Über die Relativität – Aus dem Leben

Ich erinnere mich noch so gut. Ein Freitag vor zweieinhalb Jahren, und ich saß in einer Arztpraxis. Ich wartete dringend auf einen Anruf, der mich von manchen Sorgen befreien sollte… Die Situation in der alten Firma – längst kein Honiglecken mehr. Am Vortag hatte ich ein Vorstellungsgespräch gehabt, das mich mit Hoffnung erfüllt hatte. Eine neue Chance, ein Neuanfang… So nah – oder doch auch so fern, wer weiß? Die Arztpraxis war gut gefüllt.
Das Warten, es wäre so schon zäh gewesen. Aber ich lauerte ja auf diesen einen Anruf. Diese Wartezeit erschien mir heute so, als wäre ich in einem Zeitloch gesessen. Träge krochen die Minuten weiter, unendlich träge… Ich weiß nicht mehr, wie lange ich da gesessen bin: leicht nach vorne geneigt, das Handy in der Hand, damit ich nur ja den Anruf nicht verpassen würde. Zerrissen zwischen Hoffen und Bangen und Ansätzen von Resignation. So lange hatte ich auf so eine Chance gewartet!
Als der Anruf kam, wäre mir das Handy beinahe aus den Händen gefallen. Mein Puls beschleunigte sich, ich konnte kaum atmen… und dann kam die Zusage für den Job…

Jeder von uns kennt solche Situationen. Warten auf eine wichtige Nachricht oder auf einen lieben Menschen ist oft sehr schwierig. Oder beim Zahnarzt für eine Behandlung vorgemerkt sein… Jede Minute fühlt sich weit länger an. Diese Zeit kann zermürben, fertig machen und irgendwie auch die Glieder lähmen. Kaum einer hat die Muße während so einer Wartezeit die Zeitung in aller Ruhe zu lesen oder ganz normal eine gewohnte Arbeit zu absolvieren.

Dabei kann es auch ganz anders sein. Ein verliebtes Pärchen trifft sich und die Zeit enteilt wie im Fluge. Schon müssen die beiden wieder auseinandergehen. Eine lustige Runde feiert am Abend einen Geburtstag und bald ist Mitternacht…
Zeit, in der wir uns wohl fühlen, verfliegt sehr schnell. Wenn wir auf etwas Unangenehmes oder Ungewisses harren, dann vergeht die Zeit unerträglich langsam.
Solche Situationen können sehr vielfältig sein. In der Arbeit, wenn nicht gerade viel Stress ist, blicken wir gewöhnlich öfter auf die Uhr und freuen uns auf den Feierabend. Am Wochenende hingegen schlafen wir gerne lange und amüsieren uns häufig ein wenig. Unversehens ist es wieder vorbei und Montagmorgen klingelt der Wecker… Das Wochenende zerrinnt zwischen den Fingern.

Vielleicht liegt es an den Hormonen, dass wir Zeit so unterschiedlich empfinden. Adrenalin pusht uns und Angst oder Unsicherheit lähmen uns… Mag sein. Manch einem ging es schon so, dass er in bestimmten Situationen meinte: Warum kann es nicht schon 10:00 Uhr (oder welche Zeit auch immer) sein! Aber der Zeitpunkt kam nicht eine Minute früher…
In einem so trüben, langen Winter haben sich viele gewünscht, dass der Frühling endlich kommen möge. Und das Warten fiel ihnen schwer. Wobei jeder von uns weiß: Der Frühling kommt, ganz bestimmt. Viel schwieriger ist so eine Situation wie bei mir in der eingangs erwähnten Geschichte: wenn man nicht weiß, was einen dann erwartet. Man kann nur hoffen, aber oft selber nicht (mehr) beeinflussen. Kann sein, dass man sich vorkommt als wäre man im Gefängnis. Dort kriecht die Zeit auch im Schneckentempo und ist so kaum mehr erträglich.

Zeit ist relativ. Man kann sie nicht wie Länge und Tiefe messen.
Natürlich haben wir sie genormt. Minuten, Sekunden,… nach unten – Tage, Wochen, Monate und Jahre nach oben. Und dennoch. Wie wir sie empfinden ist subjektiv, also bei jedem anders. Und eben ganz besonders auch situationsangepasst.
Wir wünschen uns, dass angenehme Momente subjektiv länger dauern während wir hoffen, dass schwierige Situationen schneller vorüber gehen mögen…

Wenn ich so nachdenke… Es gab immer besondere Momente, von denen ich mir wünschte, sie würden nie vergehen. Wunderbare Abende mit meinem liebsten Menschen… Einmal an der Donau in einer wunderbaren Sommernacht mit prachtvollem Sternenhimmel… Wir saßen an einem Tisch im Freien und genossen die Zeit… Kostbare Augenblicke wie diese und ich wünschte mir immer, sie würden nie vergehen. Aber irgendwann war die Nacht dann doch vorbei.

Zeit bleibt nicht stehen, sie ist im stetigen Fluss. In sich selbst überdauert sie alles: Menschen, politische und gesellschaftliche Strömungen lässt sie hinter sich – ewig und unendlich.
Und da stehen wir und hoffen vielleicht, dass die Woche bis zum Urlaub schneller vergeht…

Alles ist relativ…

Vivienne

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