Würden Sie mit mir schlafen?

Eben, als ich mich zwischen sonntäglicher Kochpflicht und Computersucht an den PC setzte, ertönte ein schriller Song aus dem Radio. „Would you go to bed with me?“ wandte sich eine leicht verlegene junge Dame an ihr männliches Gegenüber, das sie nicht kannte, aber, wie aus dem Song hervorgeht, schon die ganze Zeit beobachtet hatte. Und der junge Mann hatte ihr gefallen… „Möchtest du mit mir schlafen?“ Extrem provokant, auch in einer Gesellschaft, die mit allen sexuellen Tabus scheinbar schon gebrochen hat, in der zehn- und elfjährige oft schon ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammeln und nicht viel später auch bereits die Pille oder andere Verhütungsmittel regelmäßig anwenden. Oder schwanger werden…

Was würden Sie zu so einem, sagen wir mal, ungewöhnlichen Angebot sagen, wenn Sie, sagen wir mal, fast nichts ahnend in einem Lokal sitzen und Ihren Verlängerten genüsslich trinken…? Schwierig zu sagen, ich war selber zwar noch nicht in so einer Situation, aber so wie ich mich kenne, würde sofort meine Ratio lospreschen, inklusive dem, was sich im Laufe der Jahre als meine sexuellen Modalitäten manifestiert hat. Du kennst den Typen nicht, du weißt nicht, was der noch vor hat und überhaupt, er könnte Aids oder sonst was haben…Und außerdem, könntest du womöglich schwanger von ihm werden! So oder so ähnlich würden meine Gedanken aussehen, ganz sicher sogar, verbunden wahrscheinlich noch mit der Überlegung: Was will der Kerl ausgerechnet von mir?

Ich hatte also noch nie einen One-Nite-Stand, aber mal abgesehen davon, war Sex sicher schon einmal unkomplizierter, bevor es Aids gab oder Geschlechtskrankheiten wie Hepatitis C zunahmen. Die Pille hatte die sexuelle Revolution in den 60ern ins Rollen gebracht und Frauen zum ersten Mal in die durchaus angenehme Situation manövriert, nicht nur ihre Sexpartner selber zu bestimmen sondern diese auch zu wechseln, je nach Bedarf. Alte Moralepisteln à la „Eine Frau sollte nur einen Mann haben, sich für diesen bis zur Hochzeitsnacht aufheben und ihm treu bleiben ein Leben lang.“ haben wir ja Gott sei Dank schon einigermaßen überwunden, weil völlig überhoben und weltfremd und, um es mal klar zu definieren: Es ist absolut nichts Schlechtes dabei, wenn man nicht mit dem ersten Mann oder der ersten Frau in seinem Leben zusammenbleibt. Und seine Erfahrungen sammelt und ausweitet. Ganz im Gegenteil.

Aber Sex haben mit einem Menschen, den man de facto nicht kennt? Einfach mal probieren, auf die Gefahr hin, diesen Menschen „nachher“ nie mehr zu sehen? Es gibt genügend Leute, die damit exzellente Erfahrungen gemacht haben, die „den besten Sex ihres Lebens“ in solchen One-Nite-Stands erleben durften und das glaube ich auch sofort. Der erste Sex mit einem Menschen den man nicht oder noch nicht so gut kennt ist natürlich unglaublich aufregend und erregend, weil man, mit einem Wort, „völliges Neuland“ betritt und erobert und das beflügelt enorm. Darum sind auch jung Verliebte zu Beginn der Beziehung besonders heiß aufeinander. Wenn man sich besser kennt, lässt auch die Leidenschaft nach, mehr oder weniger.

Und das ist der Punkt, warum auch so viele von dem „ultimativen Erlebnis“ eines One-Nite-Stands sprechen: man musste schließlich nie mit diesem Menschen die Alltagsroutine kennen lernen, die einmalige Gelegenheit prägt sich in ihrer Einzigartigkeit tief ein und wird fast verklärt. Natürlich möchte ich so ein Erlebnis grundsätzlich nicht schmälern, aber im Grunde wird da etwas verherrlicht, das halt ein Sonderzustand war und bleiben wird. Eine Beziehung verläuft halt sexuell nicht immer ganz so aufregend, aber dafür bietet sie andere Vorteile – für den, der diese auch wahrnehmen möchte.

Trotzdem gibt es auch genügend anders geartete Leute, die die oftmals prickelnde Begegnung bei einem One-Nite-Stand, von der ihnen vorgeschwärmt wird, selber in der Situation dann gar nicht genießen können – weil sie die Vertrautheit und gewissermaßen die Sicherheit in einer Beziehung brauchen, um sich wirklich öffnen zu können, um aus sich herausgehen zu können. Mit einem Wort: der erste gemeinsame Sex mit einem neuen Partner ist vielleicht ein Reinfall oder wird als nicht besonders aufregend empfunden, aber er ist dafür entwicklungsfähig. Man lernt sich kennen, samt den Eigenheiten, den sexuellen Vorlieben und Wünschen im Idealfall, stellt sich mit der Zeit aufeinander ein und erlebt sich immer wieder neu.

„Moralisch verwerflich“ sind One-Nite-Stands sicher nicht, jeder wie er kann und will, denke ich, auch wenn ich selber so eine Gelegenheit nie wahrnehmen würde, gehöre ich, gestehe ich offen ein, doch eindeutig zur zweiten Kategorie, die ich angeführt habe. Gefühl und Sex lassen sich bei mir nicht trennen, so realistisch muss ich sein, und ich würde bei so einem One-Nite-Stand nur emotional verhungern. Auf so eine Erfahrung lege ich darum keinen Wert, aber jeder Mensch hat das Recht, seine Vorlieben und Präferenzen im sexuellen Bereich so auszuleben, wie er möchte, wann immer er Gleichgesinnte dafür findet….

© Vivienne

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