Unser Mann in der Hofburg – Die bunte Welt von Vivienne

Ich war auf dem Weg zum Bahnhof und spät dran. Ali würde gleich mit einem Zug aus Salzburg ankommen, wo er von der Firma aus ein Seminar absolviert hatte. In wenigen Minuten sollte der Intercity einfahren als ich auf der Anzeigetafel einen Vermerk las: „Ca. zehn Minuten Verspätung“. Ich schnaufte einmal kräftig durch und begab mich dann gemächlichen Schrittes zum Bahnsteig. Alles würde sich noch ausgehen… Da sah ich einen Mann weiter vorne stehen, wohl genährt, wie es aussah und mit auffallend großer Glatze. Ich stutzte, denn der Mann kam mir bekannt vor und richtig, ich hatte mich wohl nicht getäuscht: das war Gerald Blier, ein ehemaliger Kollege, der ein kurzes Gastspiel in meiner Firma gegeben hatte… kurz aber auffällig… Die ganze Geschichte fiel mir wieder ein.

Blier hatte vor etwa vier Jahren in der Abteilung angefangen. Früh trat er in Erscheinung durch seine vielen Geschichten: wen er nicht alles kannte und mit wem er nicht die Schulbank gedrückt hatte. Auch der Herausgeber einer großen Tageszeitung sollte zu der illustren Runde gehören – nur vom Feinsten für Blier! Das galt auch für die Frauen. Nach und nach stellte er ein paar attraktiven Kolleginnen nach. Doch zu seinem Pech gaben ihm alle einen Korb. Zweifellos war Blier kein Adonis und seine beginnende Platte schmerzte ihn sehr. Der Spruch eines Kollegen, der dessen Frisur kernig mit drei links, zwei rechts beschrieb, traf ihn mehr, als er zugeben wollte… Selber ließ er nichts über sich kommen, aber die hehre Damenschaft musste schon gewisse Kriterien erfüllen, um Gnade vor seinen Augen zu finden…

Aber Blier blieb privat nicht lange erfolglos, was Frauen betraf. Bald zeigte er Fotos von der rassigen Italienerin Chiara – seine Eroberung. Seine langjährige Lebenspartnerin und Mutter seines Sohnes hatte er dem Vernehmen nach für sie verlassen. Aufmerksamen Kollegen fiel trotzdem auf, dass er weiter mit demselben Bus in die Arbeit und wieder heim fuhr. Es wurde gerätselt, ob die Schönheit auf den Fotos vielleicht nur ein Model war, dessen Bild aus dem Internet übernommen worden war, aber vielleicht waren diese Zweifler auch nur zu misstrauisch. Abgesehen davon streute Blier Gerüchte aus, er wäre eigentlich ein Akademiker auf Zwischenstation in unserer Firma. Beweis dafür: der Ausweis für das Fitnessstudio wies einen Doktortitel für ihn aus… oder doch nur: Papier ist geduldig…

Blier werkte in der Firma so dahin, mehr tat er sich hervor durch verschiedene Streiche, die er spielte. Einer Kollegin ließ er eine fingierte Einladung von Richard Lugner für dessen Loge am Opernball zukommen. Bei der Faschingsfeier wollte er sich als Frau verkleiden und dabei ohne Slip auftreten. Beliebt machen wollte er sich außerdem indem er Bäckereien in die Firma mitbrachte. Einmal einen Guglhupf, ein anderes Mal Weihnachtskekse – alles von Chiara gebacken, wie er beteuerte. Die Italienerin hatte anscheinend schnell die österreichische Küche kennen und lieben gelernt…

Überraschend war das Intermezzo Gerald Bliers in der Firma aber auch wieder zu Ende gegangen. An einem Morgen verkündete er, er hätte einen tollen Job in der Hofburg bekommen, einen von der Art, den man keinesfalls ablehnen konnte. Seine Fans, und Blier hatte nicht wenige, ließen ihn am letzten Tag noch einmal hochleben. Nach seinem Abgang verbreiteten sich aber immer mehr böse Gerüchte über den Mann. Dass er in seiner vorigen Firma einiges ausgefressen hatte und unrühmlich diese Stelle verloren hatte. Mochte schon sein, dass sich das alles tatsächlich so zugetragen hatte und Blier einfach von seiner Vergangenheit eingeholt worden war. Bei dem Ex-Kollegen war alles mehr Schein als Sein, angefangen mit seinem Doktortitel. Auch wenn der Fanclub weiter eisern zu Blier hielt, die Nachrede allgemein war nicht die Beste…

Ich riss mich aus den Gedanken. Wie ein soignierter Beamter, der in der Hofburg arbeitet, sah der frühere Kollege wirklich nicht aus… Kurz spielte ich mit dem Gedanken, auf Blier zuzugehen und ihn anzureden. „So ein Zufall. Lange nicht gesehen. Wie geht es dir so? Muss ja toll sein in der Hofburg!“ Ich stellte mir das bildlich vor und musste kurz grinsen. Gefreut hätte sich der Mann wohl nicht darüber, dass ich ihm über den Weg gelaufen war… Da ertönte die Durchsage aus dem Lautsprecher. „Der Intercity… fährt Bahnsteig sieben ein. Bitte Vorsicht!“ Da besann ich mich. Ich hatte doch wirklich keine Zeit für solchen Unfug. Und auch wenn ich den Kollegen nächste Woche von der Begegnung berichten könnte, für die „Unverbesserlichen“ würde der Münchhausen doch nur weiterhin „unser Mann in der Hofburg“ bleiben. Aber Ali musste gleich da sein und das zählte wirklich – nicht ein Schwafelbruder, der gezeichnet war vom Leben…

Vivienne

Schreibe einen Kommentar