Maria saß in Constanzes Wohnzimmer. Sie hatte Stefan für ein Mittagsschläfchen hingelegt und hatte seine Spieluhr aufgezogen. Zum ersten Mal seit Tagen war er ohne größere Probleme eingeschlafen.
Constanze hatte sich halb sitzend, halb liegend in die Ecke der Couch zurückgezogen. Sie hatte auf Marias dringende Bitten hin den Schlafanzug gegen normale Kleider ausgetauscht. Die Farben der roten Trainingshose und des zartblauen T-Shirts passten nicht zusammen. Maria hatte sie missbilligend angeschaut, aber nichts gesagt. Sie hatte Constanze gefragt, ob sie nicht langsam mal eine richtige Hose anziehen wolle, Trainingshosen trage man beim Sport. Aber Constanze hatte nur geantwortet, dass die anderen Hosen am Bauch drückten, und Maria hatte sich damit zufrieden gegeben.
Maria hatte Constanze vieles gefragt, so lange, bis ihr nichts mehr einfiel. Ob sie noch richtige Schmerzen habe, wenn ja, wo denn. Nein, nur ab und zu mal ein Ziehen, hatte Constanze geantwortet. Ob sie ihr die Telefonnummer der Nachbarin aus dem Ostsee-Urlaub geben solle, vielleicht würde es ihr helfen, mit jemandem zu sprechen, der das auch hinter sich hat. Nein, sie kenne die Frau ja nicht mal, war Constanzes Antwort gewesen. Ob sie nicht mal ein schönes Bad nehmen wolle, das entspannt doch so gut. Vielleicht mit Lavendel-Öl? Oder ein schönes Meersalz-Bad, das reinige alles so schön durch. Nein, ich vertrage die Hitze nicht. Obwohl Constanze brav und emotionslos antwortete, schienen ihr die Fragen lästig zu sein. Wie ein lustloser Teenager hing sie mit angewinkelten Beinen und verschränkten Armen in der Sofaecke.
Nachdem die Fragen sie nicht weiterbrachten, fing Maria an, ihr sanft ein paar Ratschläge zu geben. Den Kopf hängen zu lassen bringt doch nichts. Jeder muss mal einen Schicksalsschlag einstecken. Aber alles wird wieder gut. Irgendwann hast du das vergessen. Und schau, alle sind doch für dich da. Und für deinen Mann und dein Kind musst du dich langsam mal wieder einkriegen. Der Thomas hält das vielleicht noch aus, aber der Stefan? Der schläft nicht mehr richtig und quengelt nur noch. Manchmal muss man einfach die Zähne zusammenbeißen, egal wie es in einem drin aussieht. Die Trauer hat ihre Zeit, aber dann muss es weitergehen.
Constanze hatte gehorsam zugehört. Nach jedem Satz hatte Maria eine kurze Pause gelassen. Aber bei Constanze war keine Reaktion zu erkennen gewesen.
Maria gab nicht auf. Hast du dir schon überlegt, ob ihr bald nochmal schwanger werden wollt? Was sagt denn der Arzt dazu? Meinst du nicht, das würde dir helfen? Auch hier hatte Constanze nur vage mit den Schultern gezuckt und an Maria vorbei geschaut.
Dann hatte Constanze den Fernseher eingeschaltet und begonnen, eine Gerichtssendung anzusehen. Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, in einen Sexshop eingebrochen zu sein, was dieser aber mit Bestimmtheit leugnete. Stattdessen beschuldigte er den Liebhaber seiner Frau. Das sei auch die Erklärung für die Sexspielzeuge, die zusätzlich zum Inhalt der Kasse gestohlen worden seien. Seine Frau habe nämlich gewisse Bedürfnisse, die er selbst nicht erfüllen wolle.
Maria hatte sich das fünf Minuten mit angesehen, dann hatte sie sich zwischen den Bildschirm und ihre Tochter gesetzt.
„Meinst du, das hilft?“, fragte sie Constanze.
Constanze starrte durch sie hindurch. Maria suchte vergebens ihren Blick.
„Sowas hast du dir doch sonst nicht angesehen. Das ist doch nur ein blöder Quatsch. Soll ich mal schauen, was sonst noch kommt?“, fragte Maria, nahm die Fernsehzeitung und blätterte darin.
„Da, ist das nicht toll: Cornwalls schönste Gärten. Das ist doch was. Sowas schau ich gerne. Magst du das nicht auch gerne? Da sind oft so bezaubernde Landschaftsaufnahmen dabei. Und danach kochen wir was Schönes zusammen, gell?“
Und sie nahm Constanze die Fernbedienung aus der Hand und wechselte den Kanal.