarber stehen, während meine Mutter schon weiter vorn war und mir zurief, ich möge mich doch beeilen. Aber ich ließ mir Zeit

. Und während ich so dastand, halb gebeugt, und ein paar Käfer auf dem Rhabarber in Augenschein nahm, blitzte etwas im Sonnenlicht auf.

Ein Glassplitter? Mitnichten, das war nicht durchsichtig, das merkte ich gleich. Ich bückte mich hinunter und hatte plötzlich einen Ring in der Hand. In der Regentonne wusch ich die Erde herunter und dann traf mich beinahe der Schlag: mein Ring, mein viel gesuchter Silberring mit den eigenartigen Symbolen lag in meiner Hand, ganz unschuldig, als wäre er immer da gewesen. Wie um alles in der Welt war dieser Ring in den Garten meiner Eltern gekommen, wo ich ihn nie und nimmer vermutet hatte? Der Ring sorgte natürlich für reichlich Gesprächsstoff als später auch Beatrice und Louis zum Kaffee eintrudelten.

Des Rätsels Lösung dürfte wohl im Grunde sehr simpel sein. Ich konnte mich erinnern, dass ich auch damals, als ich den Ring verloren hatte, wieder einmal bei den Eltern vorbeigeschaut hatte. Irgendwie musste der Ring in den Kompost gelangt sein, ob nun weil ich gekocht hatte und ich den Ring versehentlich mit irgendwelchen Schalen weggeworfen hatte oder beim Zurückschneiden der Rosen unachtsam gewesen war. Wie auch immer – das wird sich nicht mehr klären lassen. Aber Tatsache ist, er war die ganze Zeit unvermutet im Garten gelegen, während ich keine Hoffnung mehr hatte, ihn wieder zu bekommen. Aber so ist es öfter als man glaubt im Leben: Nichts das endgültig scheint, muss wirklich endgültig sein.

Auch was die Menschen in unserem Leben betrifft. Oft scheint ein Mensch für immer aus unserem Leben ausgegrenzt, man sieht, man hört nichts von ihm. Ein Jahr, mehrere Jahre, man denkt nicht mehr an ihn. Und trotzdem schneit es ihn vielleicht irgendwann wieder unerwartet vor die Haustür. Das Wissen darum kann ein großer Trost sein, wenn der Abschied schmerzhaft war. Zu viele Hoffungen sollte man trotzdem nicht damit verbinden. Wir alle ändern uns und sind nicht mehr dieselben – und den Ring, der mir einmal so viel bedeutete hat: ich trage ihn jetzt auch nicht mehr.

Vivienne

 

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