In jeder Katze steckt – vom Temperament her – eine Raubkatze, ein Tiger oder ein Löwe oder was auch immer. Bei Stocki war mir das schon lange nichts Neues mehr, aber auch die kleine Susi konnte bisweilen Seiten aufziehen, die man an ihr nicht unbedingt kannte, ja, die mich erstaunten. Susi oder Petit, wie ich sie manchmal nenne (Petit ist französisch und heißt Kleines), hat durchaus Anlagen, die einer Löwin zu Ehre gereicht hätte, davon konnte ich mich erst kürzlich überzeugen…
Dass Susi großen Gefallen daran gefunden hatte, den Kater Stocki zu ärgern, wissen Sie aus meinen Geschichten längst. Dass der Kater im Vergleich dazu relativ sanft mit ihr umsprang, sie zwar stets nach jeder Attacke anfiel und dann auf den Rücken warf, ihr aber sonst nichts tat, ist daraus auch hervorgegangen. Allerdings dürfte Susi oder Petit zudem durchaus der Neigung frönen, fremde Kater zu sekkieren und die reagierten nicht so sanft wie Stocki auf solche Überfälle, die mussten ja auch nicht fürchten, dass wir sie straften dafür…
Neulich entdeckte ich, dass ein Auge der kleinen Katze entzündet war, offensichtlich von einem Prankenhieb einer größeren Katze. Ein Sekret hatte sich dort gesammelt und die Haut war leicht gerötet. Als ich die Katze auf den Arm nahm um sie zu verarzten, ließ sie sich das zunächst durchaus gefallen bis ich mit einem Wattestäbchen das Sekret entfernte. Sie blickte mich während des Vorgangs unglücklich an und versuchte den Kopf wegzudrehen. Allerdings vergeblich, ich war schneller, dann entließ ich die Katze wieder auf den Boden. Sie schüttelte sich, ihr ungewöhnlich dicker Schweif peitschte hin und her und ich fing ihren Blick auf, aus schmalen Augenschlitzen, und irgendwie gefiel mir der nicht…
Tage ließ sich die kleine Petit daraufhin wieder nicht blicken. Ja, das Liebesleben, und das Wetter war auch ausgezeichnet. Katze sein, das wäre ein Leben! Petit erschien gerade mal zum Fressen und Trinken bei uns und dann verschwand sie wieder. Erst vor ein paar Tagen hatte ich wieder Gelegenheit, Susi genauer zu begutachten. Und das Auge gefiel mir nicht, auch nicht aus der Entfernung. Ich ging also auf die Kleine zu und wollte sie packen. Schließlich sollte ich doch das Auge der Katze einer genaueren Prüfung unterziehen. Aber Petit versuchte mir auszuweichen, ihr Blick, der auf mich gerichtet war, zeigte tiefes Misstrauen und Ablehnung.
Die Katze konnte mir trotzdem nicht entkommen. Schließlich hatte ich sie am Arm aber sie wehrte sich, sie biss und kratzte mich. Na so was aber auch, so kannte ich die Susi gar nicht! Ich hielt sie fest, aber Petit versuchte, ihren Körper zwischen meiner Armbeuge hervorzuziehen, was ihr sogar halb gelang bis ich die Katze noch fester einzwängte. Susi blickte mich an, als wolle sie mich fressen. Dabei konnte ich sehen, dass das bewusste Auge wieder voller Sekret war und dringend gereinigt werden musste. Ich griff nach den Wattestäbchen während ich mit der anderen Hand den Kopf der Katze fixierte. Petit schlug mit den Pfoten nach mit, ich erhielt einen leichten Kratzer am Daumen, ließ mich aber nicht abhalten, der Kleinen mit dem Wattestäbchen das Sekret wieder vorsichtig zu entfernen…
Augentropfen vom Tierarzt tropfte ich schließlich noch ein, dann traf mich die Rache von Petit mit aller Macht. Als ich meinen Druck lockerte, riss sich die Katze los. Nicht, ohne mich anzufauchen wie eine Löwenkönigin und mir mit der einen Tatze ins Gesicht zu schlagen. Dann ergriff sie allerdings sofort die Flucht, mit halb angstvollem Blick auf mich, rannte sie aus dem Zimmer, während ihr Schweif machtvoll zuckte. Ich hielt einen Moment erstaunt inne, dann musste ich lachen und ich folgte Susi, die mich lauernd beobachtete und dann über die Stiege bis zur Haustür lief. Eigentlich hatte ich vorgehabt, der Katze, wenn sie durchgehalten hätte, noch ein wenig Schinken zu geben, quasi zur Belohnung, aber Petit hätte das nie zu würdigen gewusst. Außerdem wollte sie raus, ganz eindeutig, und ich stand momentan ganz sicher nicht gut bei ihr…
Am Abend ließ sich Susi wieder im Haus blicken. Als ich ihr beim Fressen zusah, wirkte sie etwas schuldbewusst. Ich hatte das Gefühl, dass sie darauf wartete, ich würde sie wegen ihres Schlages ins Gesicht zur Rechenschaft ziehen. Der Zustand ihres Auges schien sich allerdings etwas gebessert zu haben, aber ich wollte die Kleine nicht weiter aufregen. Mir war schon klar, dass diese Katze nicht begriff, dass ich nur helfen hatte wollen. Aber zumindest hatte ich eines erkannt: in Susi schlug das Herz einer Löwin…
(C) Vivienne