Sport ist Mord! – Toni’s O-Ton

Ich stapfe die vier Stockwerke in der alten Kapuziner-Abtei hinauf, nachdem mich Sohnemann an der geschwungenen Fasade des Limbecker Platzes in Essen aus dem Golf verabschiedete.

Während der Herfahrt, und ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, dass mich nur sein überaus sportlicher Fahrstil wieder mal daran erinnert haben muss, blitzten kurz einige Gedankensplitter in meinem Gehirn auf, die schließlich darin gipfelten, dass ich mich wieder mal in die Siebziger zurück versetzt sah. Als dieser verrückte Italiener mir während der Tourist Trophy auf der Isle of Man in die Quere kam, und wir beide die nächsten Wochen freundlich grinsend, uns gegenseitig beim Zusammenwachsen unseres Knochenmaterials zuschauen konnten.

Woher hat der das bloß? Ein popeliger Golf ist nunmal kein Rennpferd, Sohnemann?
Seltsam, nur noch die paar Stufen, wie kommt Einer in Zeiten höchster Perfektion auf allen Gebieten dazu, eine Lokalität dem ganzen Gegenteil davon zu widmen?

Ja, wir damals!
Unsere geschundene Knochen konnten uns nicht wirklich von der Besorgnis um unsere Motorräder abbringen. Seine Guzzi, so erfuhr der Italiener dann ein paar Tage später, hatte sich nach dem Einschlag in die Ulme nicht nur in ihre gesamten Einzelteile zerlegt, sondern, nachdem die Wiese auf der sie schließlich lag Feuer fing, lichterloh gebrannt.

In diesem Augenblick wusste ich, woran ein Mensch wirklich zerbrechen kann!

Ich, für meinen Teil, würde schon in ein paar Wochen nach einem gut erhaltenen Rahmen für eine Norton Commando suchen, dachte ich mir, und darauf meine ganze Hoffnung fürs nächste Jahr setzen.

Bis dann Brigitte mir unmissverständlich klar machte, dass ihr sich täglich immer mehr wölbender Bauch nicht mehr weiter zuschauen würde, wie ich unermüdlich versuchte, nicht nur in Rennfahrerkreisen zu punkten, sondern auch noch stetig die Himmelsleiter in die Ewigen Rennfahrergefilde zu erklimmen.

„Glaubst du wirklich, alter Herr…“,
sprach Sohnemann so von mir so, hieß es obacht geben,
„du kannst bei dem jungen Gemüse noch punkten?“

Ich hatte ihn nur verständnislos angeblickt und er war vor der Auffahrt zum Parkhaus in die „Eisen gestiegen“, was der hinter uns Fahrende mit einem bösen Hupen quitierte.
„Ja, du mich auch mal!“
Der Daddy in seinem Stinkdiesel hinter uns hatte dann doch noch, finster blickend, die Kurve ins Parkhaus gemeistert.
„Sei nicht so respektlos, Sohn. Was willst du denn damit sagen? Ich und junges Gemüse, häh?“
„Ja die Mädels dort! Spiel hier nicht den Ahnungslosen, ich kenn dich doch, du alter Waidmann. Du willst doch nur ein paar Ladys kennen lernen. Schreiben lernen, was mit Dramatik und so? Dass ich nicht lache!“
„Du sollst nicht immer so blöd daher quatschen, Sohn! Elke, wenn sie solch einen Seminarblock anbietet, weiß ganz genau, was wir davon gebrauchen können.“

Nur noch diese Treppe da! Seltsam, der Geruch der Kapuziner in ihren braunen Kutten hing hier in diesem engen Treppenhaus wohl immer noch in der Luft. Wie streng mag es damals wohl gerochen haben?
Natürlich nach allem, doch, wie hatte Sohnemann gefaselt, bestimmt nicht nach ein paar Ladys?

Ich hatte dann, als ich Brigitte von der Harmlosigkeit meines neuen Sportes überzeugen konnte, mit dem Segelfliegen angefangen. Der günstig von einer jungen Fliegerwitwe erworbene Wohnwagen in der Wohnwagensiedlung des „Sonderlandeplatzes Schwarzen Heide“ hatte da wohl den letztendlichen Ausschlag gegeben.

Puh, nun ist aber bald gut mit Stufen, liebe Leute! Die Kapuziner waren bestimmt sehr sportlich in ihren besten Jahren.
Stufenrennen? Bald olympische Sportart? Gut, dass ich immer noch gut in Form bin.

Brigitte zeigt zwar immer sehr nett lächelnd auf mein Bäuchlein, aber gönnt mir dennoch stets den zweiten Nachschlag.
Doch ich kenne sie ja nun genau genug, um diese Anspielung gefällig zu überhören.

Wie hatte der Bursche in der Lobby gesagt? 453? Na klar, 453! Bloß, was steht da? Yoga und Tai chi? Backen ohne Mehl?
Dramaturgie für angehende Nobelpreisliteraten oder zumindest die Anleitung zum Glücklichsein, wäre mir nun lieber!
Aber Yoga? Kopfstand auf dem Tempotuch?
Egal, nur mutig die Klinke gedrückt! Rückzug ist nicht!
So, wie damals!

„Du hier, das freut mich aber!“
Nein, es ist nicht Elke, die mich drückt und mir sofort des Sohnes Vorwurf ins Gedächtnis zurück bringt.
„Du, freut mich auch!“, stammele ich verlegen. Mensch, reiss dich gefällig zusammen. Seltsam, nun kommt sogar Kritik von meinem Innersten.
Ich kann nur, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, diese Zauberhafte nun meinerseits kräftig drücken.
Ja, Sohnemann, worauf du Gift nehmen kannst, hier sind sie alle versammelt!
20 Augenpaare begrüßen mich.
20 Gesichter strahlen mich an.
Ich merke, wie mein Blut in Wallung kommt.

Etwa 8 Cappucino später, alles andere Getränk erschiene mir hier in diesem ehemaligen Tempel der Andacht unpassend, steigt mein Blutdruck tatsächlich in die obere Stratosphäre.
Aber unter einem gewissen Ausgleich zwischen Eintritt und Verzehr geht es numal nicht hier im Unperfekt-Haus. Man muss, wie auch im wirklichen Leben, immer nur die Billanzen im Auge behalten.

„Und, wie wars? Hats was gebracht?“
Sohnemann hatte mich aufgepickt. Ein selbsgefälliges Grinsen umspielt sein Knabengesicht und ich kann mich eines gewissen Verdachtes nicht erwehren.
„War gut! Und gelernt haben wir alle etwas, das kannst du mir ruhig glauben!“
„Und die Mädels, erzähl schon!“
„Quatsch nicht rum! Ich spreche von Dramaturgie und technischen Tricks um sein Publikum zu fesseln und nicht von Fesseltricks a la „Shades of Grey“, obwohl wir natürlich auch diesen Titel ganz kurz gestreift haben.“
„Na, siehst du, lag ich doch nicht ganz daneben, alter Mann!“
„Du bekommst gleich was auf die Mütze, du Lümmel! Die beiden Seminarleiterinnen haben uns ne ganze Menge geboten und, ob du es nun glauben willst oder nicht, selbst die Entspannung kam dabei nicht zu kurz!“
„Entspannung? Gehts nicht ein bisschen genauer?“
„Ja, was soll ich sagen, wir haben Spielchen gemacht, uns gereckt und gestreckt! Einige von uns sind sogar im Sinne darstellerischer Kunst zur Höchstform aufgelaufen. Ach ja, und Männer waren auch da.“
„Spielchen also! Na gut, und du? Bist du etwa auch zur Höchstform aufgelaufen?“
„Du kennst mich doch, du Schlumpf. Ich habe mich, bei all den Themen auf das beschränkt was ich am besten kann.“
„Mist, Alter, und ich hatte schon so sehr gehofft, dass du endlich mal deine verdammte Schüchternheit ablegst. Aber, so ist nun zu vermuten, du wirst niemals gescheit.“

Ich hatte gar nicht richtig hingehört was der Schnösel da plapperte. Mich beschäftigte etwas ganz Anderes.
Wieso schien es ihm auf einmal möglich zu sein, die Straßenverkehrsordnung nicht als den ihm zur Ehre gereichenden Feind auf dem Felde der Ehre zu sehen?
Ja, wir damals! Das waren doch noch Zeiten!

Der chefschlumpf grüßt Elke und Scarlett und die Schreib-Eleven der VHS-Duisburg! Im August 2014

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