Warum tut sie uns das an?

Angela legt den Hörer des Telefons auf.
Sie wischte sich verstohlen Tränen aus den Augenwinkeln.
Die Wimperntusche brannte in ihren Augen.
Dann ging sie ins Wohnzimmer.
Öffnete die Bar.
Schenkte sich einen Hochprozentigen ein…
Es war noch relativ früh dafür…
Sie wusste es.
Angela tropften wieder Tränen über die Wangen.
Aber das Telefonat mit ihrer Schwiegermutter eben…
Diese dumme, alte Frau!
Etwas begehrte in ihr auf.
Dann schluchzte sie laut.
Diese dumme, alte Frau…
Eben erst hatte die angerufen.
Und die Alte hatte sie, Angela, kaum zu Wort kommen lassen.
Ich brauche euch nicht mehr!
Ein Student kümmert sich um meinen Rasen.
Und um die Sträucher.
Ich werde gar nichts überschreiben!
Dass ihr es nur wisst!
Fast hatte die Stimme der alten Frau triumphierend geklungen.
Zumindest schien es ihr so.
Angela ballte die Fäuste.
Ihre Schwiegermutter war weit über siebzig.
Finanziell gut situiert.
Lebte in einem großen Vorstadthaus.
Mit Garten.
Viel zu groß für sie.
Aber die alte Frau begriff das einfach nicht!
Warum???

Angela nippte wieder am Glas.
Der Alkohol beruhigte sie ein wenig.
Sie dachte angestrengt nach.
Seit Jahren lagen große Schulden auf der Firma ihres Mannes.
Die schlechte Wirtschaft drückte das Unternehmen nieder.
Obwohl ihr Mann tat, was er konnte.
Aber es gäbe eine Lösung.
Eine ganz einfache sogar.
Um die ärgsten Schulden vorläufig zu tilgen.
Die Schwiegermutter musste ihnen nur ihr Haus überschreiben.
In toller Lage und in super Zustand.
Es hätte ihnen ein kleines Vermögen gebracht.
Ja, wenn…
Wenn Schwiegermama ihr Herz für ihren einzigen Sohn entdeckt hätte.
Mit dem Haus war die Alte ohnedies überfordert.
Vom großen Garten erst gar nicht zu reden.
Und sie hätte problemlos bei ihrem Sohn und ihr wohnen dürfen.
Und der hätte das überschriebene Haus verkaufen können.
Endlich.
Sie hatten sogar schon einen Käufer dafür gefunden.
Ein Geschäftspartner ihres Mannes.
Er war bereit, ein Vermögen dafür hinzulegen.
Aber mittlerweile wurde auch der ungeduldig.
Um nicht zu sagen: missmutig.
Ewig warte ich nicht!
Das hatte er neulich schon anklingen lassen…
Aber die alte Frau gab nicht nach.
Nicht ein bisschen.

Sie, Angela, hatte das Problem lange unterschätzt.
Die alte Frau war nicht so dumm, wie sie zunächst gedacht hatte.
Leider.
Sie, Angela, war wohl immer etwas direkt gewesen.
Rasen mähen sollen wir dir?
Dafür haben wir keine Zeit.
Aber du siehst doch, dass du zu schwach bist.
Für das Haus und den großen Garten.
Zieh doch zu uns!
Wir haben zwei Zimmer für dich.
Und ein Bad.
Und wir kümmern uns um dein Haus.
Du brauchst nur unterschreiben…
Die Augen der alten Frau begannen dann immer zu leuchten.
Wie glühende Kohle fast.
Nie!
In diesem Haus haben mein Mann und ich fast vierzig Jahre gelebt.
Hier ist er gestorben.
Hier möchte ich sterben.
Und dann bekommt ihr das Haus!
Nicht früher!
Es war nicht zu reden mit ihr.
Angelas Mann hatte es längst aufgegeben.
Mama ist stur.
Da rennst du dir nur den Kopf an!
Sie weiß wie es um die Firma steht.
Und es ist ihr trotzdem egal.
Das ist ihr Haus und wird es immer bleiben.
Sie sieht es einfach so.
Vergiss unsere Pläne!
Wir müssen eine andere Lösung finden!

Angelas Hände umkrampften das Glas.
Er hatte Recht behalten.
Und die alte Frau erfreute sich bester Gesundheit.
Bis auf ein paar Alterswehwehchen halt.
Sie würde locker achtzig werden können.
So wie es jetzt aussah.
Vielleicht auch neunzig.
In jedem Fall aber viel zu alt.
Das Haus würde nicht verkauft werden können.
Nicht rechtzeitig.
Und die Firma würde vielleicht den Bach hinuntergehen.
Womöglich nächstes Jahr schon!
Nur wegen der Sturheit der alten Frau.
Welche Schande!
Und die Kinder mussten wohl die teure Privatschule verlassen.
Und sie, Angela, selber?
Aus der Traum von Ibiza und der Cote d’ azur.
Dahin würde wohl die Reise nicht so schnell wieder gehen.
Wenn überhaupt je wieder…!
War das fair?
Und dazu noch der Makel.
Wie würden sie wohl dastehen vor den Freunden?
Nach so einer Pleite?
Die alte Frau war so verdammt egoistisch!
Angela begann wieder zu schluchzen.
Die Schwiegermutter behielt die Fäden in der Hand.
Sie ließ sich nichts dreinreden.
Nein.
Und nun hatte sie auch noch einen Hilfsgärtner.
Diesen Studenten.
Alt genug, um ihr Enkel sein zu können…
Die Alte hatte wirklich an alles gedacht.
Nur nicht an ihren Sohn und seine Familie…

Vivienne

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