Heimfahrt von Salzburg.
Wieder einmal.
So oft in letzter Zeit.
Jedes Mal Gefühlsextreme.
Zwischen bangem Hoffen und furchtbarem Leid.
Dazwischen das Wunder einer Geburt.
Ein kleines Mädchen.
Zwei Monate alt.
Das seinen Vater nie kennen lernen wird…
Ich muss an den Besuch im Spital denken.
Stefan empfing uns im Rollstuhl.
Seine Haut war gelblich verfärbt.
Das Gesicht hager und hart.
Schmerzverkniffen.
Trotz aller Schmerzmittel.
Am schlimmsten seine Augen.
Sie steckten in den Höhlen.
Erloschen.
Wie der Lebenswille.
Kraftvolles Aufbäumen um die Geburt seines Mädchens noch zu erleben.
Chemotherapie.
Und der glückselige Moment, bei der Geburt seines Kindes dabei sein zu können.
Dieses Kind wird leben.
Er selber steht an der Schwelle.
Und wird die Erinnerung an sein Mädchen mitnehmen.
Und an seine Susanne, die mit ihm gemeinsam durch diese Hölle ging…
Irgendwann habe ich zu weinen aufgehört.
Ich kann nicht mehr genau sagen wann.
Vielleicht, weil ich leer war.
Vielleicht auch, weil ich unbewusst begriffen habe:
Alle Tränen der Welt halten Stefan nicht am Leben.
Sondern machen ihm den Abschied noch schwerer.
Will ich das?
Frank habe ich in den letzten beiden Tagen nicht richtig wahrgenommen.
Er war immer da.
Bot mir seinen Arm, seine Schulter an.
Und trotzdem dachten alle Gedanken an Stefan.
Vor einer guten Stunde habe ich ihm die Hand gedrückt.
Und ihn geküsst.
Zum letzten Mal.
Ich werde ihn nie wieder sehen.
Ich weiß es.
Stefan weiß es.
Und das Endgültige trug ich wie einen eiskalten Stein in meinem Bauch.
Unwirklich fast, dass jetzt die Sonne vom Himmel lacht.
Unwirklich das wunderbare Blau des Himmels.
Die prachtvollen Farben des Herbstes in einem Wald ganz vorn.
Ich schließe die Augen.
Seit ich die Hiobsbotschaft erfahren habe, habe ich kaum geschlafen.
Ich bin so müde…
Eine fröhliche Melodie aus dem Radio weckt mich wieder auf.
Es dauert ein paar Momente, bis ich begreife, dass wir noch im Auto sind.
Mein Nacken schmerzt.
Ist ganz steif von der unnatürlichen Lage.
Dann bemerke ich, dass etwas nicht stimmt.
Ich blicke auf die Uhr.
Wir müssten längst daheim sein!
Leicht verwirrt blicke ich um mich.
Dann spüre ich Franks Hand.
Er drückt meine.
Lächelt mich warm an.
Und auf meinen fragenden Blick hin setzt er ein verschmitztes Lächeln auf.
Ich glaube, wir fahren noch nicht heim.
Was meinst du?
Ich muss fast belustigt den Kopf schütteln.
Wo fahren wir denn hin?
Frank zuckt nur den Achseln.
Fährt weiter.
Lässt mich im Ungewissen.
Ganz gezielt.
Mein intensives Nachdenken soll mein Grübeln vertreiben.
Mich ablenken.
Wir halten schließlich in einer zauberhaften Gegend.
Sanfte Kuppen.
Reizvolle Wälder.
Irgendwo im Mühlviertel
Frank nimmt mich bei der Hand.
Hier habe ich zehn Jahre meines Lebens verbracht.
Zehn sehr schöne Jahre.
Zielsicher führt mich Frank durch den Ort.
Zeigt mir die Kirche.
Ein paar schöne Gebäude.
Ein kleines Denkmal.
Ganz plötzlich wird mir bewusst, dass Frank sein Ziel erreicht hat.
Der nagende Kummer ist verschwunden.
Hat leiser Resignation Platz gemacht.
Die Leere, die ich verspürte, ist verschwunden.
Das Leben geht weiter.
Schließlich führt mich Frank etwas aus dem Zentrum des Ortes.
Läutet an einer Tür.
Eine ältere Frau öffnet.
Frank, du?
Sie überschlägt sich fast vor Freude.
Drückt ihn.
Drückt mich.
Minuten später sitzen wir bei einer Tasse Tee.
Frank erzählt mir, dass Rosmarie seine Stiefmutter ist.
Die Frau mit den leicht graumelierten Haaren mag mich sofort.
Hat mich ins Herz geschlossen.
Weil ich Franks Freundin bin.
Und er so glücklich mit mir ist…
Sie sagt mir das immer wieder.
Ganz herzlich.
Ich bin ein wenig verdutzt.
Und langsam kommen mir Gedanken, wann wir wohl heimfahren.
Es ist schon dunkel draußen.
Frank scheint meine Gedanken zu lesen.
Und er hat andere Pläne.
Sieht mich halb fragend an.
Wir bleiben heute Nacht hier, ja?
© Vivienne