Walters Weihnacht

Walter hatte es sich bequem gemacht auf seinem Stuhl, der hier im Deutschen Industrie Museum in München, für die Aufseher aufgestellt war. Die Männer und Frauen, die den Besuchern ihre fachlichen Fragen beantworten würden und gleichzeitig ein wenig für Ordnung sorgen sollten.

Er schaute auf seine Armbanduhr und dachte daran, dass es noch eine Stunde dauern würde, bis er sich auf den Heimweg machen würde. Zuhause würde niemand auf ihn warten. Er würde sich ein Stück Leberkäse auf ein schön geschmortes Stück Toastbrot legen und darauf ein bildschönes Spiegelei platzieren. Dazu eine gute Flasche Paulaner Lager und die Weihnacht könnte kommen.

Tja Heute ist der Tag vor dem Heiligen Abend, ein Samstag und morgen würde langes Ausschlafen möglich sein. Da könnten es auch schon mal zwei Flaschen Paulaner Lager sein.

An solchen Schlüsseltagen war nicht so viel los, wie an ganz normalen Tagen. Die Welt befand sich im Weihnachtsrausch, im Rauschgold-Engel-Rausch wie Walter immer zu sich selber sagte. Die Leute rannten wie im Wahn durch die Geschäfte und versuchten für ihre Lieben, irgendetwas Beeindruckendes zu kaufen oder sich selber lang gehegte Wünsche und geheime Sehnsüchte zu erfüllen.

Walter wusste, so gut wie Heute Nachmittag ging es ihm schon lange nicht mehr. Er hatte endlich wieder einen geregelten Job. Und das alleine und die Tatsache, dass er drei Jahre lang als Arbeitsloser in der Weihnachtszeit alle Hände voll zu tun hatte und es im Gegensatz zu heute, immer nur mit Stress und Aufregung in die Endrunde ging. In die Endrunde des nun ablaufenden Jahres.

Heute würde er ganz entspannt in die eigenen vier Wände zurückkehren und darauf freute er sich schon. Endlich würde es auch für ihn entspannte Weihnachtsfeiertage geben und nicht wie im letzten Jahr und dem davor und dem davor.

„Walter Du hast doch bestimmt Zeit, morgen Früh mit mir zum Schweden zu düsen um die neue Schrankwand zu holen und es wäre Klasse, wenn Du mir beim Aufbau nachher helfen könntest. Beate meint auch, Du als Arbeitsloser könntest Deinem Schwager, der die ganze Woche geschuftete hat ein wenig zur Hand gehen. Es soll Dein Schade nicht sein!“

Schwager Werner und Klein Beate, ihr seid gut! Na klar helfe ich Euch, ist doch Ehrensache.

Walter konnte ums Verrecken nicht nein sagen. Verflixt, das „Nein sagen“ sollte schon in der Grundschule Hauptfach sein. Und die Matura sollte es nur geben, wenn man sich gegen alle Wünsche und Verpflichtungen erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte.

So aber? Klar helfe ich Euch. Was denn sonst ? Walter sagte nie nein! Walter war Arbeitloser und Arbeitlose helfen! Arbeitslose können nicht ungestraft auf der faulen Haut liegen und daher ist es nur gerecht, wenn man sie ein wenig fordert!

Naja, Werner war schon in Ordnung und Schwesterchen würde wieder ein kleines Fresspaket packen und somit wäre auch ein wenig für den arbeitslosen Bruder gesorgt. Schwesterchen war ja auch solch ein Engel.

„Walter, Du glaubst gar nicht, wie oft ich Dich in den letzten Tagen angerufen habe, Du musst mir einen kleinen Gefallen tun. Du weißt doch, meine Irmgard wünscht sich diese sensationelle kleine Kaffeemaschine von den Holländern, die den Kaffee nicht rührt, sondern schüttelt. Du, ich komme nicht dazu. Du musst mir helfen. Du hast doch Zeit genug und kannst für mich das Angebot checken und mal durch die „ich bin doch nicht doof- und Geiz ist Geil-Märkte und die Blödmänner-Shops“ stromern um nen guten zu Preis kriegen. „

Heinz der Kumpel aus alten Tagen, der schon auf die Armbanduhr schaute um den Feierabend nicht zu verschlafen in seinem Schreibtisch-Job beim Ausländer-Amt, hatte natürlich keine Zeit um seine Weihnachtsgeschenke selber zu kaufen. Also war es nur natürlich, einen Menschen mit einem Übermaß an Freizeit zu fordern. Und dass ein Arbeitsloser über ein geregeltes Maß an Langeweile verfügen musste, sollte doch allen Beteiligten klar sein. Aber auch dem Arbeitslosen ?

„Walter Du musst mir helfen! Gregor und ich haben uns getrennt. Es ging nicht mehr mit seiner Eifersucht. Er hat mir dauernd hinterher spioniert und wurde schon tätlich gegen meinen Chef, nur weil der mich neulich nach Hause gebracht hatte und der Blödmann Gregor wer weiß was gedacht hatte. Ich bin beim Gregor ausgezogen und hab mir ne kleine Wohnung gesucht und es wäre ganz toll, wenn Du mir bei der Renovierung helfen könntest. Es ist eine kleine schicke Zweizimmerwohnung, mit Blick auf den Englischen Garten. Richtig schnuckelig sag ich Dir.“

Hilde und Gregor! Zwanzig Jahre ging das schon. Eifersucht und Misstrauen. Gregor sollte mal zum Arzt gehen. Der Kerl spinnt doch total.

„Ach ja, Walter es wäre schön, wenn ich noch vor Weihnachten einziehen könnte, bei meiner Mutter werde ich noch verrückt. Die schaut mich immer so vorwurfsvoll an, wenn ich mal über Nacht wegbleibe.“

Diese Woche also noch, na meinetwegen. Bin ich halt früher fertig. Walter sagte niemals nein. Walter hatte das Nein sagen nicht gelernt.

Nun saß Walter auf seinem bequemen Stuhl und schaute der kleinen Schar von vermutlich Ausländern zu, die um die alten Zeugnisse der Deutschen Industrie gingen und sich freuten Deutschlands Wirtschaftsmacht längst vergangener Zeiten, endlich im Original zu sehen und nicht immer die Kopien, in ihren Herkunftsländern.

Heute würde er ganz entspannt in seine kleine Einzimmerwohnung zurückkehren, die alles hatte, nur keinen Blick auf den China-Pavillion im Englischen Garten.

Er würde einen Leberkäs` verdrücken und ein Paulaner trinken und nicht durch die Kaufhäuser nach der preiswertesten „Senseo“ forschen.

Schrankwände mit unaussprechlichen Wikingernamen würden ihm total egal sein und der Ärger über fehlendes Schraubengedöns wäre nicht sein Problem und eifersuchtsgeschädigte Ehefrauen, die sich ihre Freiheit zurückwünschten und denen die Eifersüchteleien ihrer Mütter auf den Geist gingen, wären auch nicht sein Business.

Walter hatte einen geregelten Ein-Euro-Job.

Er konnte alle Ansinnen um Hilfe dadurch abwehren, weil er nicht mehr uneingeschränkt zu Verfügung stand, wenn ihn jemand ganz dringend um einen kleinen Gefallen bat.

Und dieser Umstand gefiel Walter ganz ungemein. Endlich konnte er alle Ansinnen abwehren, ohne ein Schuldgefühl zu entwickeln.

Walter machte sich langsam auf um seine letzte Runde durch die Ausstellung zu drehen.

Nur noch die Mütze und die Dienstjacke in den Spind hängen und die Weihnacht könne kommen, ja wenn nicht?

Ach ja, Edeltraut hatte ihn um einen klitzekleinen Gefallen gebeten.

Edeltraut im Parterre, bei der Walter schon mal des Sonntsgsnachmittags ein Täschen Kaffee trank und ein kleines Stückchen Kuchen verdrückte und die ihm immer so leid tat, weil sie schon über die Zeit in ihrem Rollstuhl festsaß, wegen der verdammten Krankheit die Walter noch nicht mal buchstabieren konnte.

„Könntest Du mir einen klitzekleinen Weihnachtsbaum mitbringen, Walter? So einen kleinen, schon mit Lametta und Kerzen Geschmückten, der in einem Papprohr steckt und den man nur noch rauszieht und aufstellt. Stecker in die Steckdose und schon ist Weihnachten.“

Na gut Edeltraud, Dir kann ich es ja nicht abschlagen und ich werde versuchen noch schnell auf dem Heimweg einen solchen Baum aufzutreiben.

Aber alle anderen Anliegen musste ich, so leid es mir tut, ablehnen.

Tja Walter konnte nicht nein sagen, aber er würde es noch lernen müssen, bevor das halbe Jahr rum war und er wieder „beschäftigungslos“ war.

Walter war sehr gelehrig.

(C) Chefschlumpf

……………….noch ein knappes halbes Jahr, Leute!

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