Weiße, zarte Haut…

Erwin seufzte gequält auf.
Wischte die Bilder in seinem Kopf beiseite.
Er stand auf.
Streckte sich.
Stöhnte leise.
Sein Nacken schmerzte.
Im Fernsehen liefen gerade die Nachrichten.
Aber er konnte sich nicht konzentrieren.
Immer wieder sah er diese Frau vor sich.
Die in die Wohnung im fünften Stock eingezogen war.
Kürzlich erst.
Nach dem Tod seiner Tante…
Erwin fixierte den Bildschirm.
Einen Moment sah es aus, als wollte er den Sprecher inhalieren.
Dann fielen ihm wieder die Lider halb zu.
Und ein verliebtes Lächeln umspielte seine Lippen.
Erwin sah sie wieder vor sich.
Bettina Hauser.
Die neue Mieterin.
Eine dralle Frau.
Manche hätten gesagt, ein wenig ordinär.
Mit Sicherheit.
So wie sie vor ihm gestanden war.
Mit dem tief ausgeschnittenen T-Shirt.
Und den etwas knappen Jeans.
Erwin seufzte.

Er streckte die Hand aus.
Und glaubte diese Haut zu fühlen.
Weiß und samtig.
Ganz weich.
Und er sah sich zu.
Wie er diese Haut berührte.
Sanft streichelte.
Wie er Bettinas Busen unter seinen Fingern fühlte.
Und Bettina nickte ihm zu…
Freundlich…
Erwin?
Die Stimme von Sandra tönte aus dem Schlafzimmer.
Sandra, seiner Frau.
Erwin?
Kannst du mir helfen, das Fenster zu schließen?
Es klemmt wieder.
Erwin erwachte wie aus einem Traum.
Unsanft geweckt.
Oder vielmehr ruppig…
Ich komme schon, Sandra.
Seine Stimme klang ruhig.
In Wahrheit war er wütend.
Sehr wütend.
Aber wenn er ehrlich war.
Konnte Sandra etwas dafür?
Dafür, dass er von dieser Frau träumte?
Nicht ganz jung und nicht schön…
Zumindest keine klassische Schönheit.
Kein Modell…
Aber ihr Körper faszinierte ihn trotzdem.
Oder besser gesagt, das, was er sehen hatte können.
Ein prachtvolles Dekolletee.
Und ein paar lebhafte Augen.
Ganz dunkel.
Was so apart zu ihren roten Haaren passte.
Gefärbt.
Ganz sicher sogar.
Aber sehr reizvoll…

Sandra werkte in der Küche.
Magst du noch ein Stück Kuchen?
Es sind noch drei Stück da!
Erwin grunzt empört.
Seine Frau schien ihn immer als Resteverwerter zu sehen.
Als einen Mistkübel fast!
Der Kuchen war vom Sonntag!
Das musste man sich vorstellen.
Und außerdem hatte Sandra ihn mit Rosinen gebacken…
Erwin sah an sich herunter.
Dick war er geworden.
Wirklich dick.
In den zwölf Jahren.
Kein Wunder.
Er hatte sich immer füttern lassen.
Erwin starrte wieder auf den Bildschirm.
Die Dialoge hörte er.
Aber er verstand sie nicht.
Er begriff kein Wort.
Erwin verlor sich in Gedanken…
Wenn er gehen würde…
Wenn er Sandra verlassen würde…
Welche Frau würde sich noch für ihn interessieren?
So fett wie er geworden war?
Dabei hatte er einmal ganz gut ausgesehen…
Die Frauen hatten ihm einmal nachgeblickt.
Mit leuchtenden Augen…
War das wirklich schon so lange her?
Mein Gott, er war doch noch nicht tot!
Ruckartig stand Erwin auf.
Als wollte er den Gedanke abwehren.
Der ihn zu erdrücken versuchte.
Er war doch noch nicht alt!
Er konnte doch noch etwas aus sich machen.
Aus seinem Leben…

Was ist los, Erwin?
Du siehst richtig grantig aus!
Sandras Stimme ließ ihn zusammenzucken.
Aggressiv drehte er sich um.
Er spürte, wie er die Fäuste ballte.
Nein, nichts.
Der Film ist öd.
Ich geh mal auf den Balkon und rauche eine…
Erwin hatte keinen Appetit auf Zigaretten.
Seit er wusste.
Bettina rauchte nicht.
Sie verabscheute Raucher sogar.
Trotzdem ging er auf den Balkon.
Zündete sich eine Zigarette an.
Und starrte in das klare Blau des Abends.
Wieder lächelte er.
Und Bettina öffnete ihm die Tür.
Was für eine Überraschung!
Kommen Sie herein.
Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?
Sie trug wieder das T-Shirt mit dem weiten Ausschnitt.
Und Erwin legte ihr die Hand auf die Schulter…

Vivienne

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