24. Kapitel: Verwirrung

Die Mutter hatte Constanze in der Fußgängerzone abgesetzt. Während sie selbst zum Arzt ging, sollte Constanze einfach ein bisschen bummeln. Danach wollte die Mutter sie auf ihrem Handy anrufen und sie würden gemeinsam einen Kaffee trinken gehen, ganz gemütlich mit einem schönen Stück Torte. Das hatte die Mutter geplant.

Die Fußgängerzone verdiente den Namen eigentlich nicht. Zwei längere Straßen, die sich etwa in der Mitte kreuzten. Einige davon abzweigende Seitenstraßen mit weiteren Läden. Ein paar kleinere Geschäfte, die sich mühsam behaupteten gegen die Einkaufs- und Verköstigungsketten, die es in jeder Stadt gab.

Constanze hatte das Gefühl, dass sie jetzt klarer sah als andere Menschen. All die Leute, die ihr hier entgegen kamen, waren unglücklich. Alle. Manche wussten es nur nicht. Dazu brauchte man eine Klarsicht, die vielen fehlte. Einige – wie die alte Frau mit dem Buckel und der Gehhilfe – hatten es vielleicht schlechter getroffen als andere. Aber auch die, die fröhlich durch die Gegend liefen, gesund und mit netten kleinen Familien oder mit einer Freundin beim Shoppen – auch sie waren unglücklich, weil es sinnlos war, was sie taten. Weil alles völlig blödsinnig war. Und weil sie eigentlich völlig allein waren. Ob sie sich bei einer Freundin einhängten, ihre Frau küssten, einer Bekannten schon von weitem ein HALLO zuriefen: Sie waren allein. Sie wussten es nur nicht, weil sie noch nicht weit genug in die Tiefe geschaut hatten. Man sollte es ihnen sagen, dachte Constanze. Aber wahrscheinlich würden sie es nicht verstehen. Sie würden mit den Schultern zucken und sich irgendwelchen Kram kaufen gehen. Dann würden sie zu Hause in ihre Einkaufstaschen schauen, die Verpackung abreißen und den Inhalt wegräumen, benutzen oder essen. Und für diesen Zeitraum waren sie dann zufrieden. Bis die nächste Leere kam und sie wieder in die Geschäfte und Einkaufspassagen pilgerten und Sachen kauften, damit sie sich wieder ein bisschen besser fühlten.

Eigentlich sollte man Mitleid mit den Menschen haben. Trotzdem wurde Constanze wütend auf die ganzen Leute um sie herum. Sie hatte das Gefühl, dass man sie, wie sie da so allein vor sich hin lief, seltsam anschaute. Zuerst nur betont unauffällig aus dem Augenwinkel, dann offen und immer dreister.

Ein Teenager-Mädchen zeigte auf sie und sagte etwas zu ihrer Freundin. Ein älterer Herr starrte sie an. Selbst sein Dackel beobachtete sie.

Constanze ging ganz in der Mitte der Fußgängerzone, damit die Leute, die an den Schaufenstern entlangliefen, sie nicht anrempelten. Es reichte, wenn man sie anschaute, man musste sie nicht auch noch berühren. Die Gerüche der Hamburger, Döner, Fischbrötchen und frischen Waffeln vermischten sich zu einem Geruch, von dem ihr übel wurde. Noch mehr Menschen begannen auf sie zu zeigen, sie schüttelten die Köpfe und sprachen miteinander.

Constanze wollte sich wehren, aber was sollte sie ihnen denn sagen? Sie atmete tief ein und aus, um sich nicht zu übergeben, und rettete sich in ein Kaufhaus. Dort nahm sie die Rolltreppe in den zweiten Stock, wo sie zu den Toiletten ging und sich in einer Kabine versteckte, bis der Anruf ihrer Mutter kam.

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